Ausgabe 04/2025
Musik

David Byrne: Who Is The Sky?
Manchmal ist es ganz einfach: Ein Rhythmus, der sofort in die Beine geht, ein paar Bläser tauchen auf wie aus Brackwasser und glänzen hell, und die Stimme zählt euphorisch auf, was wir Menschen alle gemeinsam haben: Wir alle leben und wir alle sterben, wir essen und wir lieben, wir wissen alles vom anderen, weil wir alle ein Handy haben – und wir alle lachen. Everybody Laughs ist ein Lied, das einem verdächtig schnell ins Ohr geht und das uns in diesen Zeiten, die von Hass und Polarisierung geprägt sind, daran erinnern soll, dass wir doch alle mehr gemeinsam haben als uns trennt. Es ist ein Lied, das wieder mal zeigt, was Musik besser beherrscht als alle anderen Kunstformen: Menschen zusammenzubringen. Und es ist ein Lied, das in Erinnerung ruft, welch großartiger Künstler David Byrne ist.

Denn Everybody Laughs hört sich doch tatsächlich so infektiös und doch hintersinnig, so gut gelaunt und doch auch leicht melancholisch an wie die Songs, mit denen die Talking Heads Ende der 1970er-Jahre zu Kritikerlieblingen wurden und in den 1980ern dann auch Mainstreamerfolge feierten. Damals war Byrne ein blutjunger Musiker, der die Aufbruchstimmung des Punk mit intellektuellem Tiefgang und eleganter Coolness verband, sein Auftritt im weißen Oversize-Anzug im Konzertfilm Stop Making Sense, der vergangenes Jahr in einer restaurierten Fassung neu in die Kinos kam, ist ein ikonischer Moment der Popgeschichte.
Nach dem Ende der Talking Heads 1991 spielte sich Byrne quer durch die Popmusik, experimentierte mit afrikanischen, indischen und arabischen Klängen, Disco und Funk, Latin, Country, Musical und Oper, er gründete mit Luaka Bop eines der wichtigsten Labels für Weltmusik. In seinem letzten Projekt "American Utopia" verband Byrne einen Großteil dieser Einflüsse mit verschiedenen Medien vom Album über die Broadway-Show bis zum Film (Regie: Spike Lee) zu einem Projekt, das eine bessere, friedliche Welt heraufbeschwor.
Diese Botschaft hat der mittlerweile 73-jährige, in Ehren ergraute Byrne für Who Is the Sky? auf Albumlänge eingekocht. Musikalisch ist es ein Ritt durch seine Karriere, aber dank Produzent Tom Hull, der sonst mit Miley Cyrus oder Harry Styles arbeitet, immer auf Höhe der Popgegenwart. Vor allem aber ist es ein Aufruf, Unterschiede zu überwinden und weiter an einer besseren Welt zu arbeiten, in der die Wahrheit wieder ihren Wert besitzt. Das Album, das mit Everyone Laughs begonnen hat, endet mit dem Song The Truth, in dem es heißt: Die Wahrheit ist kein Witz, kein Spiel, sie ist zerbrechlich, aber sie kann ein Leben verändern. David Byrne ist noch hoffnungsvoll. Dann dürfen wir es auch sein. Thomas Winkler
MATADOR/BEGGARS GROUP/INDIGO

Dino Saluzzi: El Viejo Caminante
Erst im Mai dieses Jahres hat der argentinische Bandoneonist Dino Saluzzi sein 90. Lebensjahr vollendet. Nun erscheint mit El Viejo Caminante, zu deutsch Der alte Wanderer, sein neues Album im Trio-Format, mit Sohn José Maria Saluzzi an der klassischen Gitarre und dem Norweger Jacob Young an akustischer und elektrischer Gitarre. Saluzzi erwandert mit seinem Knopfakkordeon, das ja in erster Linie dem Tango seinen unverwechselbaren Klangcharakter verleiht, eine unnachahmliche Melange aus Tango, Volksmusik der argentinischen Anden, Klassik und eigenen Kompositionen aus seiner langen internationalen Karriere. Dazu auch neues Material und Adaptionen bekannter Jazzsongs wie Someday My Prince Will Come. Dabei besticht der Altmeister mit seinen weit angelegten Erzählsträngen und einer immer wieder verblüffenden tiefen Emotionalität. Saluzzis besondere Gabe besteht – neben aller Virtuosität – vor allem darin, sein Bandoneon der menschlichen Stimme anzugleichen, mit ihren Möglichkeiten, Seufzer, Sehnsüchte und tiefe Leidenschaft auszudrücken. Peter Rixen
CD ECM RECORDS

Kokoroko: Tuff Times Never Last
Der schicke Dreiteiler, den Kokoroko im Stück Three Piece Suit besingen, ist nicht nur ein Mode-Statement. Für Trompeterin und Sängerin Sheila Maurice-Grey und Percussionist Onome Edgeworth, die das Zentrum der siebenköpfigen Band aus London bilden, ist es vor allem eine Erinnerung an ihre Herkunft. Denn ihre Großväter trugen dreiteilige Anzüge, nachdem sie in den 1960er-Jahren aus Nigeria und anderen ehemaligen Kolonien nach England gekommen waren. Heute spielen die Nachfahren dieser Migranten auf ihrem zweiten Album Tuff Times Never Last eine Musik, die viele der Einflüsse, die im Schmelztiegel London zu finden sind, zusammenführt zu einer Melange, die nur oberflächlich eine weltweite Harmonie verspricht – und das Ensemble dennoch zum angesagten Exportartikel hat werden lassen. Denn unter der elegant dahintänzelnden Oberfläche aus Afropop und Cocktail-Jazz brodelt es, Verweise auf Soul, Club-Beats und sogar bisweilen atonalen Free Jazz zeigen an, aus welchem Reichtum Kokoroko schöpfen können – und dass die aktuellen Versuche, Grenzen hochzuziehen, zumindest in der Musik keine Zukunft haben sollten. Thomas Winkler
BROWNSWOOD/ROUGH TRADE