Ausgabe 08/2024
Der Schweiß der Götter
Wieder die falschen Schuhe angezogen! In Jesuslatschen muss man schon einer der drei Weisen aus dem Morgenland sein, um mit Mossalem Schritt zu halten. Der Weihrauch-Bauer ist jenseits der 60; tapfer hält ein einziger Zahn im Mund die Stellung. In einem um die Oberschenkel gerafften Gewand flitzt Mossalem über Stock und Stein der kargen Geröll-Landschaft seinem Arbeitsplatz entgegen. Der liegt in der Region Dhofar unweit von Salalah, der zweitgrößten Stadt Omans am Fuße der Samhan-Berge.
Anders als auf der Nordseite der Berge, wo der Monsunsprühregen namens Khareef zwischen Juni und September ein grünes Paradies erblühen lässt, bleibt es hier auf der Südseite der Berge karg, heiß und trocken – ideale Bedingungen für den Boswellia Sacra, den Weihrauchbaum, der in den Gotteshäusern des christlichen Abendlandes seine Duftmarke setzt.
Zwei Faktoren haben dem Sultanat Oman in der Vergangenheit zur Blüte verholfen. Die Domestizierung der auch Kamele genannten Dromedare im 2. Jahrtausend vor Christus und die Investitionen in Straßenbau und Gesundheitssystem durch den Sultan Qaboos bin Said ab 1970. Ermöglichten die Kamele einst die antike Weihrauchroute von Oman über Jemen, Mekka, Gaza und Damaskus und den Handel mit Weihrauch, Myrrhe und Gewürzen, verwandelten die Infrastrukturmaßnahmen des Sultans sowie der beginnende Ölexport das ärmliche Agrarland in einen wohlhabenden Staat. Anders als in den hochglanzpolierten Nachbarländern legt man in Oman Wert auf die Verbindung arabischer Tradition mit der Moderne.
Die Gesundheitsversorgung ist für omanische Staatsbürger kostenlos, der Handyempfang einwandfrei und der Sinn für Sauberkeit besonders: Wer auf den Straßen mit einem allzu verstaubten Auto herumgurkt, riskiert ein Knöllchen; Touristen in Mietwagen ausgenommen. Zur Wahrheit des Wohlstands gehört auch ein Bevölkerungsanteil von 45 Prozent Arbeitsmigranten, vornehmlich aus Indien und Bangladesch. Der Mindestlohn liegt bei 325 Omani-Ryal, knapp 800 Euro. Er gilt allerdings nur für Omaner, ebenso wie die Arbeitslosenversicherung und die Rente.
Mit Weihrauch zu Wohlstand
Bauer Mossalem hat sich mit Weihrauch und einer Kamelherde einigen Wohlstand geschaffen. Dabei sind die Arbeitsbedingungen bei der Weihrauchernte höllisch. Ähnlich wie die Dattelpalmen benötigen die Bäume eine Temperatur von mindestens 40 Grad. Das macht die Ernte auch im April zum Knochenjob. Bei seinen Weihrauchbäumen angekommen, geht Mossalem in die Hocke und klopft sein Munchaf, ein scharfes Metallmesser, in einen Holzstiel, bis das Werkzeug einem Zungenschaber ähnelt.
Mossalem ritzt systematisch verschiedene Stellen des Astes an, bis er fließt, der Schweiß der Götter. So nannten die Ägypter das austretende milchige Baumharz, das nun trocknen muss, bis der Bauer es in zwei Wochen „pflücken“ kann. Die „Schweißperlen“ des Baums weisen unterschiedliche Färbungen auf. Zum Räuchern bei Gottesdiensten wird der dunkle Weihrauch verwendet. Beim Verglühen verströmt er seinen aromatischen Duft. Am hochwertigsten sind aber die hellweißen Perlen, sie sind in der Pflanzenheilkunde begehrt und gelten als entzündungshemmend.
Schon die Römer waren Großabnehmer von Weihrauch aus Oman; sie dieselten sich besonders gern mit seinem Duft ein. Neben üblen Gerüchen vertreibt er auch Mücken. Wer den intensiven Geschmack nicht scheut, nutzt ein frisches Harzstück als Kaugummi. Es klebt allerdings hartnäckig an den Zähnen. Mossalem rät: Einige weiße Steinchen in eine Wasserflasche geben, ordentlich schütteln und über Nacht in den Kühlschrank, fertig ist der Vital-Drink.
Kamele haben Vorfahrt
Touristen zieht es nicht nur wegen des Weihrauchs nach Oman. In den Sommermonaten kommen Tausende aus Dubai oder Abu Dhabi wegen des Khareef. Das durch den Nieselregen erwachende üppige Grün ist für die arabische Halbinsel einzigartig und für die Besucher eine Sensation. Europäer zieht es eher in den Wintermonaten her, wenn sich das Wüstenklima auf unter 40 Grad abkühlt. Sie lockt besonders das „Leere Viertel“ Rub Al Khali. Es ist die größte zusammenhängende Sandwüste der Welt und eine der extremsten Landschaften der Erde. Sie bietet aber auch die atemberaubendsten Sonnenuntergänge und den allerfeinsten Sand.
Gern werden die Dune-Bashings gebucht. Dabei lassen die Guides die Luft aus den Reifen ihrer Jeeps und brettern ihre Besucher über die Sandbänke, bis es kracht im Gebälk. Wagt man sich auf eigene Faust mit dem Jeep hierhin, wovon jeder Omani abrät, sind GPS, ein Satellitentelefon, Wasser und ein Pressluftgerät für die Reifen lebensrettende Begleiter. Bei Übernachtungen in einem der Wüstencamps sorgen Guides für die Sicherheit.
Im Umland von Salalah begegnet man nicht nur immer wieder größeren Kamelherden, die am Straßenrand dösen oder sich an den langen Sandstränden tummeln, wo sie laut muhend ihren Nachwuchs versorgen. Auch die Wadis lockern die Landschaft auf. Einige der ausgetrockneten Flussbetten füllen sich während des Khareef mit Wasser und werden zu grünen Oasen. Im Wadi Sinaq lässt sich sogar schwimmen; das langgezogene Wadi Darbat hingegen ist ein Hotspot für Birdwatcher, mit pittoresken Buchten und türkisfarbenem Wasser.
Freunde der italienischen Oper
Nicht nur die blühenden Landschaften und der hochwertige Weihrauch von Oman sind einzigartig. 75 Prozent der Bevölkerung sind Anhänger des liberalen Ibadismus, 25 Prozent Sunniten und 5 Prozent Schiiten. In der „Sultan Qaboos Moschee“ in der Hauptstadt Maskat beten die Gläubigen dieser muslimischen Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander.
Die imposante Moschee steht allen Besucher*innen offen. So erfährt man von weiteren Superlativen: Der im Iran von 600 Frauen mit 1,7 Millionen Knoten in vier Jahren geknüpfte Teppich war ursprünglich 60 x 70 Meter groß. Seit einer Sintflut im Jahr 2022 ist der Teppich in den Ecken etwas eingelaufen. Das sieht man besonders gut durch das Licht der 1.222 Lampen des größten Leuchters der Welt, der mit acht Tonnen schwer von der Decke hängt. Am goldenen Metallkonstrukt funkeln insgesamt eine Million Svarovski-Kristalle.
Ähnlich edel ist eine weitere Besonderheit Maskats ausgestattet: das Opernhaus. Sultan Qaboos, der regelmäßig sein Ferienhaus in Garmisch-Partenkirchen besuchte, war auch ein Freund der italienischen Oper. Ein Erbe, mit dem sein Nachfolger Sultan Haitham nicht viel anzufangen weiß. Trotzdem erfreut sich das Programm großer Beliebtheit, vor allem bei Aufführungen arabischer Künstler. Deutsche Gewerkschafter aber haben bald einen besonders guten Grund für den Besuch: 2025 wird La Traviata gegeben, die berühmte Oper von Verdi.
Die Recherche für diesen Text ist durch Unterstützug von salalah.anantara.com und alilahotels.com/hinubay entstanden.
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Gewerkschaften im Oman
Der Oman ist 1994 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) beigetreten, dennoch sind Gewerkschaften erst seit 2006 erlaubt. Der Weltverband der Gewerkschaften hatte bis dahin eine Exilorganisation, das Nationale Komitee der omanischen Arbeiter, als Vertretung der Beschäftigten anerkannt. Nachdem der Sultan 2006 mit einem Dekret Gewerkschaften zugelassen hatte, gründeten sich die ersten kleinen Gewerkschaften. Einige unter ihnen sind heute Mitglieder des Allgemeinen Verbandes der Gewerkschaften im Oman (GFOTU). Zuletzt hatte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) 2009 in seiner jährlichen Umfrage zu Verletzungen von Gewerkschaftsrechten schwerwiegende Probleme für große Teile der Beschäftigten im Land gemeldet, insbesondere für Wanderarbeitnehmer im Baugewerbe und in der Hausarbeit.