Ausgabe 02/2025
Psycho-Sozialthriller der Spitzenklasse

Adolescence
Jamie ist schmächtige 13 und völlig verängstigt, als die Polizei früh morgens die Tür seines Elternhauses in einer englischen Kleinstadt einrammt und ihn wegen Mordverdachts an einer Klassenkameradin abführt. Der bestürzte Vater begleitet den Jungen und versucht, ihn vor der traumatischen Erfahrung der Aufnahmeprozedur zu beschützen. Doch hinter der Tür seines Kinderzimmers war Jamie im Internet schon lange viel Schlimmerem ausgesetzt: Online-Mobbing und der Incel-Subkultur frauenhassender Influencer wie Andrew Tate. Die Beweislage ist eindeutig, doch Jamie leugnet die Tat. Jede der vier Folgen wurde in einem einzigen Take gedreht; wie Staffelläufer lösen sich die Schauspieler in den Szenenwechseln ab. Das erfordert Timing und Intuition, mit der das Ensemble der Frage nachspürt, wie es zur Tat und toxischen Natur eines Kindes kommen kann. So meisterhaft und empathisch umgesetzt ist dieses komplexe Thema, dass die Serie dem Streamingdienst Netflix zu einem seiner größten Erfolge verholfen hat. Der Star von Adolescence aber ist der 14-jährige Brite Owen Cooper, der vorher nie vor einer Kamera stand und den Täter mit Teddybär so intensiv spielt, dass einem der Atem stockt. Ein Psycho-Sozialthriller der Spitzenklasse. Jenny Mansch
NETFLIX 2025, 1 STAFFEL. R: PHILIPP BARANTINI. D: STEPHEN GRAHAM, OWEN COOPER, CHRISTINE TREMARCO, U.A.
Mit der Faust in die Welt schlagen

Es beginnt ganz idyllisch. Eine Mutter badet mit ihren beiden Söhnen an einem heißen Sommertag irgendwo in Ostsachsen in einem Waldsee. Schnell noch abkühlen, bevor sie die Kinder ihrem Mann überlässt und sich auf den Weg zur Nachtschicht ins Krankenhaus macht. Aber es ist weniger die Perspektive der Mutter, aus der der Film erzählt, sondern die der beiden Söhne. Philipp beginnt gerade zu pubertieren, Tobi steckt noch in der Trotzphase und kämpft mit der Oma – die ihrer Tochter viel Sorgearbeit abnimmt – um jedes Wort, dass er schreiben lernen soll. Ohne die Großeltern geht es nicht, denn schnell wird klar: Der Vater ist ein Loser, der nichts auf die Reihe bekommt. Und so ist es kein Wunder, dass die beiden Jungs trotz ihrer sich abrackernden Mutter in die Fänge von Neonazis, vermeintlich starker Männer geraten. Erst Philipp und später auch Tobi. Die Geschichte dieser ostdeutschen Familie wird in teils eindringlichen Episoden und verstörend realen Bildern erzählt. Es ist ein klassisches Sozialdrama, das aber keine Antworten auf den Rechtsruck im Osten gibt. Und es auch gar nicht will. Petra Welzel
D 2024. R: Constanze Klaue. D: Anton Franke, Camille Loup Moltzen, Anja Schneider. L. 110 Min., KINOSTART: 8.5.25
Wenn das Licht zerbricht

Ein kleiner, stiller Film aus Island über Liebe, Trauer und Eifersucht, und darüber, wie die Kunst und die Gemeinschaft helfen können, sie zu bewältigen. Diddi und Una sind sich gerade nähergekommen und sehen am Strand von Rejkjavik gemeinsam dem Sonnuntergang zu. Sie reden, kuscheln und kiffen und beschließen, die Nacht bei Diddi zu verbringen. Zum Sex kommt es nicht. Una will morgens pünktlich sein, sie und Diddi studieren Kunst. Diddi will die Verhältnisse klären und zu Klara fahren, seiner Freundin, um ihr zu sagen, dass er sich neu verliebt, die Beziehung mit ihr der Entfernung nicht standgehalten hat. Dazu wird es nicht kommen, Diddi verunglückt auf dem Weg tödlich. Den Tag verbringt die verzweifelte Una im Kreis ihrer Freunde, die sich alle darum bemühen, die angereiste Klara zu trösten. Niemand ahnt zunächst, dass Diddi ebenso durchhängt. Der Gruppe gelingt es dennoch, füreinander dazusein, sich zuzuhören und trotz widerstreitender Gefühle freundlich und mitfühlend miteinander zu sein, bis der Schmerz des Verlustes nachlässt. Das zu sehen, ist in dieser unversöhnlich scheinenden Zeit eine ziemlich wohltuende Erfahrung. Jenny Mansch
ISL/HRV/F 2024. R: RÚNAR RÚNARSSON. D. ELÍN HALL; MIKAEL KAABER, KATLA NJÁLSDÓTTIR. L: 80 MIN., KINOSTART: 8.5.25