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Foto: Leliveldt/Lohmann/Landesmuseum Württemberg (2)

Mindestens 50.000 Demonstranten in der Stuttgarter Innenstadt, zerstörte Schaufensterscheiben in der Königstraße, mehrere verletzte Polizisten und eine aufgebrachte Menge, die nur durch den Einsatz von Tränengas und gepanzerten Mannschaftswagen der US-amerikanischen Militärpolizei in Schach gehalten werden konnte – das war die Bilanz des 28. Oktober 1948, dem Tag der "Stuttgarter Tumulte". An diesem Tag hatten Stuttgarter Betriebsratsvorsitzende und Gewerkschaften zu einer Arbeitsniederlegung mit anschließender Kundgebung aufgerufen. Zehntausende Arbeitnehmer aus dem Großraum Stuttgart waren gekommen. Es war eine, wenn nicht die größte Protestkundgebung der Arbeiterbewegung, die Stuttgart bis dahin gesehen hat.

Streiks, Fridays for Future, Lokführer, Coronaleugner*innen, Pro-Palästina Demonstrierende – lautstark machen Protest-Gruppen auch in der Gegenwart auf ihre Anliegen aufmerksam. Protest kennt viele Formen. Das Landesmuseum Württemberg zeigt in einer Ausstellung, warum Wut und Verzweiflung Menschen auf die Straße treiben. "Protest! Von der Wut zur Bewegung" ist Teil der großen Landesausstellung zu 500 Jahre Bauernkrieg.

Und der ist in allen Ausstellungsbereichen präsent. Eine historische Protagonistin ist Magdalena Scherer, um 1524/1525 Geschäftsführerin eines Badhauses in Stuttgart. Auf verschiedenen Stationen erzählt sie von ihrem mittelalterlichen Alltag, den großen und kleinen Repressionen.

Zu Magdalena Scherer ist im Stuttgarter Hauptstadtarchiv verzeichnet, dass sie lutherischen Glaubens war. Damit gehörte sie im vorwiegend katholischen Stuttgart zu den doppelt Diskriminierten: falsche Konfession, falsches Geschlecht. Die Akten berichten, dass Scherer mit einem Aufgebot von Frauen auf der Stadtmauer demonstrierte und auf der Gasse ihr Hinterteil entblößte, um die Obrigkeit zu verspotten. Scherer bekam Berufsverbot und eine Art Isolationshaft ohne Gitter: außer dem Gottesdienst war ihr fast jeder menschliche Umgang verboten, bei Todesstrafe.

Ortswechsel. Ein redegewandter, schwarz gekleideter Mann mit schwarzem Barett feuert eine kleine Menschengruppe unermüdlich an. Es sind mittelalterlich anmutende Marktfrauen und Bäuerinnen, Viehzüchter mit Ochsenkarren, Handwerker, Tagelöhner, die über die Kopfstein gepflasterten Altstadt-Gassen im thüringischen Mühlhausen ziehen. An den katholischen Geistlichen und Amtsträgern lässt der sprudelnde Redner, der selbst als solcher gekleidet ist, kein gutes Haar. Er nennt sie: "Herren, die nur fressen und saufen", "hochverdammte Bösewichte", "eine Plage des armen Volkes", "wuchersüchtige und zinsaufrichtende, hodensäckige Doktoren", "Hurenhengste und Labscheißer", "des Teufels Pfaffen". Es ist die Generalprobe für einen historischen Umzug des Bauernheers, angeführt von Thomas Müntzer, Theologe, Reformator, Revolutionär, zum 500. Jubiläum des Bauernkrieges 2025.

Für eine gerechte Gesellschaftsordnung

Thüringen gilt als Bauernkriegsnest, neben vielen anderen Schauplätzen in Südwestdeutschland, Oberschwaben, den Alpenregionen, Württemberg, Franken bis nach Mitteldeutschland. Die damals freie Reichsstadt Mühlhausen mit ihrem radikalen Prediger Thomas Müntzer ist ein Zentrum des Bauernkrieges. Müntzer ist anfangs Martin Luthers begeisterter Mitstreiter. Ebenso wie Luther will auch er die Kirche reformieren. Wettert wie Luther gegen den Verkauf von Sündenerlässen und religiösen Ämtern, gegen das Predigen der Heiligkeit des Zehnten und die Vermarktung sämtlicher Sakramente. Wie Luther heiratet er noch vor diesem gegen das Zölibat eine Nonne.

Aber er predigt auch seine Visionen und spirituellen Erfahrungen. Und kämpft auf Seite der Bauern. Luthers und seine Wege trennen sich. Müntzer beschimpft den Reformator als "geistloses, sanftlebendes Fleisch zu Wittenberg". Er selbst hat in Mühlhausen seinen Wirkungskreis in der Marienkirche. Dort versucht er seine Vorstellungen einer gerechten Gesellschaftsordnung umzusetzen: Privilegien werden aufgehoben, Klöster aufgelöst, Räume für Obdachlose geschaffen, eine Armenspeisung eingerichtet. Er gründet mit Gleichgesinnten den "Ewigen Bund Gottes", der sich gegen Fürsten und Klerus auflehnt.

Es ging ihm, den Bauern, Handwerkern und Tagelöhnern um Gerechtigkeit und Befreiung. 95 Prozent der Bevölkerung Europas waren damals Bauern. Vor allem in Süddeutschland lebte ein Großteil der Bauern am Existenzminimum, die Hälfte von ihnen in Leibeigenschaft. Die katholische Kirche rechtfertige das System und verdiente fleißig mit.

Das Recht auf Widerstand

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Zurück in der Stuttgarter Ausstellung zeigt sich dort eine moderne Gemeinsamkeit der Bauernkriege mit heutigen Protestformen: Zum ersten Mal spielten Massenmedien eine zentrale Rolle bei der Vernetzung und Mobilisierung der Aufständischen – und zwar in Form von gedruckten Flugblättern, preiswert produziert an dutzend Orten zwischen Zürich und Zwickau. Auch die "Zwölf Artikel", welche die süddeutschen Bauern 1525 in Memmingen gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben, fanden so Verbreitung. Sie sind das politische Manifest der Bauernaufstände und eine der ersten schriftlichen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Die Bauern verlangen darin die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Abschaffung von Frondiensten und Abgaben, die Rückkehr zu alten Freiheiten und Rechten (Jagd, Fischfang und Holzschlag) sowie die freie Wahl des Pfarrers.

Als die Feudalherren den Druck erneut verstärken und die Steuern heben, bricht der Aufstand der Bauern aus. Sogenannte Bauernhaufen ziehen durch das Land und plündern Klöster, Schlösser und Kirchen. Sie rächen sich teils auf brutale Weise an ihren Gutsherren. In Hessen, in Oberfranken, in Thüringen, in Sachsen, überall drängen sie vor. Burgen werden geschliffen, Festungswälle gesprengt.

Von der Kanzel feuert Müntzer die Bauern an und fordert: Die Obrigkeit müsse die Gottlosen bestrafen und die Frommen beschützen – das sei ihr göttlicher Auftrag. Müntzer begründet damit ein Widerstandsrecht gegenüber den weltlichen Machthabern. Ganz im Gegensatz zu Martin Luther, der die von Gott gegebene Autorität der Obrigkeiten nie in Frage stellt. Vom Widerstandsrecht der Bauern über die Stuttgarter Tumulte der Arbeitenden bis zu den Protestbewegungen der Gegenwart mit Online-Petition und Hashtag zieht die Ausstellung einen großen Bogen. Aber er endet dort nicht. Die Proteste – gegen oder für was auch immer – sie reißen ja nicht ab.

"PROTEST! VON DER WUT ZUR BEWEGUNG", ERLEBNISAUSSTELLUNG, LANDESMUSEUM WÜRTTEMBERG, ALTES SCHLOSS, STUTTGART, DI–SO 10–17 UHR, DO BIS 19 UHR, BIS 4.MAI 2025