Ausgabe 04/2025
Kündigungen nach Streik: Wie Bofrost Standorte dichtmacht und Betriebsräte umgeht

Die Bofrost-Geschäftsführung dürfte sich wieder ärgern. Noch ein öffentlicher Artikel, dieses Mal in der ver.di publik. Erst neulich berichteten örtliche Medien wie die Rheinische Post und Antenne Niederrhein über die Schließung der vier Niederlassungen. Bofrost, nach eigenen Angaben Europas Marktführer im Direktvertrieb von Tiefkühlkost und Speiseeis, will zum Ende des Jahres vier von 115 Niederlassungen schließen. Dichtgemacht werden die Standorte Dormagen, Dortmund und Ingersheim. Zwei weitere Niederlassungen werden zusammengelegt. Betroffen sind etwa 200 Beschäftigte. Wie viele von ihnen an anderen Bofrost-Standorten Arbeit finden werden, ist ungewiss. Noch sind die Sozialpläne nicht abschließend verhandelt.
Bofrost verweigert ihnen eine Jobgarantie. Die gekündigten Beschäftigten können sich allenfalls mit einer Empfehlung bewerben. "Uns wurde bereits angekündigt, dass nicht alle mitgenommen würden", sagt Christian Einzig, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in Ingersheim. Sein Betriebsratskollege Carsten Greulich vermutet, dass Bofrost vor allem die um die 60-Jährigen loswerden will.
Das Unternehmen begründet die Schließungen mit rückläufigen Umsätzen, Gewinnen und Kundenzahlen. Die Bofrost-Stiftung, Gesellschafterin der rechtlich eigenständigen Niederlassungen, wolle das Defizit nicht mehr ausgleichen, heißt es im Unternehmen. Der Betriebsratsvorsitzende Norbert Baier wundert sich: "Unsere Niederlassung in Dormagen erwirtschaftet einen der höchsten Tagesumsätze in Nordrhein-Westfalen." Baier ist seit mehr als 30 Jahren im Amt. Er habe es nie anders erlebt: Die Niederlassungen machen Verluste. Hohe Umsätze, aber Verluste – das passe nicht zusammen. "Die Planzahlen sind immer höher angesetzt, als das, was wir erwirtschaften." Wie die Bofrost-Stiftung finanziell dasteht, wissen die Betriebsräte nicht. Familienstiftungen sind nicht zur Veröffentlichung ihrer Jahresabschlüsse verpflichtet.
Für höhere Löhne und Tarifvertrag eingesetzt
Warum es nun diese Niederlassungen trifft, liegt für die Beschäftigten nahe: Die Belegschaften in Dortmund und Dormagen haben 2023 gestreikt und sich auf der zentralen Kundgebung in Düsseldorf mit den Kolleg*innen aus dem Handel für höhere Tariflöhne eingesetzt. Auch die Bofrost-Fahrer wollten mehr Geld und einen Tarifvertrag. Seit dem Austritt des Familienunternehmens aus dem Arbeitgeberverband 2017 gilt der Tarifvertrag in Nachwirkung. Und das nur für eine Minderheit. Die streikenden Bofrost-Beschäftigten wollten endlich wieder einen Tarifvertrag und zusätzlich Provision. Dafür legten einige Belegschaften die Arbeit nieder. Ein Betriebsrat erinnert sich an die Drohung eines Vorgesetzten: "Wenn ihr so weitermacht, schließen wir den Standort."
Statt eines Tarifvertrags erhielten die Bofrost-Beschäftigten ein neues Entlohnungsmodell. Vereinbart wurde es mit sogenannten Cluster-Betriebsräten aus mehreren Niederlassungen – ein Konstrukt, das das Betriebsverfassungsgesetz nicht vorsieht. Das Grundgehalt liegt zwischen 2.500 und maximal 3.000 Euro ab dem siebten Jahr bei Bofrost. Zusätzlich zahlt die Firma Prämien für neue Kund*innen und beteiligt die Fahrer am Umsatz und an Aktionsverkäufen. Für jeden Kunden, der abspringt, zieht Bofrost dem Fahrer 15 Euro von der Prämie ab. Selbst wenn eine Kundin oder ein Kunde stirbt.
Im Vergleich zum alten Entlohnungsmodell fehlen Carsten Greulich im Monat netto 200 bis 300 Euro, sagt er. "Die Fahrer müssen nun noch mehr ranklotzen, um über das Grundgehalt zu kommen", ergänzt Dirk Giemza, Betriebsratsvorsitzender in Dortmund. Die Ankündigung von der Schließung hat alle überrascht. "Wir Betriebsräte wurden vorher nicht informiert." Ein Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Mehr noch: Nach Auffassung des ver.di-Gewerkschaftssekretärs Ortwin Auner umgeht Bofrost mit der Schließung einen Betriebsübergang. Der würde das Unternehmen gesetzlich verpflichten, die Beschäftigten für ein Jahr zu den bisherigen Bedingungen zu beschäftigen.
Stiftung unterstützt die eigene Familie
Bofrost-Gründer Josef H. Boquoi hat dasselbe getan wie die Familie Albrecht (Aldi) und die Familie Fielmann. Er hat eine Familienstiftung gegründet; sie führt das Unternehmen. Stiftungszweck ist laut Stiftungsverzeichnis von Nordrhein-Westfalen (NRW) die Unterstützung der eigenen Familie.
Vor einigen Jahren kaufte die Familienstiftung 2.750 Hektar Staatswald. Das führte damals zu heftigen Kontroversen. Im Mittelpunkt stand NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU), in dessen Landtagswahlkreis der Bofrost-Sitz Straelen lag. Vom Freundschaftsdienst unter Jagdkollegen war die Rede. Boquoi hat sich längst zurückgezogen und das Geschäft seinen Kindern übergeben. Sie werden von externen Beratern unterstützt – darunter der frühere NRW-Finanzminister Linssen. 2022 stand Boquoi auf der Liste der 500 reichsten Deutschen auf Platz 114 mit einem geschätzten Privatvermögen von 1,56 Milliarden Euro. Seine Klage gegen die Listung als einer der reichsten Deutschen scheiterte. Öffentlichkeit ist auch hier nicht gewünscht.
FAQ – das musst Du wissen zum Konflikt bei Bofrost
Warum schließt Bofrost Ende 2025 mehrere Niederlassungen?
Bofrost begründet die Schließungen der Standorte Dormagen, Dortmund und Ingersheim mit rückläufigen Umsätzen, Gewinnen und Kundenzahlen. Die betroffenen Belegschaften in Dortmund und Dormagen hatten 2023 gestreikt und sich für höhere Tariflöhne eingesetzt, was die Entscheidung bei Bofrost beeinflusst hat, vermuten die Beschäftigten.
Wie wirken sich die Standortschließungen auf die Beschäftigten aus?
Etwa 200 Beschäftigte sind von den Schließungen betroffen. Bofrost bietet keine Jobgarantie. Die gekündigten Beschäftigten können sich allenfalls mit einer Empfehlung an anderen Standorten bewerben. Besonders ältere Mitarbeiter um die 60 Jahre scheinen betroffen zu sein, was bei den Beschäftigten Sorgen um ihre Zukunft auslöst.
Was ist das neue Entlohnungsmodell bei Bofrost und wie beeinflusst es die Fahrer?
Das neue Modell basiert auf einem Grundgehalt zwischen 2.500 und 3.000 Euro ab dem siebten Jahr, plus Prämien für Neukunden und Umsatzbeteiligung. Allerdings werden den Fahrern für jeden Kundenverlust 15 Euro von der Prämie abgezogen, was im Vergleich zum alten Modell zu Einkommensverlusten von 200 bis 300 Euro monatlich führt. Viele Fahrer*innen kritisieren, dass sie nun noch mehr arbeiten müssen, um ihr Einkommen zu sichern.