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Foto: Focus Features/Universal

Der Brutalist

Schon die Ästhetik der ersten Filmsequenzen ist brutal und verwirrend. ­Eine Handkamera im dichten Gewühl von Menschen, Kleidern und lauten Stimmen überträgt den Stress dieser undurchsichtigen Situation auf die Betrachter und schleift ihn buchstäblich mit. Bis sich der Himmel auftut und kopfüber die Freiheitsstatue vor blauem Himmel zu sehen ist. Wir sind in Amerika und nicht in einem Deportationszug in Osteuropa. Von dort kommt der jüdisch-ungarische Architekt László Toth ein paar ­Jahre nach Kriegsende. Er hat Buchenwald überlebt; seine Frau Erzsébet wurde vor Jahren von ihm getrennt und blieb zurück. In New York stürzt sich der traumatisierte, ehemalige Bauhaus-Student in den amerikanischen Traum und den nervösen Jazz jener Zeit. Er trinkt und betäubt sich mit Morphin. Ein Cousin gibt ihm Arbeit in seinem Möbelgeschäft, wo er erste Entwürfe für moderne Möbel realisiert. Nach einem Streit ist er auf sich allein gestellt und nimmt an Jobs, was er kriegen kann.

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Schließlich erhält er den Auftrag, die Bibliothek des Tycoons Van Buren nach seinen Entwürfen zu gestalten. Er verwandelt den Raum in einen ­Triumph aus Glas, Licht und Holz, den Regisseur Brady Corbet wie einen Hollywoodstar in Szene setzt. Obwohl man über den Brutalismus an sich nicht viel im Film erfährt, spielen Räume eine wesentliche Hauptrolle. Denn Der Brutalist erzählt nur scheinbar die Geschichte einer historischen Figur. László Toth hat es so nie gegeben; in ihm verdichten sich Architekten und Designer wie Le Corbusier oder Ernö Goldfinger. Das Drehbuch macht aus der Architektur-Strömung des Brutalismus, dessen klobige ­Betonklötze der Materialknappheit der Nachkriegszeit geschuldet waren, die persönliche Bewältigungsstrategie eines jüdischen Überlebenden.

Der protestantische van Buren nämlich gefällt sich in der Rolle des Mäzens, der, unbeleckt vom Tiefgang europäischer Kunst, Toth nun den Großauftrag für ein Gemeindezentrum auf einem Hügel Pennsylvanias erteilt. Bald kollidieren Toths Perfektionismus und Streben nach Autonomie mit den ­banalen Vorgaben, und das Machtgefüge verschiebt sich vom geschätzten Architekten hin zum Juden, der froh sein kann, dass er sich im Land der ­unbegrenzten Möglichkeiten assimilieren darf. Der Film fesselt die von ­einer Pause unterbrochenen dreieinhalb Stunden mit der Vision von Schönheit und Erlösung, die aus Schmerz entstehen kann. Jenny Mansch

UK/USA/HUN 2024. R: Brady Corbet. D: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy ­Pearce. L: 216 Min., KINOSTART 30.1.25

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Der Lehrer, der uns das Meer versprochen hat

Ein Klima der Angst herrscht 1935 in ­einem kastilianischen Dorf kurz vor ­Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs. Aber die Kinder haben Glück mit ihrem neuen Lehrer, der ihre Schule zu einem Schutzraum ­gestaltet, sie in ­ihrem selbstständigen ­Denken fördert, zeigt, wie sie ­eine Druckerpresse zur Verbreitung eigener Texte nutzen können, schließlich gar einen Ausflug ans Meer plant, das sie noch nie gesehen haben. Der einflussreiche Pastor, der sich vor seiner Ankunft mit eiserner Disziplin und Prügelstrafen Respekt bei der ­Jugend verschaffen wollte, stört sich jedoch an dem couragierten Einzelkämpfer, der sich von niemandem einschüchtern lässt, dem Faschismus trotzt und selbstlos für das Wohl seiner Schütz­linge kämpft. In Rückblenden erzählt ­Patricia Font ein erstaunlich zeitlos anmutendes und aufwühlendes Drama aus der Franco-Zeit. Dies nicht nur Dank einer Rahmenhandlung, in der sich 75 Jahre später eine junge Frau um die Aufarbeitung der wahren, tragisch endenden Geschichte bemüht. Mit seinem fast übermenschlichen Mut brennt sich der reale katalanische Pädagoge Antoni Benaiges als ein selten großes Vorbild unauslöschlich ins Gedächtnis ein.

Kirsten Liese

SPANIEN 2024. R: PATRICIA FONT. D: ENRIC AUQUER, LAIA COSTA, LUISA GAVASA, U.A. 105 MIN., KinoSTART: 6.2.25

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Boléro

Die schwierige Geburt des berühmten Balletts mit dem einprägsamen Rhythmus in Endlosschleife ist schnell erzählt: Ohne die russische Tänzerin Ida Rubinstein, die Maurice Ravel mit ihrem Auftragswerk penetrant in den Ohren lag, und Fabrikmaschinen, die ihn zu seinem Opus Magnum inspirierten, würde der Boléro womöglich nicht existieren. Aber das erzählt Anne Fontaine fast nebenbei. Ihr eleganter, leiser, weitgehend unspektakulärer Film fokussiert vielmehr auf die Merkwürdigkeiten im Leben des Komponisten, der an einer unerforschten, neurologischen Krankheit leidet, sich von seinem Erfolgsstück zunehmend belastet fühlt und so gar kein Verlangen hat nach körperlicher Liebe. Noch nicht einmal seine Muse Misia, der alle Männer zu Füßen liegen, weckt sein sexuelles Begehren. Spekulationen über Ravels etwaige Homo- oder Asexualität maßt sich die Regisseurin nicht an. Ihre Erzählung bleibt – durchsetzt von eleganten Bildern der Belle Epoque – geheimnisvoll wie der Protagonist selbst, dabei sublim in der Andeutung, dass Ravels erotische Fantasie wohl ­allein durch die Musik beflügelt wurde. Kirsten Liese

FRANKREICH/BELGIEN 2024. R: ANNE FONTAINE. D: RAPHAËL PERSONNAZ, DORIA TILLIER, JEANNE BALIBAR, EMMANUELLE DEVOS. 120 MIN., KinoSTART: 6.3.25