Ausgabe 05/2025
Abhängen im Grünen

Die junge Kellnerin im Café reißt die Augen auf, als wir ihr davon erzählen: "Ihr habt ein Faultier gesehen?! Ich lebe hier und hatte dieses Glück noch nie – was ist euer Geheimnis?", ruft sie ungläubig. Das Geheimnis lautet: Hotel Villa Florencia in Turrialba, Costa Rica. Dort, in der Krone des Guarumo-Baums zwischen der Hotelbar und den Apartments, wohnt mietfrei eines dieser seltener werdenden Exemplare. Es ist Bradypus, das Dreifingerfaultier und seit 2021 das Nationalsymbol des Landes.
Die Tiere sind beliebt, weil sie stets zu lächeln scheinen und sich – wenn überhaupt – nur in Zeitlupe fortbewegen. An diesem Morgen jedenfalls ist das Aufgebot an Urlaubs-Fotografen beträchtlich, das Faultier hat sich schnell herumgesprochen. Die meisten Hotelgäste haben in einiger Entfernung ihr Kamerastativ aufgebaut und lauern auf den großen Moment – wird sich das freundliche Tier heute bewegen?
Aufgrund seines entschleunigten Stoffwechsels, erklärt unser Guide Adonys Cruz, macht sich so ein Faultier, englisch Sloth, nur einmal in der Woche auf den Weg nach unten, weil es auf die Toilette muss. Und das ist nun soweit! Wie in Slow Motion beginnt Slothi – den Spitznamen hat es von den Touristen aus Großbritannien – einen Arm auszustrecken. Es greift nach einem anderen Ast, um seine Position zu ändern und dreht nun gemächlich den Kopf. Dann beginnt es seinen Abstieg – und alle halten den Atem an. Anderthalb Stunden lang! Denn so lange braucht das Faultier, um von dem hohen Baum herunterzukommen. Der Anstieg der Temperatur durch den Klimawandel lähmt den Stoffwechsel der Tiere zusätzlich. Deshalb wird der Toilettengang des lächelnden Dschungelbewohners zur Meditationsübung für die staunenden Touristen.

Um Mitternacht im Urwald
Über Slothi und den Erhalt seiner Art wacht das Forschungs- und Ausbildungsinstitut CATIE in Turrialba. CATIE erforscht und lehrt Nachhaltigkeit, Naturschutz und ökologischen Anbau und es betreibt die zweitgrößte Samenbank der Welt. Falls einmal die Welt untergeht, es zu Kriegen oder anderen Katastrophen kommt, lagern hier mehr als 6.000 Proben bei minus 18 Grad im Tiefkühlschrank. Außerdem bietet das Ausbildungsinstitut Führungen bei Tag oder Nacht durch den botanischen Garten an – letzteres ist eine besonders spannende Erfahrung.
Mit Gummistiefeln und Stirnlampen ausgestattet, geht es in stockdunkler Nacht über die schmalen Wege in die Tiefe des Gartens, wo nasse Lianen die Haut streifen, bis die Haare zu Berge stehen. Für die späte Mitternachtsstunde ist es recht laut. Die Frösche und Kröten quaken um die Wette, es zirpt und knarzt und auf den Blättern der Bromelien sitzt einer der 193 verschiedenen Froscharten, die es hier gibt. Alle beugen sich herab und seufzen „ach wie süß“, bis erklärt wird, dass der knallrote Feuerfrosch genauso tödlich ist wie die meisten der farbenfrohen Winzlinge, die hier leben.
Ein Absolvent des CATIE-Instituts, das viele ökologische Projekte der Region fördert, ist der Kakaofarmer Aldo Sanchez. Er hat im Institut gelernt, wie sich Kakao unter sich verändernden Bedingungen effizient anbauen lässt. Heute bewirtschaftet er mit seiner norwegischen Frau Anne-Ellen Norddal die Kakaofarm Nortico. Mit klimatisch angepassten und optimierten Kakaopflanzen aus dem Labor von CATIE produziert das Unternehmen unterschiedliche Sorten Schokolade, die so begehrt sind, dass Aldo inzwischen Farmer aus der Umgebung schult. Vor Ort können Besucher im Anschluss an eine Besichtigung selbst ihre Lieblingsschokolade herstellen und verzehren, bevor die Köstlichkeit geschmolzen ist.
Vom Flugzeugsitz zur Handtasche
Auch die Karriere der Kanadierin Lynne Corvaglia, bei Nortico für Entwicklung und Kommunikation zuständig, nahm bei CATIE ihren Lauf, wo sie internationale Entwicklungsarbeit studiert hat. Dies brachte sie in Kontakt mit einigen weiblichen Gründerinnen, und sie entwickelte ein Gespür für die soziale Ungleichheit auch in Turrialba, unter der vor allem Frauen leiden.
Ein Nachhaltigkeits-Projekt der Fluggesellschaft Southwest Airlines aus Dallas, USA kam da gerade recht. Lynne und ihr Mann Christian Riquelme betreiben seitdem in einer kleinen Seitenstraße im lebhaften Städtchen Turrialba ein Upcycling-Studio, in dem eine Spende von 12.000 ausgemusterten Ledersitzbezügen der Airline zu schicken Crossbody-Bags, Rucksäcken, Strand-und Handtaschen verarbeitet werden.
Genäht werden die Taschen von zwei Frauen aus der Nachbarschaft, die bis dahin am Rande der Armut versuchten, ihre Kinder vor den Gefahren der Straße zu schützen. Mit dem Job bei Wearsos konnten sich Carolina Jimenez und Ines Solis einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten. „Das war uns bei der Gründung von Wearsos wichtig. Wir wollten ein Unternehmen gründen, das nicht nur Gewinn machen will, sondern die Community, den Kiez voranbringt, etwas an sie zurückgibt, wenn auch erstmal in kleinem Umfang“, sagt Gründerin Lynne. Sie schwärmt von den Fähigkeiten der beiden Frauen, die wegen der Komplimente ganz verlegen sind.

Wo der Quetzal fliegt
Groß auf die Fahnen geschrieben hat sich Costa Rica den Umweltschutz, ein Viertel der Landesfläche hat es unter Naturschutz gestellt. Einzig der Verkehr läuft dieser Entwicklung entgegen, eine Mobilwende ist noch nicht in Sicht. Also sind die Straßen voll, die ins Orosi-Tal führen. Hier kann der Hobby-Archäologe beim Umherstreifen in der Natur auf verwitterte Steine aus Kolumbus' Zeiten stoßen, inklusive geheimnisvoller und uralter Inschriften.
Umfassend werden Besucher über die indigene Kultur Costa Ricas und die vielen revolutionären Kämpfe jüngerer Vergangenheit im Nationalmuseum der anderthalb Autostunden entfernten Hauptstadt San José informiert. Hier werden gern die Nachbildungen der rätselhaften Steinkugeln aus präkolumbianischer Zeit umarmt, deren Zweck und Herstellung der Archäologie bis heute Rätsel aufgibt.
Zudem locken Vulkane, Wasserfälle und eine Vogelwelt, die ein Magnet für Birdwatcher aus der ganzen Welt sind. Die Aufregung ist groß, als sich plötzlich der legendäre Quetzal-Vogel mit seinem markanten Gefieder aus einem Baum über unserer Gruppe erhebt. Gute Chancen, ihn zu sehen, hat man im Nebelwald des Nationalparks Los Quetzales oder in den frühen Morgenstunden im Nationalpark Tapanti.
All diese Eindrücke lassen sich am besten in den heißen Quellen der Hacienda Orosi, einer Bio-Kaffeeplantage, verarbeiten. Hier blubbert im Hochland-Hot-Pool das 38 Grad heiße Wasser aus vulkanischen Thermalquellen, während der Blick über das weite Tal dieses Landes schweifen kann, das neben all der prachtvollen Natur eine stabile Demokratie vorweisen kann. Und dessen ehemaliger Präsident Figueres 1948 das Militär abschaffte, um das Geld lieber in Bildung, Gesundheitsversorgung und Umweltschutz zu investieren.
Tipps für Costa Rica
Erleben
Forschungsinstitut CATIE: catie.ac.cr
Upcycling-Studio Wearsos: wearsos.com
Nationalmuseum San José: museocostarica.go.cr
Individuelle Touren: costaricaparadiseto.com
Unterkunft
Hotel Villa Florencia: villaflorencia.com
Hotel Quelitales: quelitales.com
Infos aller Art