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Gestern noch am Leib getragen, heute Teil einer textilen Mülldeponie in Chiles Atacama-WüsteFoto: Antonio Cossio/picture alliance/dpa

"Wir glauben, dass die Schönheit der Mode für alle zugänglich sein sollte, nicht nur für die wenigen Privilegierten." So wirbt die chinesische Fast-Fashion-Firma Shein. Fast minütlich gibt es auf der Online-Plattform neue Angebote. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die hier Partykleider für 8,68 Euro oder Hosen für 14,87 erstehen können und beim Stöbern zwischen niedlich-süß oder hinreißend, lässig, sexy oder bescheiden wählen können.

Von vielen Ü-30-Jährigen fast unbemerkt, hat sich die 2008 von drei Männern in China gegründete Firma zu einem weltweit präsenten Modegiganten entwickelt. Das Konzept ihrer Ultra-Fast-Fashion: Direktversand, ganz ohne Zwischenhandel, teure Lager und Läden. Darüber hinaus wertet Shein automatisch Verkäufe und Trends mit Hilfe von künstlicher Intelligenz aus und schafft Anreize für den Aufbau einer Fangemeinde. Teenager filmen sich selbst, wie sie Klamotten und Sets mit künstlichen Wimpern auspacken. Influencer*innen erzählen, wie toll es ist, bei jeder Gelegenheit ein neues Outfit zu tragen. "Am Anfang war ich skeptisch, aber dann habe ich es gewagt und nicht bereut. Habe sogar meine Eltern damit angesteckt – Preise, die keiner toppen kann", schwärmt eine Vielnutzerin.

Wo und wie die Ware gefertigt wird, erfährt die Kundschaft nicht. Die in Deutschland als Verein organisierte "Kampagne für saubere Kleidung" hat eine Recherche von Public Eye, einer Schweizer NGO, veröffentlicht. Demnach findet die Shein-Produktion zum Großteil in kleineren Firmen in der südchinesischen Metropole Guangzhou statt. Shein schreibt die Aufträge von oft nur 100 bis 200 Stück online aus; Computer managen das Zuliefersystem hocheffektiv. Hergestellt wird, was schon bestellt ist. Manchmal dauert es vom Design bis zur Verpackung gerade einmal eine Woche; die fertigen Stücke werden dann per Flugzeug nach Europa geschafft.

75 Stunden volles Risiko

Die Näherinnen sind meist sehr erfahren und arbeiten nach Stückzahl. Zwar können sie im Vergleich zu anderen chinesischen Textilarbeiterinnen bei guter Auftragslage mehr verdienen, tragen aber das volle Risiko. In der Regel arbeiten sie 75 Stunden pro Woche, oft ohne einen freien Tag. Einen Grundlohn oder eine Sozialversicherung gibt es ebenso wenig wie Arbeitsverträge. Auch in puncto Arbeitssicherheit sieht es fatal aus in den Fertigungsstätten, die oft in umgebauten Wohnhäusern untergebracht sind.

Vieles von dem, was hier geschieht, widerspricht chinesischer Rechtsprechung. "Man sieht dem Produkt an, dass es schnell gehen musste", so das Urteil von Fachfrauen über ein Probekleid, das die Rechercheure bestellt hatten. Die Qualität der Stoffe ist oft schlecht und nicht recycelbar. Ultra-Fast-Fashion soll nach kurzer Zeit zu Müll werden – und Platz für Neues im Kleiderschrank schaffen.

Branchenbeobachter gehen davon aus, dass Shein inzwischen 42 Milliarden Euro im Jahr umsetzt und damit andere Fast-Fashion-Händler wie Inditex mit seiner Hauptlinie Zara überholt hat. Die ältere Kundschaft tummelt sich eher auf dem Marktplatz von Temu, wo es außer Kleidung auch alles andere gibt, vom Tablet bis zum Blumenkübel. "Shoppe wie ein Milliardär!" so die Losung dieser ebenfalls chinesischen Plattform.

Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts IFH Köln nutzten im vergangenen Jahr 43 Prozent der Befragten Online-Anbieter wie Shein und Temu. Amazon will mit seiner neuen Discount-Plattform Haul den Anschluss nicht verpassen und setzt dort ebenfalls auf Superbillig statt Superschnell. Seit der Jahrtausendwende hat sich die globale Kleidungsproduktion mehr als verdoppelt.

Am Ende der Lieferkette rollt die Paketlawine

Folge dieses Geschäftskonzepts ist eine rasch wachsende Paketlawine. Nach Angaben der EU-Kommission kamen im vergangenen Jahr täglich zwölf Millionen Pakete aus Drittstaaten nach Europa. Weil für einen Warenwert von unter 150 Euro kein Zoll fällig wird, stückeln die Verkäufer teurere Lieferungen.

Als erstes EU-Land hat Frankreich jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, um die Sintflut schnelllebiger Billigmode aus Asien einzudämmen. Zum einen sollen besonders umweltbelastende Produkte mit einer Strafzahlung von fünf bis zehn Euro belegt werden. Zum zweiten soll die Werbung für Super-Fast- Fashion eingeschränkt werden und auch Influencer*innen müssen mit Sanktionen rechnen. Die wichtigsten politischen Hürden hat der Gesetzentwurf genommen, im Herbst könnte er endgültig verabschiedet sein. Nicht betroffen davon ist davon allerdings der stationäre Handel, obwohl es bei Primark, Zara und anderen ebenfalls viel Wegwerfmode gibt, die unter katastrophalen Bedingungen produziert wird.

In den USA verlieren Shein und Temu derzeit rasant an Boden, weil US-Präsident Donald Trump die Zölle für chinesische Waren massiv erhöht hat. Deshalb steigern die beiden Anbieter ihre Ausgaben für Marketing in Europa und versuchen, mit noch mehr Rabatten und Aktionen Käufer zu gewinnen. Derweil verschwinden immer mehr Bekleidungsgeschäfte aus den Innenstädten. In den ersten Monaten dieses Jahres ist der Absatz von Hosen, Röcken, T-Shirts und Hemden im deutschen Einzelhandel um fünf Prozent zurückgegangen.

Bisher reagiert die EU verhalten auf den Tsunami auf dem Modemarkt. Die EU-Kommission erwägt zwei Euro Zollgebühr auf jedes importierte Postpaket aus Drittstaaten. Das aber wird nicht reichen, um die Billigklamottenwelle zu brechen. Eine Übernahme und Ausweitung des französischen Gesetzes scheint zielführender. Immerhin steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, dass sie in Abstimmung mit der EU den Einzelhandel "vor unlauterem Wettbewerb aufgrund der Flutung durch billige Konsumgüter aus Fernost" schützen will. Notfalls sollten Accounts von Onlinehandelsplattformen gesperrt werden, so die Ankündigung.

Auch Konsument*innen, die gern häufiger etwas Neues anziehen möchten, haben Alternativen. Die litauische Plattform Vinted ist die größte Second-Hand-Plattform Europas, die monatlich von 28 Millionen Menschen genutzt wird. Auch bei Kleiderkreisel oder Mädchenflohmarkt können Privatleute noch tragbare Klamotten kostenlos anbieten oder tauschen. Die Oxfam-Läden nehmen hochwertige Kleidung als Spenden entgegen und verwenden die Gewinne aus dem Verkauf für Kampagnen und Hilfsprojekte im globalen Süden. Der Verein "Bis es mir vom Leibe fällt" betreibt ein Veränderungs- und Reparaturatelier für Kleidungsstücke und gibt Workshops für diejenigen, die selbst Hand anlegen wollen. All das funktioniert nur mit Kleidung, die kein Ramsch ist.

Nachhaltigkeit: Weg mit der Wegwerfmentaliät

Schon mal was vom Zweinutzen-Huhn gehört? Was zunächst nach weiterer tierischer Ausbeutung klingt, weist bei klugem Handeln einen Ausweg aus der Gen-Armut im Hühnerstall. In diesem Spezial werfen wir außerdem einen Blick auf die Landwirtschaft und sehen dort neuerdings Drohnen über die Äcker fliegen. Um nichts weniger als um den Erhalt vieler Arten geht es dem BUND. Die Organisation hat jetzt die Bundesregierung auf Naturschutz verklagt. Und wie man Ordnung in Kopf und Kleiderschrank bekommt und so den Konsum reduziert, zeigen wir mit einem Ratgeber auf der Seite 20. Viel Spaß bei der Lektüre! Jenny Mansch