Überlassen wir es nicht den anderen, wer in der Zukunft wie regiert. Wählen gehen am 24. September 2017 für gute Arbeit und gute Renten

FOTOS: Christian Jungeblodt, Renate Koßmann

"Wer von Rente mit 70 spricht, den lade ich gerne mal ein, mit auf die Post-Zustellung zu kommen"

Isabell S., 29, Zustellerin bei der Deutschen Post, freigestellte Betriebsrätin, Mitglied im Gesamtbetriebsrat und stellvertretende Vorsitzende der ver.di Jugend

"Ich lasse doch nicht andere entscheiden, wie ich leben will. Dafür leben wir in einer Demokratie und das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen. Denn für das allgemeine Wahlrecht wurde lange gekämpft, ein fahrlässiger Umgang mit dem Wahlrecht geht daher gar nicht. Wenn man sich den Umgang mit Arbeitnehmerrechten anschaut, dann ist da in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Menge falsch entschieden worden. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Lobby-Verbände immer mehr Einfluss auf Politik nehmen und man sich als junger Mensch schon die Frage stellt: Wer macht denn jetzt Politik? Nun sind wir als Gewerkschaft ja auch Lobbyisten, und an sich ist das auch keine schlechte Sache. Sobald aber Lobbyismus dazu führt, dass Standards herabgesenkt und nur noch Interessen von Konzernen und des Kapitals durchgesetzt werden, finde ich das gefährlich.

Von der zukünftigen Regierung erwarte ich, dass sie an Menschen in der Phase der Ausbildung, des Erwerbslebens und der Rente denkt. Denn eine gute Ausbildung ist ja der Grundstein für ein gutes späteres Leben. Und ich finde, wir sind in Deutschland meilenweit entfernt von einer guten Ausbildung. Viele Azubis müssen zum Beispiel bereits in der Ausbildung Überstunden machen oder werden aufgrund von Zeitmangel im Betrieb nicht gut ausgebildet. Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie. Seit vielen Jahren gibt es einen Fachkräftemangel, während wir gleichzeitig unheimlich viele Jugendliche haben, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden.

"Wir sind in Deutschland meilenweit entfernt von guter Ausbildung"

Dann sollten die sachgrundlosen Befristungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz unbedingt abgeschafft werden. Das sagt ja der Begriff selbst, es gibt keinen Grund dafür. Fast ein Viertel der unter 35-Jährigen arbeitet derzeit in prekären Arbeitsverhältnissen. Da muss sich echt etwas ändern, damit diese Leute nicht von Anfang an auf einem beruflichen und sozialen Abstellgleis stehen. Und wenn Unions-Politiker jetzt von der Rente mit 70 sprechen, dann lade ich die gerne mal ein, vier Wochen mit auf Zustellung zu kommen. Mal sehen, was sie danach sagen."


"Ziel sollte ein höherer Mindestlohn sein"

Christoph T., 26, ist Freiberufler im Bereich Bildung

"Meine Erfahrung mit Bundestagswahlen ist gemischt, denn es kommt natürlich nicht immer das dabei rum, was man sich erhofft hat. Aber dafür leben wir in einer Demokratie: um Kompromisse zu finden, und dabei zählt auch meine Stimme. Ich denke, wirklich grundlegende Änderungen in unserer Gesellschaft kann man nur mittels der Politik durchsetzen. Wir können zwar auf die Straße gehen und unsere Meinung äußern, aber letzten Endes braucht es eben ein Gesetzgebungsverfahren. Bevor man also gar nicht zur Wahl geht, finde ich es tatsächlich sinnvoller, einen ungültigen Wahlzettel abzugeben und damit eventuell deutlich zu machen, dass man sich durch die derzeitigen Parteien nicht repräsentiert fühlt. Von der Politik nach der Bundestagswahl würde ich im Optimalfall erwarten, dass sie an vergangene Reformen wie die Agenda 2010 rangeht und diese ins Positive ändert, um prekäre Beschäftigung einzudämmen und den Mindestlohn wasserdichter zu machen. Ziel sollte also die Durchsetzung eines höheren Mindestlohns sein, von dem es keine Ausnahmen gibt. Und um die Schere zwischen Arm und Reich zumindest etwas zu schließen, fände ich eine Vermögenssteuer ziemlich sinnvoll."

"Die Schere zwischen Arm und Reich schließen"


"Wir sollten doch lieber die Solidarität stärken"

Christopher Sch., 28, ist Sozialversicherungsfachangestellter und stellvertretender Personalrats-Vorsitzender bei einer Krankenversicherung

"Die Wahl wird eine gewisse Grundhaltung unseres Landes wiedergeben. Wir müssen uns fragen, ob wir die Individualität stärken wollen, indem wir Sozialabgaben und Steuern senken und jeder für sich selbst verantwortlich ist. Oder ob wir doch lieber die Solidarität stärken wollen und steigende Abgaben in Kauf nehmen, und zwar sowohl innerhalb Deutschlands als auch international. Von der Bundestagswahl erhoffe ich mir einen politischen Wechsel. Eine rot-rot-grüne Koalition wäre meine Hoffnung, weil Schwarz-Gelb überhaupt keine Alternative für mich darstellt. Generell fühle ich mich von den großen Parteien aber sowieso nicht zu 100 Prozent vertreten.

"Die Themen, die mir am Herzen liegen, sind ökologische und soziale Nachhaltigkeit"

Die Themen, die mir am Herzen liegen, sind ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Dazu gehört für mich Klimaschutz, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kostenlose Bildung, Erhöhung der sozialen Sicherheit, Rente und auch die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich finde, man sollte darüber nachdenken, die private und die gesetzliche Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung zusammenzuführen. Außerdem sollte bei der Flüchtlingspolitik darauf geachtet werden, dass gute Bedingungen für eine Integration geschaffen werden und keine Ghettobildung gefördert wird. Genauso wichtig ist die Vermeidung von Fluchtursachen. Also dass unsere Regierung die Konflikte in den Herkunftsländern nicht noch weiter befeuert und dass sie keine wirtschaftliche Ausbeutung der Dritten Welt betreibt.


"Nach derzeitigem Stand reicht meine gesetzliche Rente vorne und hinten nicht"

Marina G., 59, arbeitete 17 Jahre als Erzieherin und ist seit 13 Jahren als Dozentin für Arbeits- und Sozialrecht tätig

"Sobald ich in Rente gehe, erwartet mich ein gnadenloser Papierkrieg. Denn nach derzeitigem Stand reicht meine gesetzliche Rente vorne und hinten nicht: 701,30 Euro stehen mir laut Rentenbescheid zu. Und auch die 20 Jahre, in denen ich jeden Monat 50 Euro in einer privaten Rentenversicherung gespart habe, werden mich nicht davor bewahren, meine Vermögensverhältnisse offenlegen zu müssen. Etwa 100 Euro kann ich monatlich aus der Zusatzversicherung erwarten und werde doch staatliche Unterstützung beantragen müssen. Ich finde das ehrlich gesagt entsetzlich, aber solange ich mich darüber aufregen kann, geht es mir ja noch gut. Sorgen mache ich mir vor allem um die Zeit, wenn ich es geistig und gesundheitlich nicht mehr schaffe. Mit 65 Jahren in Rente zu gehen, kann ich mir daher natürlich nicht leisten. Ich werde meine Arbeitskraft anbieten, so lange es geht.

"Mit 65 Jahren in Rente zu gehen, kann ich mir nicht leisten"


Quellen: Bundesregierung 2016; DRV Bund 2016

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