Seit der Einführung des Hartz-IV-Gesetzes verdrängen Ein-Euro-Jobs vielerorts reguläre Arbeit. Eine Recherche am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main

Walter Göckel mähte den Rasen, säuberte Umkleidekabinen und zog das Spielfeld ab, alles, was ein Platzwart zu tun hat. Seit drei Jahren ist Göckel, 68, in Rente. Seine Vollzeitstelle hat die Stadt Frankfurt nicht wieder besetzt. Der Fußballverein SC-Weiß-Blau erhält von der Kommune stattdessen jedes Quartal 2700 Euro. "Wie wir das Geld verwenden, bleibt uns überlassen", sagt die Vereinsvorsitzende Uschi Christ. Weil es nicht reicht, um jemanden fest einzustellen, teilt der Verein die Arbeit auf: Einer kümmert sich für 400 Euro um den Platz, die Ein-Euro-Jobberin Suzana K. macht sauber, die Stadt lässt den Rasen mähen.

Verschwunden sind feste Stellen, nicht aber die Arbeit. Von einst 25000 Stellen sind seit 1992 bei der Stadtverwaltung Frankfurt über die Hälfte abgebaut worden. Suzana K. (Name geändert) ist wie 50000 andere in der Bankenstadt auf Arbeitslosengeld (ALG) II angewiesen. Der Job beim Fußballverein bringt ihr 150 Euro im Monat zusätzlich.

Menschen wie Suzana K. sind gern gesehen. Sie versprechen Entlastung und kosten nicht viel. Weil sie ihre Einsatzorte nicht selbst aussuchen, braucht es Vermittler. 18 Träger, darunter der Internationale Bund, die Caritas, die Werkstatt Frankfurt und das Diakonische Werk, setzen die Arbeitslosen gleich selbst ein oder reichen sie weiter an Freibäder und Museen, Wohnungsbaugesellschaften und Altenhilfezentren, religiöse Gemeinden, Kindergärten, unzählige Vereine und städtische Ämter. Die Liste ist lang. 5706 Ein-Euro-Jobber gab es im vergangenen Jahr in der Stadt.

Suzana K. wurde über die Werkstatt Frankfurt an den Fußballverein vermittelt. Die Werkstatt ist die größte Beschafferin solcher Arbeitsgelegenheiten. Zurzeit sind es laut Geschäftsführer Conrad Skerutsch etwa 900. Für sie erhält die Werkstatt, ebenso wie die anderen Träger, eine monatliche Fallpauschale von durchschnittlich 350 Euro. Beim Ein-Euro-Jobber bleiben davon knapp 200 Euro, inklusive Monatskarte, hängen. Den Rest bekommt der Träger für Regie, Akquise und Betreuung. "Dafür erwarten wir, dass jeder den passenden Job erhält und dies vor Ort geprüft wird", erklärt Robert Standhaft, Geschäftsführer des Rhein-Main-Job-Centers, zuständig für die Langzeitarbeitslosen und Auszahlung von ALG II. Fast 8,3 Millionen Euro sind 2006 für die Arbeitsgelegenheiten aufgewendet worden.

Arbeitsgelegenheiten, Ausbildung, Qualifizierung

Ohne Ein-Euro-Jobs könnte die Werkstatt Frankfurt dicht machen. 7,9 Millionen Euro erwartet sie in diesem Jahr vom Rhein-Main-Job-Center, nicht nur für die Arbeitsgelegenheiten, auch für Qualifizierung und Ausbildung. Dafür muss die Werkstatt herbe Kritik einstecken. Früher habe sie Langzeitarbeitslose angestellt und nach Tarif bezahlt, heute würden dieselben Aufgaben von Billig-Jobbern erledigt. "Richtig", sagt Geschäftsführer Skerutsch. Im Schnitt hatten jährlich rund 1000 Leute eine Vollzeitstelle, allerdings auch in einer Beschäftigungsmaßnahme und befristet auf ein Jahr. Die Gehälter dieser ehemaligen Sozialhilfeempfänger stammten aus dem Stadtsäckel. Rund 22 Millionen Euro hatte Frankfurt jährlich an die Werkstatt überwiesen. Nicht ohne Hintergedanken. Denn jeder Sozialhilfeempfänger, der einmal in Lohn und Brot war, fiel bei Arbeitslosigkeit nicht mehr der Stadt zur Last, sondern dem Arbeitsamt.

Vorbei. Mit Einführung des Hartz-IV-Gesetzes im Jahr 2005 sind solche Maßnahmen nicht mehr möglich, sagt Skerutsch. Die Aufgabe der stadtnahen Beschäftigungsgesellschaft habe sich gewandelt: "Wir bieten keine befristeten Arbeitsverhältnisse mehr an, sondern sind ein Trainingsfeld, um Menschen fit zu machen für den Arbeitsmarkt." Skerutsch sieht sich zu Unrecht kritisiert. Die Werkstatt Frankfurt habe die Hartz-Gesetze nicht erfunden, "dafür wollen wir auch nicht verprügelt werden".

Frankfurts DGB-Vorsitzender Harald Fiedler sieht das ähnlich: Die Mittel für Qualifizierung und Weiterbildung seien um zwei Drittel zurückgefahren worden. "Vom Fördern und Fordern ist nur das Fordern übrig geblieben." Eben die Ein-Euro-Jobs. Daneben gibt es auch Qualifizierung wie den "Frankfurter Weg" für Arbeitslose mit der Chance auf einen Berufsabschluss. Die rund 300 Teilnehmer sind keine Ein-Euro-Jobber, sie erhalten neben dem ALG II etwa 125 Euro für Bücher und sonstigen Aufwand.

Die Werkstatt Frankfurt hält sich im Wesentlichen mit öffentlichen Geldern über Wasser. Das war früher so und ist heute nicht anders. Doch von einem vorbildlichen Arbeitgeber ist der Verein weit entfernt. Bei der jüngsten Betriebsratswahl ist die Werkstatt in die Schlagzeilen geraten. In Folge der Auseinandersetzung fühlen sich einstige Betriebsratsmitglieder noch heute gemobbt, bespitzelt und drangsaliert. Noch mehr: Der Haus-Tarifvertrag für die 100 Stammbeschäftigten wurde gekündigt. "Tarifverträge können wir uns nicht leisten", erklärt Skerutsch und verhandelt stattdessen mit dem Betriebsrat über eine hauseigene Entgeltordnung. Zudem hat die Werkstatt eine Leiharbeitsfirma gegründet und leiht sich von ihr 80 Männer und Frauen aus. Sie sollen demnächst fest bei der Werkstatt angestellt werden. Ohne Tarif, versteht sich.

Wer arbeitet wo und was?

Suzana K. macht weiter beim SC-Blau-Weiß sauber. Ist ihr Einsatz beendet, folgt die nächste Ein-Euro-Jobberin. Künftig werden die Personalvertretungen der Stadt ein Auge darauf haben, wer, wo und was arbeitet. Das wollte die Stadt bislang allein bestimmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich entschieden, dass Personal- und Betriebsräte volles Mitbestimmungsrecht beim Einsatz der Ein-Euro-Jobber haben. (AZ.6 P 4.06, 6 P 8.06) "Wir wollen verhindern, dass Arbeitslose dazu benutzt werden, reguläre Stellen zu verdrängen", so Gesamtpersonalratsvorsitzende Erika Hoch.