Ausgabe 05/2025
Hinter der Fassade

Leibnitz – Chronik eines verschollenen Bildes
Worauf kommt es in der Porträtmalerei an? Leibniz, das Universalgenie, steht zwar Modell, aber sein Spiegelbild auf einer Leinwand sei wertlos, meint er, wenn die wahre Persönlichkeit hinter der Fassade zurückbleibt. Und daran regen sich keine Zweifel, zumal die preußische Königin Sophie Charlotte mit dem von ihr beauftragten Bildnis Zwiesprache halten will, um sich ihrem vermissten geistigen Ziehvater näher zu fühlen. Hofmaler Delalandre ist für ein solches Projekt nicht der Geeignete, so wie er anno 1704 mit vorgefertigten Schablonen anrückt, in die nur noch das Gesicht eingefügt werden muss. Eine flämische Künstlerin geht die schwierige Aufgabe zielführender an, nähert sich ihrem Gegenüber mit Geduld und Hingabe im Dialog und gutem Gespür für das Licht. Feinsinnig spielt Edgar Reitz in seiner leisen filmischen Meditation mit philosophischen Gedanken. Ursprünglich hatte er ein aufwendiges Epos über den Vordenker der Aufklärung geplant, aber die hohen Produktionskosten zwangen ihn zur Reduktion. Zum Glück, möchte man meinen, weniger ist mehr. Ob sich bei dem kühnen Versuch, das gesamte Leben des Gelehrten abzubilden, ein ebenso facettenreiches Bild von ihm ergeben hätte wie in dem anspruchsvollen, dichten Kammerspiel, erscheint fraglich. Kirsten Liese
D 2025. R: EDGAR REITZ. D: EDGAR SELGE, AENNE SCHWARZ, LARS EIDINGER, BARBARA SUKOWA U.A., 104. MIN., START 18.9.25

Ganzer halber Bruder
Thomas hat seinen letzten verbliebenen Anzug angezogen. Den Makel des Knasts, in den er wegen Immobilienbetrugs eingefahren war und aus dem er nun auf Bewährung entlassen wird, soll man ihm nicht ansehen. Als er durch eine Notarin erfährt, dass ihm seine Mutter, die ihn nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hatte, eine zwei Millionen schwere Villa vermacht hat, glaubt er, einen Sechser im Lotto gewonnen zu haben. Doch das Erbe hat einen Preis: Mit der Villa muss er sich verpflichten, sich um seinen Halbbruder Roland, den alle nur Sunny nennen, zu kümmern. Der hat ein Faible für Krafttraining und alte Hits. Hat einen ehrbaren Job und Trisomie 21. Und er wohnt in der Villa. Die Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein. Ein Abzocker vor dem Herrn trifft auf einen herzensguten, aber nicht leichtgläubigen jungen Mann, der sich seiner Einschränkungen bewusst ist. Vor allem aber spürt er, dass der plötzlich auftauchende große Bruder kein nur guter Mensch ist. Mit Spannung, Humor und natürlich Herzschmerz erzählt der Film von einer etwas anderen Reifeprüfung. Dabei Christoph Maria Herbst und Nico Randel in den Hauptrollen zuzusehen, ist manchmal brüllend komisch, aber immer unterhaltsam auf hohem Niveau.
Petra Welzel
D 2025, R: H. OLDERDISSEN, D: CH. M. HERBST, N. RANDEL, S. TERZIYAN, 102 MIN., START 18.9.25

Israel und die Palästinenser
Die zweiteilige BBC-Dokumentation von Norma Percy beginnt 2003 mit der Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, die israelischen Truppen samt der Siedlungen aus Gaza abzuziehen und – wie jemand im Film sagt – "die Schlüssel über den Zaun zu werfen". Sollten die Palästinenser doch selbst mit ihren Terroristen fertig werden. Percy zeigt, wie in der Folge alle diplomatischen Bemühungen um Frieden oder gar Aussöhnung in der Region an politischen Fehleinschätzungen, aber auch an Sturheit, Größenwahn oder schlicht schlechtem Timing der Beteiligten scheiterten. Wie sich die Hamas ungestört radikalisierte und zwei Jahre später die Wahlen in Gaza gewann. Die 80-jährige Dokufilmerin Percy lässt ranghohe Politikerinnen und ihre Stellvertreter zu Wort kommen, von Condoleeza Rice über Hillary Clinton, Obama bis zu Mahmoud Abbas, dem Holocaust leugnenden Präsidenten Palästinas. Ehud Olmert zeigt auf einer Karte seine erstaunliche Zweistaatenlösung, die im Rückblick einer der kompromissbereitesten von Seiten Israels war. Im Film gibt Abbas' Stabschef Rafik Husseini zu, dass sie über den Vorschlag nur gelacht hätten. Der Doku gelingt es, auf erschütternde Weise den Weg in den Abgrund nachzuzeichnen, ohne Schuld zuzuweisen. Einige palästinenische Vertreter dürfen dennoch pure Propaganda von sich geben. Gut zu Gesicht steht ihnen das nicht.
Jenny Mansch
Doku in zwei Teilen, Arte Mediathek