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Gran Canaria: 14 unterschiedliche Klimazonen und manches nur für Schafe erreichbares GeländeFoto: Beny Aguiar

Bei der Begrüßung unserer Wandergruppe rutscht das Herz der Berlinerin erst einmal talwärts. Außer mir, der Flachlandtirolerin, besteht sie aus durchtrainierten Bayern, die augenscheinlich allesamt am Berg aufgewachsen sind. Ihre Ausrüstung und Entschlossenheit legt zudem die Vermutung nahe, dass diese rotwangigen Menschen zwischen 35 und Ende 60 täglich einen dieser Berge im Eiltempo erklimmen, während ich nur regelmäßige Stadt-Spaziergänge mit dem Chihuahua vorweisen kann. Bevor ich dieser Reise zustimmte, sah ich mir den Schwierigkeitsgrad der drei Wanderwege an, sie lauten "gemäßigt", "mittel" und "leicht". Na, das wird doch wohl zu schaffen sein!

Die fast kreisrunde Insel Gran Canaria mit ihrem Durchmesser von 50 Kilometern ist Teil des kanarischen Archipels vor der westafrikanischen Küste. Sie ist das Ergebnis dramatischer Ereignisse vor 16 Millionen Jahren. Unterseeische Vulkane spieen ihr Magma aus, bis es sich auftürmte und schließlich als stein gewordene Landmasse an der Oberfläche des Atlantiks auftauchte – unter großem Getöse war Gran Canaria geboren. Die Erosion durch Wind und Wasser schnitzte mit der Zeit das heutige Antlitz der Insel, deren Stirn grün und das Kinn gelb ist.

Wir starten unseren ersten Wandertag im Norden. Die üppige Vegetation profitiert von den Bergen, an denen die von den Passatwinden hergetriebenen Wolken abregnen und im April, Mai und Oktober selbst die kargen Trockentäler in ein farbenprächtiges Blütenmeer verwandeln. Auf der Fahrt von Agaete, 20 Autominuten westlich der Hauptstadt Las Palmas, zum Wanderstartpunkt Fontanales überwältigt die Vielfalt der Natur.

Viele Pflanzen gibt es aufgrund der klimatischen Besonderheiten nur hier. Die Kanaren-Wolfsmilch etwa, die Nationalblume der Insel. Ebenso die rötliche Kanarische Glockenblume oder der pinkfarbene Natternkopf, die sich im Frühling gegen die Flut der kanariengelben Blüten von Ginster, wildem Tabak und Goldglöckchen behaupten. In den Tieflagen gedeihen Bananen und Tomaten; letztere werden zunehmend abgelöst von profitableren Solarfeldern. In mittleren Höhenlagen fühlen sich Lorbeerbäume wohl und ab 600 Metern macht sich die Kanarische Kiefer breit, eine Pinienart. Sie legt den Erdboden mit dem weichen Polster ihrer Nadeln aus.

Reif für den Rückweg

Der butterweiche Belag der Kiefernwälder von Piños de Gáldar ist eine Wohltat im Vergleich zum Geröll auf dem Rundweg, den die Gruppe bis hier heraufgekraxelt ist, auf 615 Meter. In der Nähe liegt der erloschene Krater eines Vulkans und ein beliebter Aussichtspunkt. Ich komme als Letzte angeschnauft und stütze mich dankbar auf die Wanderstöcke, die man mir vor dem Start in die Hand gedrückt hat. Ich bin reif für den Rückweg. Dabei hat die Wanderung gerade erst begonnen.

"Langsam gehen, Fokus auf die Steine und trittsicher einen Fuß vor den anderen setzen", coacht mich eine erfahrene Wanderin der Gruppe. Ich solle mein eigenes Tempo finden und mich von dem der Gruppe lösen. Das ist leichter gesagt als getan. Immerhin verstehe ich jetzt, warum man mir im Fachgeschäft zu diesen klobigen Wanderschuhen geraten hat – ohne ihren Schutz haben die Knöchel keine Chance.

Weiter geht es wieder über Stock und Stein immer bergauf; am Wegesrand erbarmt sich ein Obstbauer meiner elenden Gestalt und wirft mir Apfelsinen zur Stärkung zu. Meinen Rucksack trägt längst einer der frohgemuten Bayern, während wir die 14 unterschiedlichen Klimazonen Gran Canarias zu spüren bekommen. Erst tost der Wind, dann peitscht der Regen, gefolgt von heißem Sonnenschein. Nach 10 Kilometern sind Rundweg und ich geschafft. Er endet bei der Queseria Cortijo de las Hoyas, wo Köstlichkeiten aus Ziegen-, Kuh- und Schafsmilch hergestellt und auch an Besuchergruppen verkostet und verkauft werden.

Königlich wandern

Tag Zwei führt uns von Fataga nach Fortaleza, einer bedeutenden Felsformation im Barranco de Tirajana, der Festung von Ansite. Die Route besteht in Teilen aus den alten Königswegen, den Caminos Reales. Auf ihnen schleppten die Bauern in grauer Vorzeit ihre Ernteprodukte über die Insel. Während ich mich auf meine Schritte und die großen Wackersteine konzentriere, von denen man nie weiß, ob sie fest stehen oder wackeln, fühle ich mit den spanischen Eroberern, die ab dem 15. Jahrhundert hier herkamen. Kein Wunder, dass die zuerst das zugängliche Fischerdorf Las Palmas angegriffen haben.

Erst nach und nach sicherten die Kanaren ihre Stadt mit Festungen gegen die Eindringlinge ab. Trotzdem legte auch Christoph Kolumbus hier an, um vor der großen Überfahrt seine Flotte zu reparieren, während der englische Freibeuter Francis Drake von Gran Canaria viele Kanaren entführte, um sie auf dem internationalen Sklavenmarkt zu verkaufen.

Im steinigen Hinterland aber leisteten die Ureinwohner der Insel lange Zeit erbitterten Widerstand, Fortaleza Ansite war ihre letzte Bastion. Sie beschossen und bewarfen die Spanier von hier oben mit allem, was sich nicht wehrte. Die Festung mit ihren Höhlen diente ihnen über Jahrhunderte als Lebensraum, Begräbnisstätte und Lagerplatz. Heute ist sie ein beliebtes Ziel für Besucher, die mehr über die Geschichte und Kultur Gran Canarias erfahren möchten.

Unbedingt zu empfehlen ist ein Besuch des dortigen archäologischen Museums samt 15-minütiger Filmvorführung. Gezeigt wird ein Tag im Leben dieser Ureinwohner, das vor allem für Frauen hart war. Was den Film besonders macht: Die Laien-Darsteller sind allesamt Kanaren aus der Umgebung. Stellenweise sprechen sie im Film das alte, längst ausgestorbene Kanarisch.

Der Ehrgeiz ist geweckt

Unser letzter Wandertag führt über die Route der Talsperren vom Staudamm des Salto del Perro zum Staudamm Presa de las Niñas bei Mogán. Es hat stärker geregnet als gedacht, der Weg ist nicht passierbar, weshalb wir querfeldein wandern, immer mang den großen Steinen, die irgendein Vulkan in der Nähe uns vor die Füße gespuckt hat. Zwischendurch löse ich meine Augen vom Weg und bewundere die fantastische Aussicht. In der Ferne ragt der Roque Nublo auf, ein weiteres Nationalsymbol Gran Canarias. Für den 1.813 Meter hohen Felsbrocken wurde die Umgebung 1987 unter Naturschutz gestellt – genau wie 47 Prozent der gesamten Insel.

Im Hotel von Maspalomas im Süden Gran Canarias angekommen, loben meine Mitwanderer mich dafür, so tapfer durchgezogen zu haben und stürmen weiter an den Strand, um den feinen Sand der Dünen zu spüren, die es nur dort gibt. Ich winke ab und wanke direkt zum Pool. Die Dünen von Maspalomas müssen bis zu meiner nächsten Wanderreise auf Gran Canaria warten. Denn mein Ehrgeiz ist geweckt: Zurück in der Großstadt wird seit dieser Erfahrung mit preußischer Disziplin trainiert, in einer Muckibude. Dann wird man schon bald sehen, wie eine Berlinerin mit den Bayern mithalten kann.

TIPPS für Gran Canaria

Für Kurzentschlossene

Vom 23. bis 26. Oktober 2025 findet das Gran Canaria Walking Festival 2025 statt. grancanariawalkingfestival.com/de

Wanderausrüstung

Den Windbreaker nicht vergessen! Unverzichtbar: Robuste Wanderschuhe, Wanderstöcke, Wasser und Wechselkleidung

Unterkünfte

Hotel Occidental Roca Negra in Agaete kurzelinks.de/i42y

Hotelresort Seaside Palm Beach kurzelinks.de/0tyt

Essen & Trinken

Casa Romantica in Agaete casaromanticaagaete.com

Casa Rincon Antonio in Santa Lucía., 35280 Santa Lucía de Tirajana

Parador de Cruz de Tejeda in Tejeda, ­Gehobene Küche mit Panoramablick

Geschichte

La Fortaleza Centro de Interpretation

Archäologisches Museum in La Sorrue da, Santa Lucía de Tirajana. Eintritt 4 Euro mit Filmvorführung

Dinnershow: Bunt, divers und voller Lebensfreude inszenieren Artisten, Sänger*innen und Künstler eine rasante Show über die Entstehungsgeschichte Gran Canarias. Infos unter salascala.com