ver.di-Mitglieder erhalten Streikgeld, werden aber auch mit rechtlichem Rat, Tipps und einem Gemeinschaftsgefühl für den Arbeitskampf gestärkt. Ein Beispiel vom Einzelhandel in Berlin

Streikgeld wird nur auf Antrag gezahlt

Ein Freitagmorgen Ende November: In der ver.di-Bundesverwaltung steht eine lange Schlange vor dem Ausgang zum Hof. Es sind Einzelhandelsbeschäftigte aus Berlin und Brandenburg, die an diesem Tag streiken, statt zur Arbeit zu gehen. Streiken für 6,5 Prozent mehr Lohn. Streiken gegen die Abschaffung der Zuschläge. An jedem Streiktag treffen sie sich morgens um acht im Innenhof. Dort hat ver.di ein Streiklokal eingerichtet. Ein Treffpunkt für alle, da gibt es neue Informationen, Rat, Tipps und Aufmunterung. Und dazu heiße Getränke, Brötchen und Kuchen.

Doch streiken ist auch mit Bürokratie verbunden. Deswegen warten sie geduldig vor dem Tresen am Ausgang, hinter dem Monika Delly und ihre Kolleginnen stehen. Die drei ver.di-Beschäftigten händigen die Anträge auf Streikgeld aus. Und sie beantworten Fragen, die sich meist um die Höhe des Streikgeldes und seine Auszahlung drehen. An Streiktagen zahlt der Arbeitgeber keinen Lohn. ver.di sorgt mit dem Streikgeld dafür, dass das Loch in der Haushaltskasse nicht zu groß wird. Das Geld muss jede/r für sich beantragen.

Alles einzeln ausrechnen

"Für Handelsbeschäftigte ist das besonders kompliziert", erklärt Monika Delly. "Sie haben meist unregelmäßige Arbeitszeiten pro Tag. Daher ist es wichtig, das Streikgeld auf Grundlage der tatsächlich ausfallenden Arbeitszeiten zu berechnen. Deswegen müssen sie für jeden Streiktag angeben, wie viele Stunden sie gearbeitet hätten." Und Monika Delly muss ausrechnen, wie viel Streikgeld ihnen als Ersatz dafür zusteht.

Das macht sie aber nicht hier am Tresen, sondern später in ihrem Büro. Sie rechnet das für jeden Tag für jeden einzelnen Streikenden und jede einzelne Streikende aus. Bei rund 1000 Streikenden pro Tag eine Menge Arbeit.

"Ein kompliziertes Verfahren", sagt auch Sabine Zimmer, die im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg im Fachbereich Handel arbeitet. Deswegen gebe es viel Verständnis, wenn die Auszahlung etwas länger dauere. "Wichtig ist, dass wir mit dem Streikgeld nahezu einen Ausgleich des Nettos erreichen. Das ist auch ein wichtiges Argument bei der Mitgliederwerbung", ist ihre Erfahrung.

Ein weiteres sind gewerkschaftlicher Rechtsschutz und Rechtsberatung, auf die ver.di-Mitglieder Anspruch haben. Wenn Sabine Zimmer durch die Menge geht, wird sie immer wieder danach gefragt. "Viele fragen, was darf mein Arbeitgeber eigentlich? Muss ich ihn beispielsweise informieren, wenn ich streike?", erzählt sie von ihren Gesprächen. Muss man nicht - aber die Unsicherheit ist groß.

An den Tagen, an denen nicht gestreikt wird, nimmt sich die Gewerkschaftssekretärin viel Zeit für Betriebsversammlungen, um die Handelsbeschäftigten weiter zu motivieren. Diese "Aufbauarbeit" schätzt auch Jürgen Simon. Er ist seit einem Jahr Betriebsratsvorsitzender bei Real in Berlin-Lichtenberg. Der Frust in den Betrieben ist da. Die Arbeitgeber sind unbeweglich, der Einsatz von Leiharbeitern führt dazu, dass der Streik von den Kund/innen kaum bemerkt wird. "Aber ich weiß, dass der Streik etwas bringt", sagt Jürgen Simon. Immerhin habe sich sein Geschäftsleiter beschwert, wie sehr er im Lager und an den Regalen spüre, dass sich die Hälfte der Festangestellten an den Streiks beteiligt. Manchmal bleiben Kolleginnen am Streiktag einfach im Laden, wenn sie wissen, dass Leiharbeiter als Ersatz geordert sind. Auch das schadet dem Arbeitgeber.

Absprache über die Taktik

Jürgen Simon schätzt den Zusammenhalt, den er im Streiklokal erlebt, den Austausch mit anderen. Wichtig sind für ihn auch die Informationen, die er als ver.di-Mitglied über den Streik bekommt. Per Post erfahren die Mitglieder beispielsweise, an welchem Tag gestreikt wird. Und bei den Streikversammlungen wird gemeinsam über die Taktik und das weitere Vorgehen entschieden. Nur so entsteht die Gemeinschaft, die den Arbeitgebern etwas entgegensetzen kann.

ver.di sorgt dafür, dass das Loch in der Haushaltskasse nicht zu groß wird