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Gewerkschafterin Sineva Ribeiro führt die Streiks der Pflegekräfte anFoto: TT NYHETSBYRÅN/picture alliance

Rechte bis rechtsextreme Parteien erhalten in Dänemark, Norwegen und Schweden in den vergangenen Jahren immer mehr Stimmen und Einfluss, selbst wenn andere Parteien in der Regierung sitzen. Am drastischsten ist der Einfluss rechts der Mitte gegenwärtig in Schweden zu sehen, wo die derzeitige Regierung nur mit Unterstützung der extrem rechten Partei „Schwedendemokraten“ (SD) zustande gekommen ist. Die Parteien ­Moderate, Liberale und Christdemokraten einigten sich 2022 auf eine Koalition, nachdem die Sozialdemokraten und die Schwedendemokraten die Mehrheit der Stimmen erhalten hatten. Die Sozial­demokraten hatten sich allerdings geweigert, mit den SD zusammenzuarbeiten. Die Mitte-rechts Koalition ließ sich hingegen auf einen Deal ein, um trotz weniger Wählerstimmen regieren zu können. 

Und das funktioniert so: Bei wichtigen Fragen haben die SD eine Sperrminorität. Sie regieren zwar nicht mit, ihre Forderungen sind aber dennoch in die Regierungserklärung eingeflossen. Die Folgen sind unter anderem strengere Einwanderungsregeln, ein höheres Mindesteinkommen für das Erhalten der schwedischen Staatsbürgerschaft und die Pflicht für das Pflegepersonal, Menschen beim Staat zu melden, die kein Aufenthaltsrecht in Schweden haben. 

Vor allem letzteres ist einer der Einschnitte, der laut Sineva Ribeiro, Präsidentin der Gewerkschaft für Krankenhauspersonal (Vårdförbundet), ihre Mitglieder in der Arbeit unmittelbar betrifft. „Und das ist nur eine der Verschlimmerungen, die sich in den vergangenen Jahren in diesem Beruf ergeben haben“, sagt sie. Zwar sind die Bedingungen in der Pflege, die in Schweden staatlich organisiert ist, nicht erst seit 2022 prekär. Verschärft haben sie sich vor allem seit der Pandemie. Jedoch ist die Situation, so Ribeiro, in den vergangenen beiden Jahren, seit die neue Regierung das ­Zepter in der Hand hält, noch schlechter geworden. Die Arbeitszeiten wären immer weniger vereinbar, etwa mit dem Familienleben, gerade für Krankenschwestern und Hebammen. „Während in der Pandemie die Arbeitsbedingungen für die, die im Büro arbeiten, immer flexibler wurden, sind sie für unseren Berufsstand immer schwieriger geworden.“ 

Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich die schwedische Regierung stets darauf beruft, wenn es um den Pflegenotstand geht, dass die Pflege in der Verantwortung der Regionen liegt. Offensichtlich ist, dass die Kapazitäten knapp sind: Im 10-Millionen-Einwohnerland Schweden gab es einer britischen Untersuchung 2022 zufolge insgesamt nur 21.888 Krankenhausbetten. Das sind nur 2,07 Betten pro 1.000 Personen. Es gibt nur vier OECD-Länder, die weniger Betten pro Person haben: Mexiko, Kolumbien, Costa Rica und Chile.

Florierender Schwarzmarkt mit Untervermietungen 

Auch an Wohnungen mangelt es in Schweden massiv. Mietwohnungen sind rar, der Wohnungsmarkt ist durch Warte­listen streng reguliert. Aufgrund der hohen Nachfrage und den wachsenden Großstädten Malmö, Göteborg und Stockholm floriert ein Schwarzmarkt mit Untervermietungen. Und auch die Neubauten, mit denen die Politik derzeit auf die Wohnungskrise reagiert, lösen das Problem nicht.

Jakob Wagner, Sekretär bei der Byggnad (Gewerkschaft für Bauarbeiter), sagt, dass es viel leichter gewesen sei, mit der vorherigen sozialdemokratischen Regierung zusammenzuarbeiten. „In der Wohnungskrise muss der Staat einschreiten. Aber stattdessen wiederholt die derzeitige Regierung eigentlich nur das alte Dogma: Der Markt wird es schon regeln.“ Damit folgen sie laut dem Gewerkschafter der Tradition der liberalen Wohnungspolitik der 90er Jahre. Damals hatte eine Finanzkrise dazu geführt, dass der Wohnungsmarkt infolge der Inflation kollabierte. Daraufhin wurden viele Beschäftigte auf dem Bau langzeitarbeitslos, und von dieser Krise habe sich die schwedische Baubranche nie wirklich erholt. Dagegen gäbe es historische Beispiele, dass durch staatliche Investitionen 50.000 Wohnungen zu bezahlbaren Preisen gebaut werden konnten. 

Die Gewerkschaft der Bauarbeiter steht wie alle schwedischen Gewerkschaften traditionell eher den Sozialdemokraten nahe. Unter den Mitgliedern, so macht es immer wieder Schlagzeilen, befindet sich aber auch ein größerer Anteil von Wähler*innen der Schweden­demokraten. Die Ursache sieht Wagner in der Unzufriedenheit mit der liberaleren Politik der letzten Jahre. Die Klassen­unterschiede im Land seien gestiegen. Zudem missfalle einigen in der Branche, dass ausländische Fachkräfte billig angeheuert werden, was Lohndumping zur Folge habe. „Unser Ziel und unsere Forderung ist es, dass alle in Schweden zu schwedischen Arbeitsbedingungen arbeiten, auch die ausländischen Arbeitskräfte“, sagt Wagner. Die Reaktion der Gewerkschaft auf die derzeitige Politik sei daher klar: Es brauche eine expansivere Politik, e­ine bessere Ausbildung der Fachkräfte und bessere Löhne. 

Die Gewerkschaften in Schweden sind traditionell sehr stark und werden nicht müde, für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Teslas Widerstand gegen Union Busting dauert zum Beispiel bereits seit über einem Jahr an. Die Gewerkschaften in ihren Rechten zu beschränken, wäre auch für eine liberale bis rechte Regierung taktisch unklug.

Die nächste Wahl in Schweden steht 2026 an. Jimmie Åkesson, der Vorsitzende der rechten Schwedendemokraten, hat bereits kundgegeben, in der nächsten Regierungsperiode nicht mehr nur ein unterstützender Partner sein zu wollen. Er will Ministerposten. Die Brandmauer der bürgerlichen Koalition – sie ist längst eingestürzt.