Das Hamburger Modell ebnet erkrankten Mitarbeitern den Weg zurück in den Beruf - und ist bei Arbeitgebern wie Arbeitnehmern gleichermaßen beliebt. Doch Betriebsärzte sehen auch Probleme

Von Maik Söhler

Nach langer Erkrankung kann der Arbeitsbeginn zur Hürde werden

Zuerst hatte sie einen Unfall beim Skaten und brach sich das Becken. Dann wurde bei ihr auch noch Krebs diagnostiziert. Über neun Monate konnte die Frau nicht zur Arbeit, die mentale und psychische Belastung stieg: Wird mir das alles im Job nicht zu viel werden? Werde ich es überhaupt wieder schaffen? Für Abhilfe sorgte das Hamburger Modell (Reha), das Beschäftigten nach schweren Erkrankungen oder mit bleibenden Behinderungen eine stufenweise Wiedereingliederung in den alten Job bietet.

Detlef Baade, Sprecher des Arbeitskreises Behinderten- und Sozialpolitik bei ver.di Hamburg, erzählt diesen Fall und ist dabei voller Stolz, dass ein vor mehr als 16 Jahren in Hamburg entstandenes Testmodell heute in vielen Bundesländern erfolgreich läuft. Entsprechend gut wird das Hamburger Modell von den Belegschaften angenommen, heißt es bei der Gewerkschaft. Unter den Arbeitgebern ist die Akzeptanz ohnehin sehr hoch. Kein Wunder: Der Beschäftigte arbeitet wieder, und die Krankenkasse zahlt in der Regel 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens.

Das Hamburger Modell kann sowohl von Arbeitern und Angestellten als auch von Beamten in Anspruch genommen werden. Der kranke Arbeitnehmer spricht dazu mit seinem Arzt einen so genannten Eingliederungsplan ab, der auf die Genesungsfortschritte des Patienten Rücksicht nimmt. Wenn Arbeitgeber und Krankenkasse zustimmen, kann die Arbeitsaufnahme mit wenigen Stunden täglich beginnen und nach und nach wieder die volle Arbeitszeit erreichen. Der Arbeitnehmer gilt, solange die Maßnahme läuft, als weiterhin arbeitsunfähig erkrankt. Soweit die Theorie.

In der Praxis zu wenig dem einzelnen Fall angepasst

Die Praxis erläutert Detlef Baade. Die Arbeitserprobung werde zwischen Patienten, Hausarzt, Betriebsarzt, Schwerbehindertenvertretung oder Betriebsrat und Krankenkasse abgestimmt. "Die Eingliederung beginnt mit drei bis vier Stunden pro Tag, das geht 14 Tage lang. Es folgt ein Zwischengespräch mit Arzt oder Betriebsrat, dann noch mal 14 Tage lang sechs Stunden pro Arbeitstag. Noch ein Zwischengespräch. Schließlich 14 Tage lang acht Stunden." Manche brauchen etwas länger, so dass die stufenweise Eingliederung auch über Monate gehen kann, bei Teilzeitarbeit jedoch nur vier Wochen.

Markus Oberscheven, Referatsleiter Gesundheitswesen beim Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, betont die guten Erfahrungen mit den Wiedereingliederungsmaßnahmen und sieht darin "eine Art interne Belastungsprobe" für den Erkrankten. "Positiv ist vor allem, dass die Leute nicht in externe Maßnahmen gesteckt werden, sondern an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und ihn dadurch nicht verlieren."

Doch das Hamburger Modell hat auch seine problematischen Seiten:

Die erkrankten Mitarbeiter erhalten trotz ihrer Arbeitsleistung nur 70 Prozent Honorar. Und das, obwohl sie "ja Mehrkosten zur Arbeitserprobung auf sich nehmen müssen" - sprich: Fahrtgeld. "Da könnte der Betrieb den Leuten doch einfach mal einen kleinen Obulus drauflegen", fordert Gewerkschafter Baade. Erstattet wird die Fahrt zur Arbeit jedoch nur, wenn ein Arbeits- oder Wegeunfall die Krankheit verschuldet hat.

Wer innerhalb der ersten sechs Monate nach der Rückkehr in den Beruf erneut erkrankt, wird wieder aufs Krankengeld heruntergestuft.

Aus der Zeit der Wiedereingliederung erwächst kein Urlaubsanspruch.

Das Modell nimmt den Erkrankten nicht die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes - es werden daher immer wieder Fälle bekannt, in denen Beschäftigte krank zur Arbeit kommen.

Das Hamburger Modell wird in der Praxis zu wenig dem einzelnen Fall angepasst. "Das Hamburger Modell ist ein ausgezeichneter Ansatz, aber von niedergelassenen Ärzten wird häufig eine Standardlösung ohne Abgleich von Anforderungs- und Fähigkeitsprofil und ohne Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen verordnet", kritisiert Detlef Glomm, Vizepräsident des Verbandes deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), des Berufsverbandes deutscher Arbeitsmediziner. "Dies stößt beispielsweise im Handwerk mit Baustellentätigkeiten auf unüberwindbare organisatorische Schwierigkeiten."

Damit die Maßnahme auch nachhaltig erfolgreich ist, empfiehlt Arbeitsmediziner Glomm dringend eine engmaschige Begleitung durch Betriebsarzt, Hausarzt und gegebenenfalls Schwerbehindertenvertreter.

Hamburger Modell (Rehabilitation)

Das Hamburger Modell (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Modell eines befristeten Lohnkostenzuschusses für Langzeitarbeitslose) ermöglicht eine stufenweise Wiedereingliederung nach längerer Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit ins Arbeitsleben. Geregelt ist es in Paragraf 74 des Sozialgesetzbuchs V (SGB V) und gleichlautend für den Fall behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen in Paragraf 28 SGB IX.