Ausgabe 06/2025
Viel Hetze für wenig Geld

Ihre Frühschicht startet hektisch. Hanna Peters (Name geändert) betritt um 5.30 Uhr die H&M-Filiale in einer norddeutschen Stadt. Zuerst kontrolliert sie den Wareneingang. Gemeinsam mit einer Kollegin packt sie danach ab 7 Uhr rund hundert "Bottiche" aus, die mit Kleidungsstücken gefüllt sind, und räumt sie im Laden ein. "Bis zur Filialöffnung um 10 Uhr soll das beendet sein", sagt sie. Doch mit dem Verräumen der Ware aus den Behältern, in denen sich mal zehn Jeans, mal 70 einzelne Wäschestücke befinden können, ist es nicht getan. "Die Kleidung, die noch vom Vortag in den Umkleidekabinen liegt oder hängt, müssen wir zurückräumen."
Manchmal allein
Bevor sich um 10 Uhr die Ladentüren öffnen, sind die Kassen einzurichten und Material wie Papiertüten und Kassenbonrollen bereitzulegen. "Manchmal bin ich allein am Morgen in der Filiale, was eigentlich nicht erlaubt ist", sagt Hanna Peters. Aber Unterbesetzung ist ein Dauerbrenner – nicht nur in dieser H&M-Filiale. Hier sind sie während der Öffnungszeiten manchmal zu zweit, höchstens zu viert; und das auf drei Etagen, auch bei starkem Andrang.
In der aktuellen Umfrage unter Handelsbeschäftigten nach dem DGB-Index Gute Arbeit hatten 76 Prozent der Teilnehmer*innen Arbeitshetze als Problem bei ihrer Tätigkeit angegeben. Die langjährige H&M-Verkäuferin kann das nur bestätigen. "Die Arbeitsverdichtung ist extrem. Zeitweise kommen wir mit dem Verräumen nicht mehr hinterher, sodass Bottiche mit Ware sogar in den Büros stehen." Im Juni staue es sich oft, wenn sehr viel verkauft werde, ebenso in der Vorweihnachtszeit.
Oft fehlt Respekt
Die Kundschaft lässt Ware, die nicht gefällt oder passt, in den Umkleideräumen liegen. "H&M wird als Anbieter von Fast Fashion wahrgenommen, wo es nie üblich war, Ware selbst zurückzuräumen oder auf einen Bügel zu hängen", sagt Hanna Peters. Zudem würden einzelne Kund*innen sogar ausfallend gegenüber den Beschäftigten.
In der Gute-Arbeit-Befragung im Handel hatte ungefähr die Hälfte der Teilnehmer*innen angegeben, dass sie sich durch Kund*innen häufig oder oft herablassend behandelt fühle. Das passt zu den Erfahrungen der H&M-Beschäftigten. "Natürlich haben wir sehr freundliche Kund*innen, aber bedauerlicherweise hat der respektlose Umgang mit uns deutlich zugenommen." Dazu gehört auch der "stumme Einkauf", bei dem die Ware über den Kassentisch geschoben wird, während der oder die Käufer*in mit dem Handy beschäftigt ist. Dabei fehlt jegliche Minimalkonver- sation wie etwa "Guten Tag", "Danke" oder "Bitte". Manchmal sind jedoch viele Worte nötig, zum Beispiel an den Self-Scanning-Kassen. "Bei H&M kann dort ausschließlich mit Karte bezahlt werden. Außerdem ist es nicht möglich, Ware zu Aktionspreisen an dieser Kasse zu erwerben", erläutert Peters. Diese Einschränkungen sind zwar auf einem Schild angegeben, aber nicht jede*r liest sich das durch. So kommt es an der Kasse mit der Selbstabfertigung regelmäßig zu kleinen Zwischenfällen.
Tägliche Zerreißprobe
Die wären nicht nötig, wenn hier immer eine Beschäftigte anwesend wäre, wie vorgeschrieben. "Tatsächlich ist oft eine Verkaufskraft für beide Kassen zuständig. Die muss sich dann regelrecht zerreißen, um einmal abzukassieren und dann die Probleme beim Selbstscannen zu lösen."
In der Vergangenheit klagte H&M darüber, nicht genug Personal zu bekommen. Doch die Zeiten sind vorbei. Inzwischen wird anhand eines angeblich ausgeklügelten Systems genau berechnet, wie viele Beschäftigte für die anfallenden Arbeiten benötigt werden. Nicht einbezogen wird dabei jedoch die Zeit für das Zurückräumen der nicht verkauften Ware. Das zu knapp bemessene Zeitbudget sorgt für Stress und regelmäßige Auseinandersetzungen mit den Vorgesetzten.
Aufstocken oder Zweitjob
Bei solchen Arbeitsbedingungen ist es kein Wunder, dass die Mehrheit der Beschäftigten ihr Einkommen als zu niedrig empfinden – laut der Gute-Arbeit-Studie gilt das für 79 Prozent der Beschäftigten im Handel. Bei etlichen H&M-Kolleg*innen reicht das Monatsentgelt nicht einmal zur Bestreitung des Lebensunterhalts, obwohl der Filialist zu den wenigen Einzelhandelsunternehmen mit Tarifbindung gehört.
"Nicht wenige der Kolleg*innen müssen mit ergänzenden Sozialleistungen aufstocken. Andere haben einen Zweitjob", weiß Hanna Peters. Grund für die Misere ist die enorm hohe Teilzeitquote bei H&M, so dass am Monatsende auch nur ein halbes Tarifgehalt aufs Konto kommt. Gleichzeitig erwartet das Unternehmen ein Höchstmaß an Flexibilität von seinen Beschäftigten, was wiederum die Aufnahme einer Nebentätigkeit erschwert. "Wer kann, sucht sich etwas anderes", sagt Hanna Peters.