Für viele Jugendliche mit Migrationshintergrund ist die Selbstständigkeit die einzige Berufsperspektive. In Berlin können Jugendliche schon mal ausprobieren, was sie dafür alles bedenken müssen

Von EDITH KRESTA

Vielleicht bald Unternehmer: Paitim und John.

"Wir sprechen zusammen fünf Sprachen - Albanisch, Portugiesisch, Arabisch, Deutsch und Englisch", konstatiert Elba. Das kann nicht jedes Unternehmen bieten, und deshalb sollte man das nutzen. John, Paitim und Hussein stimmen zu. Die vier Jungen beschließen, dass ihre Firma ihre Kundschaft vor allem unter Migranten, aber auch Arbeitslosen und ältere Menschen suchen soll.

Die vier Schüler der Keppler-Oberschule in Berlin Neukölln nehmen an einem Existenzgründungsseminar teil, das die MPR Unternehmensberatung für Schulabgänger der neunten und zehnten Klasse veranstaltet. Angeregt hat das eine ihrer Lehrerinnen. Ziel des einwöchigen Kurses: Die jungen Leute sollen eine Idee davon bekommen, was zu einer erfolgreichen Unternehmensgründung alles dazu gehört, und sie entdecken eigene Potenziale. Denn für viele Zuwandererkinder ist eine spätere Selbstständigkeit die einzige Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Immer mehr Jugendliche verlassen die Hauptschule ohne Abschluss. Unter den türkischen und arabischen Migrantenkindern in Berlin sind es bereits über 40 Prozent. Doch auch mit Zeugnis und guten Noten sieht es für viele schlecht aus. "Die Chancen deutscher Jugendlicher ohne Migrationshintergrund eine Ausbildung zu besuchen, sind bei gleicher Bildung immer noch zweimal so hoch wie die ausländischer Jugendlicher", heißt es in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, potenzielle Gründer so früh wie möglich mit den Chancen und Risiken vertraut zu machen", sagt Unternehmensberater Eberhard Mutscheller von MPR. Er weiß, dass gerade Gründer nicht deutscher Herkunft oft Hemmungen haben, sich professionelle Unterstützung zu holen, oder dass sie dafür gar keine Notwendigkeit sehen. Viele kennen auch die entsprechenden Beratungsstellen nicht. Das soll den Schülern der Keppler-Oberschule später nicht so gehen.

Wo ist die Marktlücke?

"Wir werden Bauunternehmer", haben sich John, Elba, Paitim und Hussein beim Vorbereitungsgespräch entschieden. Die 20 Jugendlichen der Klasse wurden in Vierer-Gruppen aufgeteilt - je nach ihren Berufswünschen. Die meisten Schüler wollen ein Restaurant oder Wasserpfeifen-Café aufmachen.

Wo ist die Marktlücke? Elba, John, Paitim und Hussein diskutieren mit dem Seminarleiter Boris Bocheinski, was ihre Firma von anderen unterscheiden könnte und einigen sich auf den Migranten-Bonus. Auch der Name des Unternehmens ist schnell gefunden: Es soll Jeph heißen - aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen. Vor Ort schauen sie sich nach einem möglichen Standort in Berlin um. "Was erwarten Sie von einem Bauunternehmen?", fragen sie die Leute auf der Straße. Schließlich besuchen die vier noch ein Bauhaus und recherchieren dort Preise - erste Grundlage für ihre spätere Kostenkalkulation.

Am zweiten Tag des Seminars wird es dann trockener: Die Jugendlichen sollen einen Geschäftsplan aufstellen. Was müssen sie anschaffen, was für den laufenden Betrieb einkalkulieren? Was überhaupt sind Fix- und was variable Kosten? Die Schüler tun sich schwer mit der konzentrierten Arbeit, mit Zahlen, Einnahmen, Werbekosten, Umsatz. Seminarleiter Boris Bocheinski macht viele Pausen, damit die Nachwuchsunternehmer nicht abschalten.

Am vierten Tag geht es an den Computer: Zunächst gilt es, einen Lebenslauf zu erstellen. Was fehlt uns, damit wir tatsächlich ein Bauunternehmen gründen können? Eine Ausbildung als Fliesenleger oder Maurer wäre ohne Zweifel sinnvoll - und leider sehr schwer zu bekommen. John, Paitim, Elba und Hussein schreiben einen Businessplan, überlegen, was sie in den kommenden fünf Jahren alles organisieren wollen. Am letzten Tag erscheinen sie dann aufgebrezelt mit Jacketts im Seminar. Ihnen gegenüber sitzt nun ein echter Banker. Nach einigem Hin und Her akzeptiert der schließlich mit viel Toleranz den Unternehmensplan der vier Jungen.

Nicht unwahrscheinlich, dass John, Paitim, Elba und Hussein später tatsächlich zum Gewerbeamt gehen und ein Geschäft anmelden. Immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund gründen Unternehmen: Hier beträgt die Steigerungsrate 27,2 Prozent im Jahr, während die Zahl der Neugründungen in Deutschland insgesamt nur um 9,7 Prozent zunimmt. Zwar gehen ausländische Unternehmer auch häufiger pleite. Doch insgesamt wächst die Zahl der von Migranten geführten Firmen und steuert laut einer Studie der Schader-Stiftung auf die 300000-Marke zu. Schätzungsweise mehr als eine Million Arbeitsplätze haben diese Betriebe schon geschaffen.

Die Kehrseite des Erfolgs der so genannten "ethnischen Ökonomie" heißt noch immer Selbstausbeutung. Ohne die Rückgriffmöglichkeit auf familiäre Netzwerke - sei es für die Kapitalbeschaffung oder für billige Arbeitskräfte - würden die wenigsten dieser Unternehmen überleben. Oft scheitert der Gang in die Selbstständigkeit an mangelndem Geld oder Know How. Auch John, Elba, Paitim und Hussein geben am Ende des Seminars zu, "dass man ziemlich viel wissen muss, um sein eigener Chef zu sein".

www.mpr-unternehmensberatung.de