Ausgabe 06/2025
Ausstellung

„Früher hießen wir Gastarbeiter“
Die Näherin in der Textilfabrik von Alsdorf bei Aachen blickt ernst in die Kamera, das Kleidungsstück, das sie gerade näht, zwischen den Fingern haltend, während eine Lampe die Nadel ihrer Nähmaschine ausleuchtet. Auf einer weiteren Fotografie ist eine andere Frau, Asimina Paradissa, lachend auf einem Fahrrad zu sehen, fotografiert mit ihrer eigenen Kamera von einer Kollegin in Wilhelmshaven. Asimina Paradissa ist neben Muhlis Kenter, Nuri Musluoğlu und Mehmet Ünal eine der Migrant*innen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren aus der Türkei und Griechenland als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen und von Anfang an das Leben, Arbeiten und ihr politisches Engagement aus ihrer Perspektive dokumentiert haben. Auf einem Foto von Nuri Musluoğlu ist ein junger Migrant hinter dem Maschendrahtzaun eines Wohnheims für Asylsuchende zu sehen. Das Bild könnte auch von heute sein und zeigt, wie wenig sich am Umgang mit Menschen, die zu uns kommen, geändert hat. Die rund 80 Fotografien und Collagen dieser Ausstellung sind Zeugen migrantischen Lebens im deutschen Exil und der damit verbundenen sozialen Ungleichheit. Gut, dass diese Bilddokumente in Hamburg zu sehen sind. Petra Welzel
MUSEUM FÜR KUNST UND GEWERBE HAMBURG, STEINTORPLATZ, DI–SO 10–18 UHR, DO BIS 21 UHR, BIS 15. MAI 2026

Schöne neue Arbeitswelt. Traum und Trauma der Moderne
Mit der industriellen Revolution hat sich die Arbeitswelt, wie sie die Menschen im frühen 19. Jahrhundert kannten, rasend schnell verändert. Vom kleinen Handwerker-Betrieb über die ersten Manufakturen hin zu den großen Fabriken – das verlief wie im Zeitraffer. Für Künstlerinnen und Künstler brachte der Wandel der Arbeitswelt neue Themen. Gemälde von Arbeitern an den Hochhöfen der Stahlindustrie gleichen in ihrer Monumentalität manchen Schlachtenbildern der französischen Revolution. In der Ausstellung, die Werke aus den Jahren von 1890 bis 1940 vereint, zeigen Bilder wie das "Kind vor Hochofen" von Conrad Felixmüller oder der "Arbeiterjunge" von Otto Dix, dass sich die Kunstwelt vor allem kritisch mit der neuen Arbeitswelt auseinandergesetzt hat. Walter Ballhauses Fotografie "Arbeitslose vorm Arbeitsamt Hannover" von 1932 dokumentiert die sozialen Verwerfungen, die die vermeintlich schöne neue Arbeitswelt schon bald hervorbrachte: Maschine ersetzt Mensch. Und weil das heute durch Automatisierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ähnlich ist, schlägt die Ausstellung in jedem Kapitel einen Bogen in die Gegenwart – interaktiv zum Mitmachen. Petra Welzel
LVR-LANDESMUSEUM BONN, COLMANTSTR. 14–16, DI–SO 11–18 UHR, BIS 12. APRIL 2026

Utopia. Recht auf Hoffnung
Vielleicht wird ja doch alles gut: Wir schaffen es, die Erderwärmung und das Artensterben zu stoppen, nirgendwo auf der Welt herrscht Krieg, wir leben in Frieden miteinander. Alles nur Utopie? Ja, aber auch nicht völlig unrealistisch. Immer mehr Künstler*innen beschäftigen sich mit unserem Überleben, und das zeigt diese Ausstellung. Von einer Jacht auf dem Mittelmeer, auf der Reiche Ertrinkende aufnehmen und sie an ihrem paradiesischen Leben teilhaben lassen – alles in Gestalt einer Porzellanskulptur, über futuristische Videos und Architekturentwürfe für neue Lebensräume bis hin zu Projekten kollektiven Handelns, macht sich in den Arbeiten Hoffnung breit. In Anbetracht all der Ideen und Lösungen hat Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem Satz "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen" völlig falsch gelegen. Wir brauchen Visionen und Utopien von einer Welt und einer Gesellschaft, die den einzigartigen Planeten Erde am Leben halten. Es lohnt, sich durch diesen Parcours unterschiedlichster Entwürfe für ein gerechteres und nachhaltigeres Miteinander treiben zu lassen. Anschließend sieht die Welt draußen gleich ein wenig heller aus. Petra Welzel
KUNSTMUSEUM WOLFSBURG, HOLLERPLATZ 1, DI–FR 10–18, SA/SO 11-18 UHR, BIS 11. JANUAR 2026