Ausgabe 01/2025
Radikaler Schnitt mit der Heckenschere?
Falls jemand das Trendwort noch nicht kennt: Mit Disruption ist die positive Umdeutung eines radikalen Bruchs gemeint, welcher üblicherweise als erschütternd empfunden wird. So sind zum Beispiel „disruptive Technologien“ etwas anderes als das, was früher „technischer Fortschritt“ hieß. Erfindungen wie der Buchdruck und die Dampflok brachten nicht die ganze Welt durcheinander. Zwar machten sie Kopisten und Kutscher arbeitslos, zugleich brachten sie jedoch ein spürbares Plus an Wissen oder an Mobilität, und durch sie entstanden sofort neue Berufsbranchen. Anders heute die KI zum Beispiel: Sie vernichtet viel mehr Arbeitsplätze, als sie neue schafft, und in vielen Bereichen weiß niemand, wozu sie überhaupt besser ist. Egal, meinen die Freunde der Disruption: Die Dinge beschleunigen sich eh von selbst, daher hätte es keinen Sinn, sie steuern zu wollen. Wie von Elon Musk beispielhaft personifiziert, verbindet der Hass auf Regulierung, Vorsicht und Kontrolle Tech-Unternehmertum mit neoliberaler Politik. Neuerdings ist Disruption zum Wahlprogramm geworden. Mit Konservatismus (sprich: dem Streben nach einer regelmäßigen, störungsfreien Ordnung) hat das nichts zu tun. Eher mit einer umstürzlerischen Ungeduld, wie man sie bisher von Linksradikalen kannte. Macht kaputt, was euch kaputt macht – das ist jetzt der Schlachtruf der Springer-Medien. Der argentinische Präsident Milei rühmt sich, den Staat „mit der Kettensäge“ zu demontieren. Etwas kleinmutiger möchte Milei-Fan Christian Lindner die „Heckenschere“ ansetzen. Auch Alice Weidel schraubt die Zerstörungswut ihres Idols Musk etwas zurück, noch ist ihre Klientel nicht so weit. Aber egal, mit welchen Reizworten das Unternehmen geführt wird, seit den neoliberalen Schocktherapien der 1990er Jahre bleibt das Ziel unverändert: Die Topverdiener werden von jeglicher Pflicht und Verantwortung befreit, die anderen von der Nutznießung von Sozialgesetzen und Transferleistungen. Somit wird klar, was mit Disruption auf keinen Fall gemeint ist: Es geht weder um die Besteuerung des Kapitals, noch um gerechte Tarifverträge, weder um Mietendeckelung noch um Klimaschutz. Im Neusprech heißt das doch alles Kommunismus.