Ausgabe 01/2025
Die Kilostemmerin
Ich bin ausgebildete Sozialarbeiterin. Doch nach Heirat und Erziehungszeit mit vier Kindern hatte ich für diese Arbeit den Anschluss verloren. So bin ich als Quereinsteigerin vor 15 Jahren bei der Post gelandet. Damals gab es eine Ausschreibung für eine halbe Stelle in der Zustellung, die für mich optimal war. Ungefähr zehn Jahre lang habe ich mit dem Rad Briefe, Kataloge und Werbung zu den Kund*innen gebracht. Das bedeutete auch, bei jedem Wetter die Post zuzustellen. Aber es hat mir meistens Spaß gemacht. Mittlerweile wird außerhalb der Kernstädte nur noch im Verbund (Briefe und Pakete) zugestellt. Und da mein Bezirk in Wolbeck liegt, einem Vorort von Münster, bin ich vor einigen Jahren umgestiegen, und zwar buchstäblich: Mit dem Auto befördere ich weiter alle Briefe, Kataloge und Karten, aber auch Pakete bis zu 31,5 Kilogramm Gewicht. Das ist eine sehr harte Arbeit, und es gibt den Plan, das Höchstgewicht, bis zu dem wir Pakete ausliefern, auf 23 Kilo zu reduzieren. Das ist aber leider noch nicht umgesetzt.
Aus-, einsteigen, 200- bis 300-mal am Tag
Was auf Dauer zusätzlich anstrengt und den Rücken belastet, ist das ständige Aus- und Wiedereinsteigen ins Auto – immerhin so zwischen 200- und 300-mal am Tag. Das Wetter ist weiter ein Thema, nun halt aus Fahrerinnenperspektive bei Glatteis, Starkregen oder brütender Hitze. Aber ich will nicht klagen. Vieles bereitet mir Freude, denn in der Zustellung habe ich doch einige Freiheiten, wie ich die Arbeit angehe. Ich bin aber beim Sortieren der Post auch gerne mit den Kolleg*innen zusammen, und zu den Kund*innen habe ich ebenfalls einen guten Draht. Negativ ist die große Fluktuation in der Zustellung. Sicher hat die mit den Arbeitsbedingungen zu tun, zu denen nach wie vor gehört, lange in befristeter Anstellung zu arbeiten.
Die hohe Wechselrate erschwert leider die Mobilisierung für Arbeitskämpfe. Dabei wollen die Kolleg*innen unbedingt in der anstehenden Tarifrunde erreichen, dass die Forderungen nach 7 Prozent mehr Geld und drei – für ver.di-Mitglieder vier – zusätzlichen Urlaubstagen ernst genommen werden. Das wurde auf unserer sehr gut besuchten Betriebsversammlung deutlich. Ich bin gut neun Jahre bei ver.di und inzwischen als Vertrauensfrau nah an den Wünschen der Kolleg*innen dran. Nun hoffe ich, dass wir erfolgreich mobilisieren, denn der Arbeitgeber wird uns einen guten Abschluss nicht schenken.
Am Feierabend genieße ich es, mit meinem Riesenschnauzer rauszugehen. Außerdem habe ich regelmäßigen Kontakt zu meinen erwachsenen Kindern. Seit kurzem bin ich zudem Großmutter. Auch wenn ich gerne früher mit der Arbeit aufhören würde, macht mir die jährliche Rentenauskunft klar, dass ich wohl bis 67 oder kurz davor arbeiten muss, damit das Geld im Alter reicht.
Protokoll: Gudrun Giese; Foto: Christian Jungeblodt