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Foto: Deck/picture alliance/dpa

ver.di publik: Sie erforschen und messen den Einsatz von KI. Warum?

Kellermann: Wir wollen genauer wissen, was uns der KI-Einsatz bringt. Wir haben einen riesigen Hype um künstliche Intelligenz. Es gibt den Versuch, jede Form der menschlichen Arbeit zu automatisieren. Alles, was bislang noch nicht durch andere Maschinentypen automatisiert wurde, soll durch KI automatisiert werden. Aber was bringt die KI am Ende des Tages? Da gibt es eine große Forschungslücke, eine Scheingenauigkeit, gerade was Auswirkungen auf Arbeit betrifft.

Wie ist Ihr Ansatz?

Wir wollen genauer wissen, in welchem Zusammenhang künftige Maschinen – dazu gehört auch der Einsatz von KI – und Automatisierungsgrade stehen. Ein Automatisierungsgrad ist ein guter Annäherungswert für die Wirkungsweise von Technikeinsatz auf Produktivität. Und zu wissen, ob dieses Automatisierungspotenzial tatsächlich vorhanden ist, ist insofern wichtig, weil viel Hoffnung darauf gesetzt wird.

Welche Hoffnungen liegen auf KI?

Einerseits die Hoffnung, damit Geschäfte zu machen – da ist die Beratungsindustrie, man verkauft Knowhow in Betrieben, damit KI implementiert wird und KI-Systeme designed oder von der Stange gekauft werden. Aber es gibt auch viel Hoffnung, was die Überalterung der Gesellschaft angeht. Also speziell in Deutschland, aber auch Ländern wie ­Japan oder Italien, die den entsprechenden demografischen Druck haben – mit einem großen Delta zwischen Erwerbspotential in den jüngeren Generationen und der Welle von Verrentungen in den nächsten Jahrzehnten. Große Hoffnung liegt darauf, mit Hilfe von KI die einzelnen Erwerbstätigen produktiver zu machen. Die Fragen, die uns umtreiben: Ist das ein echtes oder ist es ein falsches Versprechen? Und was sind die Voraussetzungen dafür, dass dieses Versprechen der Produktivitätssteigerung in Erfüllung geht?

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Christian Kellermann ist Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Arbeit und Digitalisierung an der University of Labour in Frankfurt/MainFoto: Agentur Kopf & Kragen

Es geht auch darum, Arbeitskräfte zu ersetzen.

Zum Teil auch Arbeit oder Arbeitsbereiche zu ersetzen, Aufgaben sowieso. Das war schon immer Ziel von Maschineneinsatz, mühsame oder lästige Aufgaben zu ersetzen, auch mit dem Ziel Arbeit aufzuwerten, also zu verbessern, sodass sie mehr Spaß macht, interessanter ist und am Ende auch besser entlohnt wird oder man eine bessere Vereinbarkeit hat. Das sind wesentliche Parameter, um den Technikeinsatz möglichst gewinnbringend für alle Beteiligten zu nutzen. Aber es geht natürlich auch um den Ersatz von menschlicher Arbeit, gerade mit Hinblick auf diese enorme Lücke zwischen der Erwerbsbevölkerung in den nächsten 30, 40 Jahren.

KI gegen Fachkräftemangel?

Das ist die Hoffnung. Ein Beispiel, das häufig zitiert wird, ist die Bundesagentur für Arbeit. Angenommen 30 Prozent der Mitarbeitenden gehen in den Ruhestand – und zwar innerhalb kürzester Zeit, bis 2030 – das ist quasi morgen –, kann man diese 30 Prozent so schnell nicht ersetzen. Also ist die Frage, wie kann man Aufgaben ersetzen und Arbeit innerhalb dieser großen Behörde mit über 100.000 Beschäftigten umverteilen. Die Hoffnung ist, dass Technikeinsatz die fehlenden Fachkräfte ein Stück weit ersetzt.

Wie wirkt sich KI auf Arbeit und Gesellschaft aus, was haben Sie herausgefunden?

Der Blick in die USA ist aufschlussreich. Dort werden am meisten Untersuchungen gemacht, wie sich KI auf Arbeit auswirkt. Und es gibt im Prinzip zwei Beobachtungen: Die eine ist, dass es zu einer weiteren Polarisierung kommt. Dass die Hochqualifizierten besonders vom KI-Einsatz profitieren – also deren Produktivität überproportional zu den Menschen steigt, die ein niedrigeres Bildungsniveau haben, und zu deren Tätig­keiten. Das ist eine Fortschreibung der Digitalisierungsentwicklung, wie wir sie in den letzten 50 Jahren beobachtet haben. Auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO sieht diesen Polarisierungseffekt, und ergänzt, dass er sich übertragen lässt auf die ungleiche Entwicklung von reichen und armen Ländern.

Und die zweite These?

Die kommt von berühmten Stimmen wie David Autor, einem bekannten Arbeitsökonom aus den USA, der viel mit dem neuen Nobelpreisträger Daron Acemoglu zusammengearbeitet hat, um die Arbeitsmarkt- und Arbeitseffekte von KI-Einsatz und Digitalisierung und Robotik in den USA zu messen. Er hat die These lanciert, dass die Mittelklasse gestärkt aus der KI-Revolution hervorgehen kann. Also die Bildungsmittelklasse, die bislang der große Verlierer der Digitalisierung war, weil Facharbeit stark durch den ­klassischen Maschineneinsatz, durch die Robotik ersetzt wurde. Autor sagt, dass Tätigkeiten, die ein gewisses Maß an ­Expertise und Problemlösungsfähigkeit erfordern – im Gegensatz zu vielen repetitiven und manuellen Aufgaben, also Arbeitsplätzen für weniger qualifizierte Arbeitskräfte – durch KI nicht vollständig ersetzt werden können. Stattdessen würde die KI diese Tätigkeiten unterstützen und effizienter machen, was zu einem neuen Angebot an anspruchsvollerer und technikunterstützter Arbeit führen würde. Tätigkeiten, die technisches Wissen und Expertenfähigkeiten erfordern, könnten vor allem den Menschen zu­gutekommen, die nicht über die ent­sprechende Ausbildung verfügen, aber dennoch mittels KI diese fachlich anspruchsvolle Aufgabe erfüllen können. Damit könne die Aushöhlung der Mittelklasse durch den KI-Einsatz umgekehrt werden. Spannende Hypothese!

Aber bislang nur Gedankenspiel?

Bislang können wir beide Hypothesen noch nicht bestätigen. Weder die erneute Polarisierungshypothese noch das Wiedererstarken der Mittelklasse. Aber genau an der Wegscheide stehen wir. Hier sind natürlich ver.di und andere relevante zivilgesellschaftliche und politische Akteure gefragt, um diesen Prozess so zu steuern, dass es eben nicht zu einer weiteren Polarisierung kommt.

Der Blick Richtung USA macht da wenig Hoffnung.

KI in der Arbeitswelt ist immer Chance und Gefahr zugleich – und das liegt natürlich auch im politischen System begründet. Es wäre natürlich prima, wenn sich Arbeitsprozesse so kompensieren oder vereinfachen lassen, dass die freigewordene Arbeitszeit für schönere, qualitativere, kreativere Dinge oder eben als Gegenmittel für den Fachkräftemangel eingesetzt werden kann. Aber die Gefahr ist immer, dass es Leute gibt, die aus dieser freigewordenen Arbeitskraft noch mehr Rendite machen wollen. Umso wichtiger ist es, dass politische, aber natürlich auch von Gewerkschaften vorangetriebene Rahmenbedingungen geschaffen werden. Was mit der KI-Verordnung auf EU-Ebene in Europa schon teilweise passiert ist. Jetzt geht es unter anderem darum, wie konkret wir die Öffnungsklausel im AI-Act nutzen, die spezifische Regelungen im Beschäftigungsbereich ermöglicht.

Interview: Fanny Schmolke

KI beschäftigtenorientiert gestalten:

university-of-labour.de/veranstaltungsreihe/menschzentriertes-ki-management