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Unweit vom Offenbacher Hauptbahnhof dominieren die BilligshopsBernd Hartung

Wo Offenbach noch sparen soll, weiß in der Stadt niemand: Das Hallenbad wurde bereits vor vielen Jahren in ein Hotel umgewandelt, die Straßen werden schon lange nur noch notdürftig geflickt, in die Stadthalle regnet es rein und der Bus fährt immer seltener. „In der Stadt ist an allen Ecken und Enden zu spüren, dass kein Geld da ist“, sagt die Erzieherin Karen Reusch, die bei ver.di aktiv und Mitglied im Gesamtpersonalrat der Stadt ist. An Offenbach zeige sich, was die kommunale Finanzkrise vor Ort anrichtet. „Vor allem treffen die Kürzungen arme und bedürftige Menschen.“ Und die Beschäftigten. „Wenn es so weitergeht, ist der soziale Zusammenhalt in der Stadt in ­Gefahr“, fürchtet Karen Reusch.

Besonders die Sozialausgaben schlagen in den Kommunen zu Buche. So stiegen in Offenbach im letzten Jahr allein die Ausgaben beim Jugendamt um 12 Millionen Euro, unter anderem für Schulassistenz. Hinzu kamen höhere Kosten beim Sozialamt etwa für Hilfen zum Lebens­unterhalt oder zur Pflege. „Auf den Großteil der sozialen Leistungen besteht ein Anspruch per Gesetz“, erklärt die Personalrätin. „Das ist auch gut so. Allerdings lassen Bund und Land die Kommunen mit den Kosten weitgehend allein.“

Zum Beispiel haben bundesweit alle Grundschulkinder ab nächstem Jahr ­einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz. Die Städte müssen bis dahin die notwendigen Räume bereitstellen und Mensen fürs Mittagessen einrichten. Offenbach rechnet mit Investitionen von 100 Millionen Euro. „Das Land gibt fünf Millionen dazu“, sagt Karen Reusch. Wie soll eine hochverschuldete Stadt wie Offenbach 95 Millionen Euro aufbringen? „Da herrscht große Ratlosigkeit. Alle wissen nur: Das wird teuer.“ Zumal ein Großteil der Einnahmen schon heute für Zinsen und Tilgung von Schulden draufgehe. „Aus der Spirale kommt Offenbach gar nicht mehr raus.“

Kein Einzelfall

Und Offenbach ist kein Einzelfall: In dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ haben sich über 70 Kommunen mit insgesamt fast neun Millionen Einwohner*innen aus acht Bundesländern zusammengeschlossen. Gemeinsam fordern sie mehr Unterstützung von Bund und Ländern. Schon im ersten Halbjahr 2024 mussten Städte und Gemeinden ­ihren Angaben zufolge rund 2,4 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, um ihre Pflichtaufgaben noch erfüllen zu ­können.

„Die schwarze Null geht immer vor. Deshalb wird nur hier und da not­dürftig etwas Geld reingesteckt.“
Karen Reusch, Erzieherin und Personalrätin

In Offenbach leben viele Familien in ­Armut. Sie seien ganz besonders auf ­Angebote im Stadtviertel angewiesen, betont Karen Reusch. Vor allem Kinder und Jugendliche. Doch in der Stadt gebe es zu wenig Spielplätze und Sporthallen. Und nur noch ein einziges Schwimmbad. Offenbach habe den Betrieb des Freibads aus Kostengründen einem Verein übertragen, müsse finanziell jedoch immer wieder einspringen. Im Winter wird das Freibad provisorisch mit einer Traglufthalle versehen. „Energetisch sicher nicht sehr sinnvoll“, meint die Personalrätin. „Aber die schwarze Null geht immer vor. Deshalb wird nur hier und da notdürftig etwas Geld reingesteckt.“

Auch die Jugendzentren hätten lediglich ein paar Stunden pro Woche geöffnet. Jugendliche hingen häufig in Parks rum. „Wo sollen sie hin?“ Dabei könnten Fachkräfte in Jugendzentren die jungen Leute mit Angeboten unterstützen, zum Beispiel eine Ausbildung zu finden. An der Musikschule hält Offenbach fest, genauso wie an einer neuen Stadtbibliothek, auch wenn sich stets die Frage stellt: „Wie lässt sich das finanzieren?“ Die Stadt ­bemühe sich nach Kräften, Fördergelder zu beantragen. Zum Beispiel für Schul­sanierungen. Doch oft funktioniere selbst an neuen Schulen das Internet nicht, weil IT-Personal fehle.

Der Rotstift

Trotz all der Sparmaßnahmen wächst in Offenbach der Schuldenberg weiter an. Die Mehrausgaben im letzten Jahr er­fordern einen Nachtragshaushalt, das ­Regierungspräsidium muss zustimmen. Wieder heißt es: kürzen. Der Rotstift trifft vor allem freiwillige Leistungen für Bürgerinnen und Bürger – und das Personal. Seit letztem Sommer dürfen freie Stellen bei der Stadt drei Monate lang nicht neu besetzt werden. Außerdem gibt es eine Beförderungssperre. „Wie immer ist es am einfachsten, bei den Personalkosten zu sparen“, sagt Behrad Ghofran, bei ver.di zuständig für Offenbach. Das gelte für alle Bereiche, mit Ausnahme von Feuer­wehr oder Rettungsdienst, wo es ­gesetzliche Personalvorgaben gibt. „Die Beschäftigten haben die Finanznot auszubaden, auf Kosten ihrer Gesundheit.“

Im Jobcenter kommen die Beschäftigten mit der Arbeit kaum hinterher. Jeder im Team ist für etwa 160 bis 170 Personen zuständig, bietet persönliche Beratung oder prüft Ansprüche, etwa auf Zuschüsse für Heizkosten, Umzüge oder kaputte Waschmaschinen. Kündigt jemand oder geht in Rente, werden die Fälle auf die Kolleginnen und Kollegen aufgeteilt. „Dabei haben wir die Arbeit schon vorher kaum geschafft“, sagt Ertan Caliskan, ­Personalrat bei Mainarbeit. „Das sorgt für viel Frust.“ Da Fristen bei Anträgen einzuhalten sind, entsteht bei den Kolleginnen und Kollegen immer mehr Druck. Überstunden sind an der Tagesordnung. „Hinzu kommt, dass wir den Ansprüchen der Kunden oft nicht gerecht werden ­können.“ Die Politik wecke Erwartungen, etwa für Fort- und Weiterbildungen. Doch im Jobcenter müssten sie immer wieder antworten: „Tut uns leid, dafür ist leider kein Geld da.“

Sehr zu schaffen macht dem Gewerkschafter, dass viele freiwillige Leistungen gestrichen werden. Darunter Angebote für allein­erziehende Mütter, für Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen und Maßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen. „Ich möchte für Menschen da sein, möchte Menschen helfen“, sagt Ertan Caliskan. „Was soll jetzt aus ihnen werden? Keiner weiß es.“ Die Sparmaßnahmen ­träfen vor allem jene, die „ganz, ganz ­unten“ seien.

Karen Reusch warnt: „Wenn das System nicht mehr funktioniert, schwindet das Vertrauen in die Demokratie“, sagt die 29-Jährige. Rechte Kräfte hätten leichtes Spiel. „Wenn jemand mit einfachen Antworten daherkommt, sind die Leute leider sehr empfänglich.“ Die AfD habe in Offenbach erschreckend hohe Wahlergebnisse, vor allem für eine Stadt mit so einem hohen Migrationsanteil. Wichtig sei die Erfahrung in der Kommune vor Ort etwas bewirken zu können, betont die Erzieherin. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, die noch schlechter dastehen, und zu fürchten, dass sie einem etwas wegnehmen, gelte es, enger zusammenzurücken. „Und gemeinsam Druck aufzubauen.“ Für soziale Gerechtigkeit.

Editorial: Bundestagswahl

ver.di wählt

Die Programme der Parteien, die zur Bundestagswahl am 23. Februar antreten, liegen seit Wochen vor. Auf Wahlveranstaltungen, Marktplätzen, in Interviews, in Medien jeglicher Art werden wie bei jeder Wahl wieder viele Versprechungen gemacht – und nicht erfüllt. Weil in der Demokratie immer Kompromisse gemacht werden müssen. Am Ende werden auch nie alle Forderungen der Menschen an die Politik erfüllt werden. Auch das gehört zur Demokratie. Und es gilt auszuhalten, wenn eine demokratische Mehrheit etwas anderes entscheidet. ver.di hat mit ihren Forderungen die Interessen ihrer Mitglieder und mit ihnen die gesamte Gesellschaft im Blick. Soziale Gerechtigkeit steht dabei im Mittelpunkt. Und die lässt sich wählen. Petra Welzel