Ausgabe 04/2025
Angespuckt und geschlagen
Aggressive Sprüche, Beschimpfungen, Beleidigungen und rohe Gewalt nehmen zu, auch gegenüber Beschäftigten in Krankenhäusern. Der Gesamt- und Konzernbetriebsrat sowie die Geschäftsführung des privaten Klinikbetreibers Asklepios in Hamburg entwickelten deshalb das Konzept #HaltzuGewalt. Es ist für einen der diesjährigen Deutschen Betriebsrätepreise nominiert.
"Ein Patient hat mich als Nazi bezeichnet, weil ich angeblich einen anderen Hilfesuchenden bevorzugt hätte", berichtet Rebecca, Gesundheits- und Krankenpflegerin in einer Notaufnahme von Asklepios Hamburg. Dass sie "fett" sei, musste sie sich schon anhören, und jemand wollte nicht mit der Pflegekraft sprechen, weil sie ein Kopftuch trage. "Gewalt jeder Art ist gerade in Notaufnahmen zur Massenerscheinung geworden", erläutert die stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende Sonja Guder. Sie weist auf eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hin, wonach 97 Prozent der Beschäftigten in Notaufnahmen verbale Gewalt durch Patient*innen und Angehörige, 87 Prozent sogar körperliche Gewalt erleben. Wie etwa eine Kollegin in der Zentralen Notaufnahme der Asklepios-Klinik in Hamburg-Barmbek. Ihr spuckte ein Patient ins Gesicht, als sie ihn daran hindern wollte, Medikamente zu klauen.
"Gewalt bei der Arbeit ist alltäglich geworden", sagt Markus Trilk, Funktionsleiter der Zentralen Notaufnahme. "Die starke Häufung von Übergriffen führt dazu, dass wir uns oft unsicher am Arbeitsplatz fühlen." Das Projekt #HaltzuGewalt empfinden er und seine Kolleg*innen als sehr hilfreich. "Vor allem die Hotline ist wichtig, denn wer beleidigt oder in anderer Form angegriffen worden ist, braucht eine unbeteiligte Person zum Reden", weiß er. Wichtig sei für die Beschäftigten auch, dass das Thema Gewalt ernst genommen wird.
Gemeinsame Sache
Sonja Guder erinnert sich an die beiden Übergriffe, die unmittelbare Auslöser für das 2023 gestartete Projekt waren: "Ein Jahr zuvor war ein Kollege in einer Notaufnahme von den Angehörigen eines Patienten krankenhausreif geschlagen worden. Im Sommer 2023 wurde eine Kollegin auf dem Parkplatz einer Hamburger Asklepios-Klinik ebenfalls von Patientenangehörigen zusammengeschlagen." Nachdem die Interessenvertretung sich mit der Geschäftsführung und der Personalleitung einig geworden war, dass etwas gegen die zunehmende Gewalt getan werden muss, sagte auch die Asklepios Geschäftsführung schnell ihre Unterstützung zu.
Inzwischen gibt es viele Angebote, wie etwa die zentrale Hotline, unter der Beschäftigte nach einer Gewalterfahrung erste Ansprechpartner*innen finden. "Die Hausordnungen in den sieben Hamburger Asklepios-Kliniken sind so angepasst worden, dass alle Beschäftigten das Hausrecht ausüben dürfen. Das bedeutet: Bei Bedarf kann jederzeit die Polizei zur Unterstützung gerufen werden", erläutert Sonja Guder. Teilweise gibt es Security-Kräfte in Notaufnahmen. Für alle Beschäftigten, insbesondere auch Führungskräfte, werden verpflichtende Schulungen zum Thema Gewaltprävention angeboten. Deeskalationstrainings stehen allen offen. Bei der Berufsgenossenschaft können und sollen Übergriffe als Arbeitsunfälle gemeldet werden.
Auch für die Patient*innen und ihre Angehörigen soll sich einiges ändern: In den Warteräumen werden sie künftig in mehreren Sprachen informiert, dass sie nach Schwere der Erkrankung oder Verletzung an die Reihe kommen, nicht nach Wartedauer. Es wird zudem überlegt, die Wartebereiche angenehmer zu gestalten. "Wir haben noch viel vor", sagt Sonja Guder. Schon jetzt ist das Konzept #HaltzuGewalt so gut angekommen, dass Asklepios es bundesweit in allen rund siebzig Häusern umsetzen will.
Die Nominierten
Vier für den Deutschen Betriebsrätepreis nominierte Projekte kommen aus dem ver.di-Organisationsbereich: Neben Asklepios Hamburg ist das die enercity AG Hannover. Deren Interessenvertretung erreichte, dass Menschen mit Beeinträchtigungen mit anderen Beschäftigten für einen Tag ein Duo bilden, um Berührungsängste abzubauen und Einblicke in verschiedene Berufsfelder zu ermöglichen. Bei der E.ON SE Essen wurden durch Vereinbarungen zwischen Konzernbetriebs-rat und Arbeitgeber die Voraussetzungen für modernere Arbeitsbedingungen geschaffen, zu denen Änderungen bei der Arbeitszeit, der Entgeltstruktur sowie bei der Väterzeit gehören. Der Betriebsrat der Elbe Werkstätten GmbH in Hamburg hat die Entwicklung einer App initiiert, die zur Steuerung bei der Einführung digitaler Anwendungen eingesetzt wird.
Jedes Jahr wird auch ein Personalrätepreis vergeben. Hier sind ebenfalls vier Projekte aus dem ver.di-Organisationsbereich nominiert: Der Personalrat am Klinikum Stuttgart ist mit seiner Dienstvereinbarung für bessere Arbeitsbedingungen und gegen hohe Belastung nominiert. Der Gesamtpersonalrat der AOK Bayern hat in einer Rahmendienstvereinbarung ein starkes Zeichen für eine mitbestimmte Einführung von Künstlicher Intelligenz gesetzt. Der Personalrat Herford hat die Beschäftigten beteiligt, um die Arbeitsbelastungen zu verringern und der Gesamtpersonalrat Bundesamt für Logistik und Mobilität zeigt in einer Dienstvereinbarung, wie moderne Arbeitszeitgestaltung auch im Schichtdienst gelingen kann.