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Foto: Ian Laidlaw

Marlon Williams: Te Whare Tiwekaweka

Was für eine Sprache. Die Vokale weich wie Watte, die Silben süß wie Gummibärchen, die Sätze zum Knuddeln. Marlon Williams, Indie-Pop-Institution in seiner Heimat Neuseeland, singt auf seinem neuen Album Te Whare Tīwekaweka in Maori – und die Musik folgt den Worten, weht vorbei wie eine laue Sommerbrise. Doch das täuscht: So harmlos hawaiianisch die Songs daher kommen, verhandelt Williams in ihnen doch ernste Themen. "E mawehe ana au ki ngā ao e rua", singt Williams zum Einstieg in das Album: Ich bin zerrissen zwischen zwei Welten, heißt das übersetzt, und später: Die Kluft wird immer größer.

Musik_Marlon Williams-Te Whare Tīwekaweka
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Lange Zeit galt der Umgang, den der neuseeländische Staat mit dem Erbe seiner indigenen Bevölkerung gefunden hatte, als vorbildlich. Te Reo Māori, so der korrekte Name der Sprache der Indigenen, wird in der Schule gelernt, auch von Kindern ohne Maori-Wurzeln, die Kultur wird gefördert, Maori genießen gewisse Privilegien. Aber zuletzt wurde auch auf der anderen Seite des Planeten, wo Millionen Touristen eine heile Welt suchen, der Einfluss der Rechtspopulisten immer stärker und die Maori-Gleichberechtigung kam zusehends unter Beschuss.

Das war allerdings nicht der ursächliche Grund, warum er ein Album in Maori aufnehmen wollte, erklärt Williams im Zoom-Interview aus seiner Heimatstadt Lyttelton bei Christchurch. Seine Eltern sind zwar Maori, er selbst lernte aber in seiner Kindheit nur wenig von der Sprache, "auch von dem einen Jahr in der Maori-Vorschule ist nicht viel hängen geblieben". Doch als er vor vier Jahren mit dem Schreiben englischer Texte nicht mehr vorankam, versuchte er die Schreibblockade zu lösen, indem er sich der Sprache seiner Vorfahren erinnerte – und sie neu erlernte. "Es ging mir auch darum, mit meinem Maori-Sein ins Reine zu kommen", sagt er. "Aber vor allem habe ich eine neue Ausdrucksmöglichkeit, eine neue Sprache gesucht, um Gefühle auszudrücken."

So gibt es zwar auch Liebeslieder auf diesem Album, aber ebenso oft geht es auch um Vereinsamung und Verleugnung der eigenen Identität. Mit dem neuen Idiom hat Wiliams auch eine neue musikalische Sprache gefunden. So weich, ja selig klang der Musiker noch nie. "Die Musik kam ganz selbstverständlich zu mir", erinnert er sich an die Aufnahmen, "aber die Sprache leitet einen in eine gewisse Richtung durch ihre spezielle Phrasierung, die ganz anders ist als im Englischen." Vielleicht müssten nur alle Maori lernen, damit die Welt eine bessere wird. Thomas Winkler

Cargo Records

MUSIK_Marlon Jeff Goldblum & The Mildred Snitzer Orchestra
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Jeff Goldblum & The Mildred Snitzer Orchestra: Still Blooming

Singende Schauspieler haben nicht den allerbesten Ruf. Daran wird auch Jeff Goldblum nichts ändern. Sein Vortrag ist doch eher Sprechen, sein Stimmumfang überschaubar. Aber der Darsteller, der im Laufe seiner langen Karriere in Arthouse-Filmen ebenso reüssiert hat wie in Blockbustern, weiß das selbst, und übernimmt auf seinem neuen Album Still Blooming nur zum Abschied im letzten Stück die Hauptrolle. Viel lieber beugt er seinen 1,94 Meter langen Körper über das Klavier, um die Goldene Ära des Jazz wiederaufleben zu lassen. In dieser Zeit gab es Bandleader wie Benny Goodman oder Glenn Miller, die nicht zuerst Musiker, sondern Organisatoren eines Klangbilds waren. So einer ist auch Goldblum, wenn er sein Mildred Snitzer Orchestra aus versierten Musiker*innen zusammenruft und auch gleich noch seine guten Verbindungen in die Unterhaltungsbranche nutzt, um prominente Gaststimmen zu gewinnen. So haucht nun Ariana Grande den Klassiker I Don't Know Why (I Just Do) und Scarlett Johansson das nicht minder immergrüne The Best Is Yet To Come, während die Band eintaucht in eine Welt aus gerührtem Schlagzeug, butterweichen Bläsern und melancholischen Erinnerungen. Thomas Winkler

DECCA/UNIVERSAL

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Sophia Blenda: Die Summe der Vereinzelung

Phoebe fühlt nichts mehr. Billie ist ständig auf Droge. Und Lana ist "Born To Die". Es sind lauter Musikikonen wie Phoebe Bridgers, Billie Eilish und Lana Del Rey, die Sophia Blenda in ihrem Song Sag Girl Summer aufzählt, um ein bestimmtes Rollenbild zu illustrieren. Während stahlblaue Beats und trübe Synthieschleifen eine bedrohliche Atmosphäre schaffen, beschreibt die Wiener Sängerin und Musikerin, wie Frauen daran zerbrechen, einem Ideal nicht zu entsprechen – und dann die Schönheit dieses Scheiterns, ausgerechnet dieses Elend gefeiert wird. Sophie Löw singt sonst in der recht erfolgreichen Postpunk-Band Culk, als Solistin nimmt sie unter dem Pseudonym Sophia Blenda auf ihrem neuen Album Die Summe der Vereinzelung dunkelschattige Balladen auf, die tief abtauchen in die Psyche von Menschen, die sich als FLINTA* identifizieren. FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen, und Blenda versucht mit ihren mal englischsprachigen, mal deutschen Songs deren Marginalisierung und Verzweiflung, Einsamkeit und Schmerz eine Stimme zu geben. "Ich will, ich bin, ich bin nicht wie du mich willst", singt sie in "Frühlingserwachen" zu dräuendem Klavier und Cello – und stellt sich souverän in eine Reihe mit Phoebe, Billie und Lana.

Thomas Winkler

SILUH/CARGO