Ausgabe 04/2025
Faire Bezahlung in der Reisebranche: ver.di kämpft für bessere Tarifverträge

Urlaub soll die schönste Zeit des Jahres werden. Dafür geben die Beschäftigten in der Reisebranche alles. Sie buchen Zugverbindungen, Flüge, Schiffspassagen, Hotels, Pensionen, Autos und Reisemobile. Oder sie planen Reiseangebote ans Meer, in die Berge, in Städte, einsame Gegenden und ferne Länder, damit die Kundinnen und Kunden glücklich sind. Doch sie selbst können sich das Reisen immer weniger leisten. Denn während in den letzten Jahren alles teurer geworden ist, sind ihre Gehälter abgehängt worden.
Zwar haben ver.di und die Arbeitgeber, die Deutsche Reiseverband-Tarifgemeinschaft (DRV-T) in den Jahren 2018 und 2019 über einen Flächentarifvertrag für die Branche verhandelt. Doch sie wurden sich nicht einig. 2020 kam Corona und die Reisebranche lag brach, auch die Tarifverhandlungen. Nun, nach sechs Jahren Pause, hat ver.di die Verhandlungen mit den Arbeitgebern erneut aufgenommen. Aber die werden zur Zerreißprobe. Für die Beschäftigten ist das enttäuschend, denn die Einkommen reichen vorne und hinten nicht.
Silvia arbeitet bei einem Reiseveranstalter in Köln im Mittelmeerteam. Ihre finanziellen Reserven sind wegen der Kurzarbeit nach der Pandemie aufgebraucht. "Da knappst man schon rum, um die wieder aufzubauen. Alles wird schließlich teurer." Romy arbeitet in einem Reisebüro, sie verdient dort noch weniger und berichtet: "Ich habe zwei Kinder, wohne in der Nähe von Dresden und brauche ein Auto, um zur Arbeit zu kommen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre der Zeitaufwand einfach zu groß. Ohne meinen Partner käme ich finanziell nicht über die Runden." Für Tom ist es ebenfalls eng, er arbeitet in der Poststelle und erzählt: "Das Einkommen ist so knapp, dass ich während der Kurzarbeit in der Pandemie aus der Wohnung hätte ausziehen müssen, wenn meine Frau nicht einen Job gehabt hätte."
80 Prozent in der Branche sind Frauen
In der Reisebranche arbeiten rund 80 Prozent Frauen. Sie verdienen weniger als Männer in vergleichbaren Berufen. "Weil die Frauen sich weniger wehren", betont Solveig, die bei einem Reiseveranstalter arbeitet. Die Arbeitgeber scheinen sich genau darauf auszuruhen.
Doch mit dieser Ruhe ist im Mai erstmals Schluss: 80 Beschäftigte vom Reiseveranstalter DERTOUR protestieren begleitend zu den Tarifverhandlungen, um gegen das schlechte Angebot ihrer Brötchengeber ein Zeichen zu setzen – zwar nur in der Mittagszeit, aber dennoch als ein klares Signal. Die Arbeitgeber versprechen, auch sie wollen einen Abschluss. Die Verhandlungen werden im Juni fortgesetzt, bleiben aber ohne akzeptables Angebot. Dabei ist die Gewerkschaft ihnen schon deutlich entgegenkommen
Und das, was die DRV-T in den weiteren Verhandlungen bietet, bleibt unterirdisch: Beispielsweise unterschiedliche Erhöhungen in 2026 für die Beschäftigten der Reisebüros (1 Prozent) und Veranstalter (2 Prozent). "Viel zu wenig angesichts einer Inflationsprognose für 2026 zwischen 1,9 und 2,4 Prozent", betont ver.di-Verhandlungsführerin Sonja Austermühle.
Das Arbeitgeberangebot der DRV-T macht aus Sicht der Beschäftigten auch deshalb keinen Sinn, weil es unter dem liegt, was der Veranstalter "TUI 4 U" bereits zahlt, der freiwillig mehrmals erhöht hat. "Für mich ist es unlogisch, einen Tarifvertrag abschließen zu wollen, wo ein Tarifpartner schon mehr raushat, als die Tarifgemeinschaft im Tarifvertrag anbietet", betont Solveig.
Nicht wertschätzend
Ein weiterer Bremsklotz bei den Verhandlungen ist die Forderung der Arbeitgeber nach umsatzabhängigen Komponenten. "Wertschätzung sieht anders aus", findet Tom.
Sonja Austermühle betont: "Gemeinsam haben die Teams ihre Unternehmen durch die Pandemie getragen. Jetzt aber sollen einzelne belohnt werden und andere leer ausgehen. Das zerstört den Zusammenhalt und geht am Ende zu Lasten der Kunden und des Ergebnisses." Um zu klären, wie die Beschäftigten mit dem Minimalangebot der Arbeitgeber umgehen wollen, führt ver.di schließlich Anfang Juli kurzfristig eine Beschäftigtenbefragung durch. Knapp 90 Prozent der Teilnehmenden geben dabei an, das Angebot der Arbeitgeberseite auf gar keinen Fall anzunehmen.
Am 17. Juli erneut der Versuch zu einem Tarifabschluss zu kommen, doch wieder werden die Beschäftigten enttäuscht. Zwar bieten die Arbeitgeber jetzt auch für die Reisebüros 2 Prozent, doch: "Das Arbeitgeberangebot ist insgesamt noch sehr weit weg von der notwendigen nachholenden Tarifierung", betont ver.di-Verhandlungsführerin Austermühle. Dass die Arbeitgeber weitere Erhöhungen nur in Form einer Erfolgszulage ermöglichen wolle, lehnten die Beschäftigten klar ab. Ein Abschluss um jeden Preis komme für ver.di nicht in Frage. "Am Ende müssen die tariflichen Gehälter nicht nur gerade so zum Leben reichen, sondern sie müssen die Qualifikation, das Können, die Belastung und die Leistung der Beschäftigten in der Branche wertschätzend widerspiegeln."
Die Verluste der letzten Jahre müssen nachgeholt werden, auch um Personal und Auszubildende zu halten, die von ihren Einkommen leben müssen. "Genau das ist schwierig, wenn man in Wohngemeinschaften ziehen muss, um diesen Beruf, den wir alle lieben, auszuüben", erläutert Silvia. "Gutes Fachpersonal kostet", sagt sie. "Aber wir tragen ja auch zum Erfolg bei, sind wichtige Zahnräder im Betrieb, da möchten wir auch etwas vom Gewinn abhaben."
Die zuständige ver.di-Tarifkommission hat nun für einen Streik gestimmt.
Aktuelle Informationen zum Tarifkonflikt unter: verdi.de
Die wichtigsten FAQ zur Tarifrunde im Tourismus
Warum verhandelt ver.di derzeit wieder über einen Tarifvertrag in der Reisebranche?
Aufgrund der Pandemie waren die Verhandlungen unterbrochen. Nach sechs Jahren Pause möchte ver.di nun eine bessere Bezahlung für die Beschäftigten in der Reisebranche erreichen, da die Einkommen nicht an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst wurden.
Was sind die Hauptforderungen der Beschäftigten in den Tarifverhandlungen?
Die Beschäftigten fordern eine angemessene Gehaltserhöhung, die die Inflation ausgleicht, sowie eine wertschätzende Anerkennung ihrer Arbeit ohne umsatzabhängige Komponenten oder Erfolgszulagen, die die Solidarität im Team gefährden.
Wie reagieren die Beschäftigten auf das aktuelle Angebot der Arbeitgeber?
Die Mehrheit der Beschäftigten lehnt das Angebot ab, da es deutlich unter den Erwartungen liegt und damit die Verluste der letzten Jahre nicht ausgeglichen werden. Die zuständige ver.di-Tarifkommission hat Streiks beschlossen, um in weiteren Verhandlungen eine gerechte Lösung zu erreichen.