Ausgabe 06/2025
Familien fördern, nicht Ehen

Das Familienmodell wirkt völlig aus der Zeit gefallen: Der Mann verdient das Geld, die Frau bleibt zu Hause, mehr oder weniger. Trotzdem hält die Politik hartnäckig am Ehegattensplitting fest – und fördert damit ganz aktiv diesen veralteten Lebensentwurf. "Die Realität der Menschen sieht komplett anders aus", betont Karin Schwendler, bei ver.di für die Frauenpolitik zuständig. Wo reicht noch ein Einkommen, um eine Familie zu ernähren? Und welche Frau verzichtet ohne Grund darauf, mehr Geld zu verdienen? Höchste Zeit, diesen kostspieligen Steuerbonus für Ehepaare abzuschaffen. Etwa 20 Milliarden Euro gehen dem Staat dadurch pro Jahr durch die Lappen. "Das Geld wäre sehr viel besser für Kinder- und Familienförderung eingesetzt", findet die Gewerkschafterin, "statt für Eheförderung."
Für die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Bettina Kohlrausch, stellt sich die Frage: "Was will der Staat überhaupt fördern? Dass Menschen füreinander sorgen und sich kümmern? Oder dass sie für ihr Familienleben eine bestimmte Rechtsform wählen?" Das Ehegattensplitting wurde in den 1950er Jahren eingeführt. "Dahinter steckt ein völlig veralteter Familienbegriff", sagt die Soziologin. Die allermeisten Menschen wünschten sich eine gerechtere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. "Vor allem junge Paare." Doch die Steuerpolitik drängt sie in eine andere Richtung.
Wer heiratet, kann kräftig Steuern sparen. Umso mehr, je größer die Unterschiede beim Einkommen sind. Und zwar unabhängig davon, ob Kinder da sind oder nicht. "Am meisten profitiert, wer viel verdient", sagt Karin Schwendler. Wer wirklich dringend mehr Geld benötige, habe am wenigsten von dem Steuerbonus. "Das ist so unfair", findet die Gewerkschafterin. "Warum werden alleinerziehende Mütter schlechter behandelt?" Und Paare, die nicht verheiratet sind? "Das sind Steuergeschenke", stellt Bettina Kohlrausch klar. "Geld, das dem Staat fehlt!" Viel sinnvoller wäre ihrer Meinung nach, in bessere Rahmenbedingungen für Familien zu investieren, etwa in Kitas.
Klarer Nachteil für Frauen
Beim Ehegattensplitting wird das Einkommen beider Personen addiert und durch zwei geteilt. Die Steuer wird jeweils für die Hälfte berechnet. Das spart dem Paar insgesamt Steuern, begünstigt aber vor allem den oder die Hauptverdienende. Für die geringer verdienende Person lohnt sich zusätzliche Erwerbsarbeit finanziell weniger, weil ihr Einkommen schnell hoch besteuert wird. Dieser Effekt setzt Anreize, weniger zu arbeiten. Im Schnitt sinkt das Einkommen von Frauen nach der Heirat um 20 Prozent, wie eine Studie des Münchner ifo Instituts und der Universität Oslo zeigt. Ob sie Kinder haben, spielt dabei keine Rolle.
In den allermeisten Familien verdienen nach wie vor die Männer das meiste Geld. Lediglich in jedem zehnten Haushalt hat die Frau ein höheres Einkommen, so das Statistische Bundesamt. Mit Kindern nur in jedem zwölften Haushalt (7,8 Prozent).
"Die Frage ist, ob du das Glück hast, dass deine Ehe bis ins hohe Rentenalter hält", sagt Karin Schwendler von ver.di. Im Schnitt wird jede dritte Ehe geschieden. Frauen droht oft Altersarmut. Die Rente berechnet sich nach dem Einkommen, ebenso wie Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld. Fakt sei: "Wer jahrelang in Minijobs oder in Teilzeit gearbeitet hat, kommt da schwer wieder raus", so die Gewerkschafterin. In Zeiten von Personalmangel hätten nun aber selbst die Arbeitgeber verstanden, dass vor allem Frauen durch das Ehegattensplitting in eine falsche Richtung gedrängt werden und befürworten ebenfalls die Abschaffung.
Andere Länder sind weiter
Länder wie Schweden, Großbritannien, Portugal, die Niederlande, Österreich und Spanien haben die gemeinsame Besteuerung von Ehepaaren schon längst abgeschafft. Woran hapert es in Deutschland? "Wir waren schon viel weiter", sagt Karin Schwendler. Die letzte Bundesregierung habe sich noch auf die Fahne geschrieben, wenigstens die schlechte Steuerklasse 5 für Ehen und Lebenspartnerschaften abzuschaffen. Doch dazu kam es nicht. Und jetzt mit der CDU sei davon keine Rede mehr. "Wir erleben in der Gleichstellungspolitik einen Rollback." Zudem fürchteten viele sofort, ihnen werde etwas weggenommen. "Auch wenn es gar nicht stimmt."
Bettina Kohlrausch vom WSI beobachtet, dass jede Diskussion über mehr Geschlechtergerechtigkeit sofort in die "Kulturkampfecke" gedrückt werde. "Wir erleben eine völlig überzogene Debatte über alles, was mit Gender zu tun hat." Die AfD gebe dabei die Richtung vor. "Jede Debatte wird sofort zerstört." Egal, wie rational und sinnvoll die Argumente seien.
So betonten zum Beispiel selbst konservative Wirtschaftsinstitute, dass mit dem Ehegattensplitting falsche Anreize gesetzt würden. "Auch die Mehrheit der Gesellschaft will anders leben", ist die Wissenschaftlerin von der Hans-Böckler-Stiftung überzeugt. Darauf gelte es positiv aufzubauen – und klarzumachen, dass eine Abschaffung des Ehegattensplittings für die ganze Gesellschaft ein Gewinn wäre. Dabei spielten Gewerkschaften eine wichtige Rolle. "Sie können dafür offensiv ein Sprachrohr sein und nicht lockerlassen. Immer weiter."