Ausgabe 01/2025
„Dieser Anschlag sitzt tief“
In Magdeburg hängt noch die Weihnachtsbeleuchtung an den Laternen in der Innenstadt. Auf den ersten Blick wirkt sie wie viele Städte in Deutschland: Neben der Universität und der Bibliothek, gibt es im Zentrum zahlreiche Geschäfte, Restaurants und Cafés. Und eine Kirche. Am Platz vor der Johanniskirche aber liegen Kränze und Blumen, zum Gedenken an den schrecklichen Anschlag vom 20. Dezember 2024.
Der 20. Dezember habe die Stadt verändert, sagen viele. An diesem Tag raste ein Mann absichtlich mit dem Auto auf den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt und verletzte fast 300 Menschen, sechs Menschen starben. Seitdem kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Zur Verunsicherung und den Sorgen aller Magdeburger*innen, kommt für viele die Angst vor rassistischen Anfeindungen noch dazu.
Fatima*, in Magdeburg aufgewachsen, arbeitet im Intensivbereich in einem der Krankenhäuser der Stadt. „Ich liebe Magdeburg“, sagt sie und legt dabei die Hand aufs Herz. Sie sagt es, obwohl Rassismus für sie hier zur Alltagserfahrung gehört. Manchmal sind es Sprüche, manchmal Blicke. „Wir sehen ja nicht deutsch aus“, sagt sie öfters im Gespräch.
Wie prägend diese Erfahrung ist, wird klar, als Fatima vom Tag des Anschlags erzählt. Sie wollte mit einer Freundin selbst den Weihnachtsmarkt besuchen, aber dann sind sie doch zuhause geblieben. Besorgte Anrufe von Freunden hätten sie darauf gebracht, dass etwas passiert sein muss, erzählt sie. „Es war schlimm, weil das Ausmaß erst so unklar war. Man wusste nicht, was los ist. Trotzdem habe ich zu meiner Freundin, die deutsch ist, gesagt: Ich hoffe so sehr, dass es kein Ausländer war.“
Der Attentäter stammte aus Saudi-Arabien, lebte seit 2006 in Deutschland und arbeite hier als Psychologe. Fatima war sicher, dass Rassisten das Ereignis für sich nutzen würden. „Eigentlich ist ja klar, dass niemand so einen Anschlag gut findet und dass wir nichts damit zu tun haben. Aber es ist immer so, wenn was passiert, dann sind wir alle Araber, oder Syrer, oder Muslime. Je nachdem, wer der Täter war.“ In den Tagen danach habe sie auch deswegen vermieden, irgendwo allein hinzugehen.
Jeden Tag ein neuer rechter Angriff
Das Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (LAMSA) dokumentiert seit dem Anschlag innerhalb nur eines Monats rund 20 Fälle von rassistischen Beleidigungen, verbalen und körperlichen Angriffen, Sachschäden und Vandalismus – ein drastischer Anstieg um 200 Prozent. Und jeden Tag kommt eine neue Meldung über rechte Angriffe dazu. Die größte Gruppe der Betroffenen haben Migrationsgeschichte, sind People of Colour.
Annett Kannenberg-Bode ist die ver.di-Geschäftsführerin des Bezirks Sachsen-Anhalt-Nord, zu dem die Landeshauptstadt Magdeburg gehört. Ihr Büro ist gegenüber dem Bahnhof, der Ort des Anschlags ist nicht weit von hier. Zur Zeit der Amokfahrt saß sie mit anderen in einem Café gegenüber der Uniklinik, in Sichtweite der Notaufnahme. „Noch bevor der erste Rettungswagen dort ankam, gab es auf Social-Media-Plattformen allerlei Desinformation darüber, was passiert ist“, erzählt sie. „Dieser Anschlag sitzt tief“, sagt sie. „Wir waren alle geschockt und verunsichert. Aber die rechte Mobilisierung, die Angriffe in der Stadt, die Sorge um die Demokratie, das sitzt genauso tief.“
Krzysztof Blau, Vorsitzender des Beirates für Migration und Integration und ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter Magdeburgs, sagt, die rechten Erzählungen und unsachliche Debatten über Migration seien zu lange verharmlost worden, zum Teil von der Mitte sogar übernommen. Die Folgen habe man nach dem Anschlag gemerkt: „Da gab es schnell eine Art gegeneinander. Dabei waren wir doch auch betroffen! Wir waren Opfer, wir waren Ersthelfer. Es war auch unsere Trauer.“ Er geht davon aus, dass die Mehrheit der Gesellschaft die Einstellungen der AfD oder Neonazis nicht teilt. „Aber sie müssen sich auch zeigen!“
Nur wenige Tage nach dem Anschlag wurden Fatima und ihr Mann von einem Unbekannten in der Innenstadt attackiert. Obwohl sie es befürchtet hatten, kam der Angriff plötzlich. Während sie in ihrem geparkten Auto saßen, schlug er auf die Scheibe und beschimpfte sie, erzählt sie. Statt wegzufahren, hätten sie die Polizei gerufen. Bis die eintraf, habe der Angreifer sie immer wieder rassistisch beleidigt und schließlich in einem unerwarteten Augenblick durch das spaltbreit offene Autofenster gegriffen und verletzt. Die Polizei habe den Täter zwar festgenommen, erzählt Fatima. Doch schon nach wenigen Stunden sei sie ihm in der Aufnahme des Krankenhauses wieder begegnet, wo sie und ihr Mann sich untersuchen lassen wollten. „An meinem Arbeitsplatz, wo ich zwei Tage vorher noch die Anschlagsopfer versorgt habe. Das war wirklich zu viel.“
Rund 4.000 Menschen versammelten sich am 23. Dezember unter dem Motto „Wir wollen trauern – Gebt Hass keine Chance!“ zu einer Menschenkette um den Weihnachtsmarkt. Der Hass aber war nicht weit: Die rechtsextreme AfD hatte mit falschen Behauptungen und einem Zusammenhang mit der Asylpolitik zu einer zeitgleichen Veranstaltung am Domplatz aufgerufen. Und das, obwohl der Amokfahrer laut Verfassungsschutz den Inhalten der in weiten Teilen rechtsextremen AfD politisch nahestand.
„Magdeburg ist eigentlich eine bunte und auch solidarische Stadt“, sagt Annett Kannenberg-Bode. Doch Wahlumfragen zeigen, dass die allgemeine Zustimmung zu rechten Positionen gestiegen ist. Auf Wunsch von Kolleg*innen hat sie Workshops organisiert, in denen geübt werden kann, dem rechten Gedankengut im Alltag entgegenzutreten. „Die demokratische Mehrheit gibt es noch, aber sie muss sichtbarer werden, um dem Hass und der Hetze bewusst etwas entgegenzusetzen.“
Dazu möchte auch Jada Friedrich beitragen. Die Auszubildende ist im letzten Jahr ihrer Pflegeausbildung in der Universitätsmedizin Magdeburg. Sie ist ver.di-Mitglied und Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Als der Angriff passierte, war sie gerade auf dem Weihnachtsmarkt. Körperlich verletzt wurde sie nicht. Aber: „Ich war wirklich nah dran“, sagt sie. Ohne nachzudenken, begann sie sofort damit, erste Hilfe zu leisten und assistierte später den Rettungskräften. Das Erlebnis hat sie schockiert.
Die rechten Angriffe in Magdeburg, denkt Jada, stehen im Zusammenhang mit der insgesamt wachsenden Zustimmung zu rechten Positionen. Auch im Krankenhaus gäbe es ein Rassismus-Problem, da arbeite eben der Durchschnitt der Bevölkerung. „Wenn das angesichts der Angriffe nicht angegangen wird, ist das eine vertane Chance“, ist sie überzeugt. Ein Kollegium muss sich verstehen und vertrauen, rechte Überzeugungen verhindern das. In einem solchen Umfeld will Jada nicht arbeiten.
Kolleg*innen können dagegen solidarisch zusammenstehen und Arbeitgeber sollten ihre Verantwortung ernst nehmen. „Dazu gehöre unter anderem eine Null-Toleranz-Politik gegen Rassismus und rechte Anfeindungen. Und Sensibilisierung und Schulung der Belegschaft, um im Arbeitsalltag angemessen mit solchen Vorfällen umzugehen“, heißt es bei LAMSA, dem Netzwerk der Migrant*innen. „Ich bin nicht mutig, aber ich würde niemanden damit allein lassen“, sagt Fatima. „Das Schlimmste ist, wenn niemand was dagegen sagt.“
*Name von der Redaktion geändert