Die gute Nachricht ist: Gegen Fachkräftemangel lässt sich eine Menge tun. Verlässliche Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Weiterbildung und vieles mehr halten qualifizierte Kräfte am Arbeitsplatz und machen eine Ausbildung dort für den Nachwuchs attraktiv. Die schlechte Nachricht: Leider passiert oft das Gegenteil. Das zeigt die neue Studie des ver.di-Bereichs Innovation und Gute Arbeit "Fachkräftesicherung und Personalmangel im Dienstleistungssektor".

Die Antworten von rund 4.870 Beschäftigten unter anderem aus der öffentlichen Verwaltung, Krankenhäusern und Pflegeheimen, Speditionen, Paketdiensten, Kindertagesstätten, Jugendhilfeeinrichtungen, Banken und Versicherungen, die im vergangenen Jahr an einer Befragung mit dem DGB-Index Gute Arbeit teilgenommen haben, wurden dafür gesondert ausgewertet.

Eines der niederschmetternden Ergebnisse lautet, dass fast die Hälfte der Dienstleistungsbeschäftigten akuten und hohen Personalmangel in ihren Arbeitsbereichen beklagen. Für knapp 60 Prozent dauert dieser Zustand bereits mehr als anderthalb Jahre an. Viele Betroffene ziehen die Reißleine und kündigen, reduzieren die Arbeitszeit oder wechseln den Arbeitsplatz.

"Besonders bedenklich ist, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen sich unter diesen Bedingungen nicht vorstellen kann, bis zur Rente durchzuhalten", betont der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Das gilt für fast 40 Prozent der Beschäftigten in öffentlichen Verwaltungen, für knapp 60 Prozent des Personals in Krankenhäusern und sogar 77 Prozent in Pflegeheimen.

Die Arbeitgeber müssten dringend etwas gegen diese Entwicklung unternehmen, betont Frank Werneke, weil die Fortsetzung dieses Irrweges "ein Sterben auf Raten" bedeute. An welchen Stellen der Hebel angesetzt werden müsse, sei sonnenklar, denn Personalmangel und Überlastung der zu wenigen Arbeitskräfte seien die direkte Folge schlechter Arbeitsbedingungen.

So geht es

Dass es anders gehen kann, zeigen Beispiele aus der ver.di-Studie: In einer privaten Pflegeeinrichtung in Rheinland-Pfalz wurde etwa der Schichtdienst weniger belastend umgestaltet, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung zur psychischen Belastung gezeigt hatte, was die Beschäftigten am meisten stört. So gibt es nun eine Garantie für regelmäßige freie Wochenenden. Und Pflegekräfte, die zweimal in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen, bekommen einen zusätzlichen freien Tag.

In Thüringen wurde in einem Modellprojekt in der Langzeitpflege im ersten Schritt die Arbeitszeit von 40 auf 36 Stunden verringert, wie Barbara Sucec, die bei ver.di für die Pflegepolitik zuständig ist, berichtet. Das Projekt sieht einen tariflich geregelten Einstieg in eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich vor. "Die verbliebene Arbeitszeit von neun Stunden pro Tag kann innerhalb der Tagdienstzeit flexibel verteilt werden." Es werde nun mit dem Ziel weiterverhandelt, Arbeitszeiten von maximal 32 Wochenstunden oder höchstens 8 Stunden am Tag zu erreichen.

Die Beispiele belegen, wie wichtig vielen Beschäftigten verlässliche Freizeit und oft auch weniger Arbeitstage sind. Mit Blick auf die Studie unterstreicht Frank Werneke: "Die Arbeitsbelastungen müssen erheblich reduziert werden, wenn Menschen in diesen Branchen gehalten oder dafür neu gewonnen werden sollen." Dabei sei die von der Bundesregierung geplante Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes keine Lösung.

Helfen könnte dagegen, den Einstieg ins Arbeitsleben sowie den Verbleib im Beruf attraktiver zu gestalten, stellt Rebecca Liebig klar, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und dort unter anderem zuständig für Arbeitsmarktpolitik und Gute Arbeit. Frauen etwa würden oft in Teilzeit arbeiten, weil sie sonst die Sorgearbeit für Kinder und pflegebedürftige Familienangehörige nicht bewältigen könnten. "Arbeitgeber müssen daher familienfreundlichere Vollzeitstellen schaffen und den Beschäftigten stärker entgegenkommen, etwa mit Betriebskitas und flexibleren Arbeitszeitmodellen. Dann werden sich Frauen auch gerne stärker einbringen", sagt Liebig.

Selbst schuld

Häufig klagen Arbeitgeber über den Fachkräftemangel, dabei hätten sie es selbst in der Hand, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, inklusive Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung einzurichten und mit mehr Weiterbildungsangeboten die vorhandene Belegschaft fit für die künftigen Herausforderungen im Beruf zu machen, betont Liebig. Klar sei auch, dass in der Bundesrepublik dringend Arbeitskräfte aus anderen Ländern benötigt würden, um den Wohlstand zu sichern. Neben mehr Zuwanderung sei die bessere Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt dabei der richtige Ansatz. Dazu gehörten sichere Aufenthaltstitel und ein leichterer Wechsel vom Asyl- ins Aufenthaltsrecht.

Dagegen führe die angekündigte Verschärfung der Asylpolitik der jetzigen Bundesregierung zu einem inhumanen und auch unter wirtschaftlichen Kriterien nicht nachvollziehbaren Ausschluss vieler Menschen vom Arbeitsmarkt, so Liebig. Auf diese Weise würde der Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete stärker eingeschränkt als bisher. Damit sei niemandem geholfen. Für ein Umsteuern sei es aber nicht zu spät; konstruktive Ansätze dafür liefert die ver.di-Studie.

Zur Studie: kurzelinks.de/uw51