Ausgabe 06/2025
Musik

Björk ist begeistert. Die Isländerin, einer der größten Popstars der Welt, ist großer Fan von Rosalía. "Ein unglaubliches Album", bescheinigt die eine Künstlerin der anderen per Tweet: "ein Genrewechsel im Kung-Fu-Stil. Was für ein anspruchsvolles Konzept!" Nun könnte man sagen: Björk muss ja voll des Lobes sein, schließlich ist sie als Gast selbst mit dabei auf Lux, dem neuen Album von Rosalía. Andererseits muss man sagen: Wo Björk Recht hat, hat sie Recht. Lux ist tatsächlich anspruchsvoll. Man könnte auch sagen: Üppig, übervoll, überfordernd. Auf jeden Fall: ein Ereignis.

Das war allerdings abzusehen – einerseits. Andererseits: nicht in diesem Ausmaß. Rosalía Vila Tobella ist erst 33 Jahre alt, hat aber in ihrer Karriere schon so viele radikale Stilwechsel hingelegt wie andere Popstars nicht mal in zwei Leben schaffen. Geboren 1992 in Barcelona, wuchs sie auf mit spanischer Folklore, studierte an der Katalanischen Musikakademie und sang auf ihrem ersten Album "Los Ángeles" (2017) noch recht traditionellen Flamenco. Den unterzog sie nur ein Jahr später auf "El mal querer" einer radikalen Frischzellenkur, die ihr weltweite Aufmerksamkeit, die wichtigsten Pop-Preise und heftige Kritik spanischer Traditionalisten eintrug. 2022 dann der nächste Richtungswechsel: Auf Motomami erforschte sie lateinamerikanische Klänge, HipHop und Dubstep.
Und nun Lux. Schon auf dem Cover präsentiert sich Rosalía verändert im Nonnen-Outfit, doch die noch größere Überraschung hält die Musik bereit. Die vorab veröffentlichte Single Berghain ist zwar benannt nach dem weltberühmten Berliner Club, aber Techno-Beats sind darin nicht zu finden. Stattdessen: dramatische Vivaldi-Streicher, ein donnernder Chor, deutsche, englische und spanische Texte, und darüber klettert Rosalías Operngesang zur Koloratur empor – eine hochkomplexe Suite, die Pop-Konventionen nicht sprengt, sondern sie einfach ignoriert und zeigt: Hier hat jemand die Klassik verstanden.
Aber Berghain war nur ein Vorgeschmack. Lux ist ein erstaunliches Werk der wagemutigsten Popkünstlerin dieser Tage. Denn Rosalía integriert nicht nur ihr Flamenco-Erbe, sondern auch leichtfüßigen Folk-Pop, lässt die Karibik durch die Rhythmen tänzeln, "La Perla" schwingt im Walzer-Takt, Bläser und Streicher türmen sich auf in dramatische Höhen, während anderswo das gute alte Kunstlied anklingt, und Rosalía in 13 verschiedenen Sprachen die Geschichte weiblicher katholischer Heiligen erzählt. Lux scheint ausdrücklich dafür konzipiert, sich gegen jede leichte Konsumierbarkeit zu sperren. Eine Revolte gegen das Easy-Listening-Diktat der Streamingdienste, ein Triumph der Individualität, ein Sieg der Ambition. Oder einfach: große Kunst. Thomas Winkler
Epic/Sony Music

Acoustic Caravan: Brillante
Man könnte vermuten, dass sich dieses Trio aufgrund seiner gemeinsamen Biografie in Ländern Osteuropas vor allem auf die musikalischen Traditionen seiner Heimatregionen versteht. Doch einer Karawane gleich, spielt sich die Band um die Welt – mit Stationen in Samba, Musette-Walzer, Bossa Nova, Flamenco, Polka und noch einigem mehr. Vladislav Cojocaru, Vlado Grizelj und Giorgi Makhoshvili, drei Musiker aus Moldawien, Bosnien-Herzegowina und Georgien an Akkordeon, Gitarre und Kontrabass, beeindrucken durch ihre beinahe akrobatischen musikalischen Interaktionen. Ein Trio, dessen unglaubliche Virtuosität dabei aber immer wie aus dem Ärmel geschüttelt klingt. Seit seiner Gründung hat das Ensemble in zahllosen Live-Auftritten ein geradezu traumwandlerisches Zusammenspiel entwickelt, das an Magie grenzt. Rasant die Improvisationen und die überraschenden Übergänge in den Arrangements der schnellen Stücke. Als Gegenpart emotionale Tiefe in den lyrischen Balladen. Da geht der Albumtitel Brillante absolut in Ordnung. Peter Rixen
CD Fine Music/GLM

Sleaford Mods: The Demise of Planet X
Das neue Album der Sleaford Mods beginnt mit einem hysterischen Lachen, und knapp zwei Minuten später sind bereits ein gutes Dutzend "fucks" und "shits" zu zählen gewesen. Die gar nicht mal so große Nische zwischen Galgenhumor und heiligem Zorn ist der Sweet Spot, den das Duo aus Nottingham seit bald zwei Jahrzehnten hingebungsvoll bearbeitet. Es sind Tiraden gegen die Verlogenheit der Herrschenden und die Verzagtheit der Beherrschten, während ihre herbe Mischung aus monotonen Electro-Beats, bedrohlichen Samples und brachialen Rap-Einlagen eindringliche Leberhaken austeilt. The Demise of Planet X, zu deutsch: Der Untergang des Planeten X, das sechste Album von Rapper Jason Williamson und Beat-Bastler Andrew Fearn, kommt musikalisch ein wenig sanfter daher, auch weil Gaststimmen wie die der großartigen neuseeländischen Singer-Songwriterin Aldous Harding manchem Wutausbruch die Schärfe nehmen. Aber das ist nur Oberfläche: In Bad Santa wird Trump, in Flood The Zone gleich die MAGA-Bigotterie ungespitzt in den Boden gerammt, ansonsten geht es gegen toxische Männlichkeit oder abgehobene Eliten. Sleaford Mods lehnen sich auf gegen die Apokalypse, die wir gerade erleben – und vor allem gegen die Teilnahmslosigkeit, mit der wir alle dieser existentiellen Krise begegnen. Thomas Winkler
Rough Trade/Beggars Group. VÖ: 16.1.26