Immer weniger Gewerkschaftsmitglieder engagieren sich, wenn Azubis ihr Wissen am Ende der Ausbildung unter Beweis stellen müssen. Das Ehrenamt kostet Freizeit, macht aber auch Spaß

Von Susanne Stracke-Neumann

Vor dem Gebäude mit dem Banner "IHK-Prüfung" versammeln sich junge Leute zum letzten Blick in ihre vom Regen aufgeweichten Aufzeichnungen. Drinnen verteilen Prüferinnen und Prüfer Aufgabenblätter auf die einzeln stehenden Pulte. Heute steht in Berlin-Spandau die Abschlussprüfung für die Azubis der kaufmännischen Berufe an. Auch in vielen anderen deutschen Städten schwitzen dieser Tage angehende Kaufleute über den Aufgaben.

Wir wissen nicht, was dieser Mann an die Tafel geschrieben hat. Was würden Sie gerne dorthin schreiben?

Fast 500000 Prüfungen in der Aus- und Weiterbildung werden in Deutschland jährlich von den Industrie- und Handelskammern (IHK), den Handwerkskammern (HK) oder auch den Ärzte- und Rechtsanwaltskammern nach der Maßgabe des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) organisiert. Dabei sollen die Prüfungsausschüsse paritätisch besetzt sein, schreibt das BBiG vor: Berufsschullehrer, Arbeitgebervertreter, Arbeitnehmervertreter. Sollten sich allerdings in einer Gruppe nicht genug Teilnehmer finden, so kann die Parität aufgehoben werden. Der verbriefte Anspruch auf bildungspolitische Mitwirkung der Arbeitnehmerseite ist dann nur noch eine Worthülse.

ver.di benötigt 40000 ehremamtliche Prüfer

Der DGB, Ansprechpartner der Kammern vor Ort, muss bundesweit rund 170000 Gewerkschaftsmitglieder als ehrenamtliche Prüfer benennen. Allein ver.di benötigt etwa 40000 Prüfer, um alle Plätze zu besetzen. Laut BBiG müssen die Prüfer/innen "für die Prüfungsgebiete sachkundig und für die Mitwirkung im Prüfungswesen geeignet sein". Doch es wird zunehmend schwierig, solche Gewerkschaftsmitglieder zu finden. "Es gibt leider immer weniger hauptamtliche Ausbilder in den Betrieben. Auf die weitreichenden pädagogischen Qualitäten können wir schon gar nicht mehr achten", klagt Sigrid Lakomy vom DGB.

Die Gewerkschaften hatten bei der Novellierung des BBiG 2005 darauf gedrängt, den Prüfern nicht nur Aufwandsentschädigung und Verdienstausfall zu gewähren, sondern sie freizustellen und die Prüfungs- und Korrekturzeiten als Arbeitszeit anzuerkennen. Vergeblich. So kann ver.di in Süddeutschland nur noch 40 Prozent der Prüferplätze besetzen, schätzt Gunther Steffens, der eine ver.di-Datenbank für die Prüfer aufbaut; im Osten sind es vermutlich sogar nur zehn Prozent.

Die Firmen sehen in der Regel nur die Fehlzeiten

"Früher war es für einen Betrieb eine Ehre, wenn er Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter für die Prüfungsausschüsse präsentieren konnte", berichtet Konrad Steib, ver.di-Geschäftsführer für Oberfranken-Ost. Heute sähen die Firmen in der Regel nur noch die Fehlzeiten. Mitte April rief Bildungsstaatssekretär Andreas Storm die Unternehmen auf, mehr Mitarbeiter für die Gremien der beruflichen Bildung freizustellen: "Neben der Bereitsstellung von Ausbildungsplätzen ist das Engagement der Betriebe ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Qualität der beruflichen Bildung."

Je kleiner die Firmen und je schlechter die Belegschaften organisiert, desto schwerer ist es, freiwillige Prüfer zu finden. Ebenso gehören die neu gestalteten Berufe und die Weiterbildungen zu den Sorgenkindern. Steffens hat beobachtet: "Wo Gewerkschaften seit längerem, wie etwa bei den Medienberufen, die Ausbildung mitgestaltet haben, läuft es viel besser und auch qualitativ höher ab. Das wollen wir für die anderen Berufe auch erreichen."

Viele Wege führen zum Amt des Arbeitnehmervertreters

Korrekturen am Wochenende sind nicht der Freizeittraum des jungen Groß- und Außenhandelskaufmanns Sebastian Schott. Trotzdem ist der 31-jährige Berliner kaum zehn Jahre nach der eigenen Prüfung auf der anderen Seite des Tisches gelandet. Ein "sehr energischer Blick" während einer Betriebsräteschulung hat ihn überzeugt. In ver.di-Seminaren wurde er auf seine Aufgabe vorbereitet. Für den Bayreuther Mitarbeiter der Deutschen Angestellten-Akademie DAA, Jürgen Weiß, ist die Rolle dagegen selbstverständlich. Er bildet selbst Kaufleute für Bürokommunikation aus, und in guter Tradition hat ihn seine Gewerkschaft gebeten, auch den Platz des Prüfers einzunehmen.

Sebastian Schott fragt sich heute, warum er bei der eigenen Prüfung so aufgeregt war. Seine Prüferkollegen seien sehr freundlich zu den Kandidatinnen und Kandidaten. "Ich wäre manchmal sogar strenger", bemerkt er augenzwinkernd. Er findet es wichtig, dass sich junge Leute hier engagieren: "Die Prüfungskommissionen vergreisen sonst." Und außerdem: "Es macht einfach Spaß!"

Piksnet hilft Prüfern

"Prüfer sucht Prüfer" ist eines der Ziele der neuen Datenbank "Piksnet", die Gunther Steffens mit Unterstützung des Bildungsministeriums angelegt hat. Beim "Prüfer-Informations- und Kommunikations-Service im Netz" soll die Aufgabe nicht nur Neuen schmackhaft gemacht werden. Auch wer sich schon länger engagiert, findet Unterstützung. Über Piksnet kann er nicht nur Kontakte zu anderen Prüfer/innen aufbauen, sondern sich auch gezielt mit den beruf-lichen Neuerungen in der eigenen Branche versorgen. Ohne allzu viel Aufwand ist es damit möglich, sich auf aktuellem Stand zu halten.

SUS

www.piksnet.de