DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS #3 ©Films Boutique_Alamode Film.jpg
Foto: Alamode Film

Die Saat des heiligen Feigenbaums

Dieser Film ist ein Tribunal. Er richtet über den theokra-tischen Staat Iran, und er richtet ihn gnadenlos hin. Der iranische Regisseur und Berlinale-­Gewinner Mohammad Rasoulof wurde im Mai aufgrund seiner Filme zu acht Jahren Haft, Auspeitschung und Beschlagnahme seines Eigentums verurteilt. Bevor das Urteil wegen der politischen Wucht von Die Saat des heiligen Feigenbaums in verschärfter Form in Kraft treten konnte und noch vor der Weltpremiere in Cannes, wo der Film schließlich den Spezialpreis und stehende Ovationen erhalten sollte, entschied sich Rasoulof zur Flucht zu uns. Deshalb darf Deutschland den Film als Oscar-Beitrag in der Kategorie „Bester internationaler Film“ einreichen.

22_23_kultur_AUFMACHER_SHF.PL_A5_rgb_300dpi.jpg
Verleih

Erzählt wird eine Familiengeschichte. Iman hat gute Neuigkeiten für seine Frau Najmeh. Der Staatsanwalt wurde zum Untersuchungsrichter befördert, denn es gibt viel zu tun. Es ist Herbst 2022 und die jungen Frauen Irans haben nach dem Mord des Staates an der Studentin Jina Mahsa ­Amini eine Revolution losgetreten. Dafür müssen nun Todesurteile unterschrieben werden. Zu seinem Schutz erhält Iman eine Pistole. Während seine Teenager-Töchter begierig die (originalen) Handyvideos der Demos verfolgen, dämmert dem Vater seine neue Aufgabe. Täglich muss er Hunderte junger Menschen aufhängen lassen; der Druck seiner Kollegen im Staatsapparat ist enorm. Und Iman beginnt, ihn an seine Töchter weiterzugeben. Ab jetzt sollen sie jede noch so kleine persönliche Freiheit dem neuen Job des Vaters opfern.

Dann gerät die befreundete Studentin Sadaf in die Demos, wo ihr die Revolutionsgarden ein Auge ausschießen. Als auch noch Imans Pistole verschwindet und er die Töchter verdächtigt, zieht der Mann den Strick um Frau und Kinder fester, bis buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleibt. Trotz der Länge des Films fesselt die Spannung dieses heimlich gedrehten Politthrillers bis zur letzten Minute. Die Familienaufstellung erklärt sich von allein. Die Töchter stehen für die jungen Frauen der Freiheitsbewegung, die Mutter für die Frauen im Tschador, die das alles seit 40 Jahren zu ermöglichen scheinen, der Vater für das Regime, das sich nur durch die brutale Unterdrückung der Frau an der Macht halten kann. Und doch ist jede der Figuren komplex gezeichnet und entwickelt sich im Laufe dieses starken Psychogramms einer Familie unter tödlichem Druck. Ein Film mit revolutionärer Kraft. Jenny Mansch

IRN/D/F 2024. REGIE: MOHAMMAD RASOULOF. D: SOHEILA GOLESTANI, MAHSA ROSTAMI, SETAREH MALEKI, NIOUSHA AKHSHI, MISAGH ZAREH. L: 160 MIN., KINOSTART 26.12.24

22_23_KULTUR_FILM_TÖNE_2.jpeg
Verleih

Die leisen und die großen Töne

Zwei musikalische Begabungen, zwei Lebensläufe: der eine ein renommierter Dirigent, der andere Posaunist in einer Blaskapelle. Ihr halbes Leben lang wussten die Brüder nicht, dass sie nach der Geburt getrennt und von Müttern unterschiedlicher sozialer Milieus adoptiert wurden. Das gut gehütete Geheimnis drängt ans Licht, als Thibault an Leukämie erkrankt und der Knochenmarkspende eines Blutsverwandten ­bedarf. Aber das ist nur der dramatur-

gische Aufhänger für ein feinfühliges Drama, das Gegensätze versöhnt und sich nicht anmaßt, Volksmusik als minderwertige Kunst gegenüber der klassischen Musik abzuwerten. Thibault unterstützt den benachteiligten Bruder dabei so gut wie möglich, mit seiner Truppe einen nationalen Wettbewerb zu gewinnen. Jimmy steckt sich jedoch bald höhere Ziele, die für ihn unerreichbar sind und neidet dem Bruder den besseren Karrierestart. Ein unrealistisches Happy End versagt sich der künstlerisch anspruchsvolle Film, aber auch ohne gelingt ein berührendes Hohelied auf die Kraft der Musik. Am Ende summen und spielen Jimmys Kapelle und Thibaults Sinfonieorchester zusammen den Bolero von Ravel. Kirsten Liese

F 2024. R: Emmanuel Courcol. D: Benjamin Lavernhe, Pierre Lottin, Sarah Suco u.a., 103 Min., Kinostart: 26.12.24

22_23_Kultur_FILM_es_liegt_an_dir_cherie_02.jpeg
Verleih

Es liegt an Dir, Chéri

Die Leroy sind eine ungewöhnliche, exzentrische Familie. Allen voran sorgt Christophe, das Oberhaupt, für Aufregungen mit allerhand tollen Ideen, die er in der Umsetzung oft vermasselt. So wie sich hinter jedem neuen Abenteuer aber stets eine liebenswerte Absicht verbirgt, hat es seine Frau lange mit ihm ausgehalten. Mittlerweile aber haben die nervenzehrenden Eskapaden überhandgenommen, und nun, wo aus ­ihren Kindern junge Erwachsene geworden sind, will sie die Trennung. So leicht aber lässt sich der aufdringliche Schlawiner nicht abwimmeln. Auf einem Überraschungsausflug will er noch einmal um die Familie kämpfen. Man ahnt es, neue absurde Katastrophen bahnen sich an. Der Franzose Bernard findet für diese vergnügliche Komödie die richtigen Zutaten: Skurrilität, Witz, Geist und auch ein bisschen Slapstick. Wer den Pechvögeln bei ihren kuriosen Malheurs zuschaut, hat gut lachen. Und doch wachsen sie einem ans Herz, wie sie ­ihren Konflikten trotzen, und wenn es darauf ankommt, sympathisch zusammenstehen. Kirsten Liese

F 2024. R: Florent Bernard. D: C. Gainsbourg, J. Garcia, L. Aubry. 113 Min., KinoStart: 19. 12.24