Ausgabe 04/2025
"Das Netz gehört uns!"

Du scrollst morgens durch Instagram – und fragst dich, warum dir plötzlich nur noch Werbung für Fitnessprodukte angezeigt wird. Oder politische Inhalte, die alle gleich klingen. Was du siehst, entscheidet ein Algorithmus. Was du denkst, vielleicht auch. Doch wem gehört dieses Netz eigentlich – und wer gestaltet es?
Für Björn Staschen war es der Wendepunkt, als Donald Trump im Herbst 2024 erneut zum US-Präsidenten gewählt wurde und Meta-Chef Mark Zuckerberg wenig später das Ende der Inhaltsmoderation auf Facebook und Instagram ankündigte. Da war dem Medienwissenschaftler und Autor klar: "Jetzt müssen wir handeln."
Gemeinsam mit über hundert Mitstreiter*innen – darunter Autorin Nina George, Musiker Jan Delay, Greenpeace und der DJV – initiierte er Anfang 2025 SaveSocial. Das Ziel: Die soziale Kraft des Netzes retten und soziale Medien als demokratische Infrastruktur neu denken. Denn wenn Social Media nur noch kommerziellen Interessen folgt, bedeutet das auch ganz konkret: Unsere Timelines werden von Algorithmen bestimmt, nicht von Vielfalt. Unsere Daten werden verkauft, unsere Gespräche gelenkt. Wer soziale Netzwerke demokratisch gestaltet, schützt damit Meinungsfreiheit, Informationszugang und letztlich auch unseren Alltag – ob im Familienchat, bei der Jobsuche oder in der politischen Debatte.
Zehn Forderungen, ein Ziel
Die Plattformlogik sei aus dem Ruder gelaufen, sagt Staschen: "Viele Menschen spüren, dass das Soziale in den sozialen Medien verloren geht." SaveSocial fordert deshalb unter anderem mehr Interoperabilität zwischen Netzwerken – also die Möglichkeit, plattformübergreifend zu kommunizieren –, ein Recht auf Outlinks, transparente Algorithmen und eine faire Regulierung von Marktanteilen.
"Das Entscheidende sind offene Protokolle wie ActivityPub, die dezentrale und resiliente Netzwerke ermöglichen", so Staschen. Solche offenen Protokolle nutzen auch E-Mail-Anbieter: Es ist heute kein Problem, eine Nachricht von GMX zu Googlemail zu schicken – von TikTok zu Instagram aber funktioniert es nicht. "Die Big-Tech-Konzerne haben Mauern zwischen ihren vermeintlich sozialen Netzwerken errichtet", kritisiert Staschen, "und das nur aus einem Grund: Sie wollen uns möglichst lange an ihre Plattformen binden und so ihre Gewinne maximieren."
Mit offenen Protokollen ließen sich Plattformen wie Mastodon oder Pixel Fed ausbauen und dabei auch öffentlich-rechtliche Inhalte besser einbinden. "Mein Traum sind viele kleine Netzwerke, die auf kommunaler Ebene oder thematisch organisiert sind – aber eben miteinander verbunden, offen, demokratisch", skizziert Björn Staschen seine Vorstellungen.
Verantwortung der Politik
Die Initiator*innen von SaveSocial setzen auf zivilgesellschaftlichen Druck und Gespräche mit der Politik. In Berlin, aber auch auf EU-Ebene läuft die Vernetzung: "Wir müssen Länder, Bund und EU überzeugen, dass wir handeln müssen, wenn wir unsere Demokratien bewahren wollen", sagt Staschen.
Für Sandra Goldschmidt, Landesbezirksleiterin von ver.di Hamburg, ist das auch eine gewerkschaftliche Aufgabe: "Demokratische Debatten brauchen digitale Räume, die nicht durch Profitlogik, sondern durch Teilhabe geprägt sind. Was im Netz passiert, ist längst eine Frage von Grundversorgung."
ver.di fordert seit langem eine Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auch auf digitalen Plattformen. "Wir brauchen klare Spielregeln für Plattformen und faire Bedingungen für alle, die dort arbeiten oder sich informieren wollen. Dazu gehört auch: Öffentlich finanzierte Inhalte dürfen nicht in geschlossenen Apps verschwinden", so Goldschmidt.
Die Rolle der Nutzer*innen: Verantwortung beginnt beim Klick
Was wir sehen, mit wem wir in Kontakt treten und welche Informationen wir erhalten – all das wird zunehmend durch die Geschäftsmodelle großer Plattformen gesteuert. SaveSocial ruft deshalb nicht nur die Politik zum Handeln auf, sondern auch jede und jeden Einzelnen. "Wir alle können entscheiden, ob wir den bequemen Weg gehen und dafür mit unseren Daten zahlen – oder ob wir Netzwerke wählen, bei denen wir Herr über unsere Daten und unsere Feeds bleiben", sagt Staschen.
Es geht um mehr als Datenschutz – es geht um digitale Selbstbestimmung im Alltag: beim Scrollen durch den Newsfeed, beim Teilen eines Artikels, beim Lesen von Kommentaren. Wer sich für offene Netzwerke entscheidet, gestaltet aktiv mit an einer digitalen Welt, die auf Teilhabe statt auf Kontrolle basiert.
Ein neuer Gesellschaftsvertrag für das Netz
Björn Staschen glaubt nicht an "die gute europäische Plattform". Stattdessen setzt er auf den Aufbau einer offenen digitalen Infrastruktur – unterstützt von öffentlichen Mitteln, getragen von Stiftungen, Mittelstand und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Es gehe darum, das Netz als Gemeingut zu begreifen.
Gerade in Zeiten von algorithmisch verstärkter Desinformation, gezielter Meinungsmache und wachsender digitaler Ungleichheit zeigt sich, wie dringend dieser neue Gesellschaftsvertrag gebraucht wird. Wenn immer weniger Menschen wissen, wie Informationen gefiltert werden – und welche Interessen dahinterstehen –, wird demokratischer Diskurs zur Blackbox. Wer etwa auf TikTok politische Inhalte sucht oder auf Facebook Nachrichten konsumiert, tut das längst unter Bedingungen, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen. Umso wichtiger ist es, Alternativen zu fördern – und Verantwortung zurück in die Gesellschaft zu holen. "Digitale Räume sind öffentliche Räume. Sie brauchen demokratische Regeln, faire Arbeitsbedingungen – und eine laute Zivilgesellschaft, die sich einmischt. Dafür steht ver.di-Hamburg", sagt Sandra Goldschmidt.
Was fordert SaveSocial?
Interoperabilität zwischen Netzwerken
Recht auf Outlinks
Transparente Algorithmen
Stärkere Regulierung von Plattform-Marktanteilen
Offenlegung von Empfehlungslogiken
Verbindliche Regeln für Künstliche Intelligenz
Pflicht zur Verbreitung öffentlich finanzierter Inhalte auf offenen Plattformen
Förderung dezentraler Protokolle (z. B. ActivityPub)
Verpflichtung zur Verantwortung für Desinformation
Schutz journalistischer Inhalte im Netz
Mehr Infos: savesocial.eu