Siobhan Dowd: Anfang und Ende allen Kummers ist dieser Ort | Die nordirische Stadt Drumleash liegt nur deshalb im britischen Teil der Insel, weil irgendeinem beim Grenzeziehen die Hand auf dem Papier zu einem unglücklichen Schlenker ausgerutscht ist, davon ist Onkel Tally überzeugt. Für den achtzehnjährigen Fergus ist der Onkel ein starkes Vorbild; er lebt hinter seinem Pub und hält sich aus den Unruhen raus, die Nordirland 1981 erschüttern.

Das versucht auch Fergus, der seine bittere Lage längst analysiert hat: Als irischer Katholik kommt er hier nicht weit. Entweder gibt er dem Druck der IRA-Terroristen nach und hilft im mörderischen Kampf gegen die britischen Besatzer, oder er setzt alles daran, einen guten Abschluss zu schaffen und auf der "Hauptinsel" Medizin zu studieren. Wenn nur sein Bruder Joey nicht in Long Kesh, genannt Maze, einsäße, dem berüchtigten Gefängnis, in dem Ihre Majestät die nordirischen Querulanten aus dem Verkehr zieht. Ein Horror, den der Künstler Steve McQueen gerade in seinem ersten Kinofilm Hunger in eindringliche Bilder übersetzt hat.

Im Maze hat sich Joey dem Hungerstreik um Bobby Sands angeschlossen. Seinetwegen lässt sich Fergus schließlich einspannen von den Provos der IRA, den Bombenlegern. Bei seinen Jogging-Läufen fungiert er nun unter großem Druck als Kurier und hofft, die IRA entlasse seinen Bruder aus dem Hungerstreik. So tauscht er monatelang braune Päckchen gegen andere aus und freundet sich dabei mit Owain an, einem Grenzsoldaten aus Wales, dem Feind also.

Schon zu Beginn der äußerst spannenden Geschichte findet Fergus beim Torfstechen die Moorleiche eines jungen Mädchens, deren 2000 Jahre alte Geschichte fortan in seinem Kopf herumspukt; ein wunderbarer Dreh der Autorin, die rätselhaft-archaischen Konflikte des Landes nachvollziehbar zu machen. Diese "Rückblenden" sprechen von Liebe, Anderssein und Tod; es sind mitreißende Passagen, die unaufhaltsam einem grauenhaften Ende auch in Fergus' Wirklichkeit zuzusteuern scheinen. Eigentlich fast zu viel für Jugendliche, an die sich das Buch in erster Linie wendet.

Dennoch gelingt Siobhan Dowd, die unlängst erst 47-jährig an Krebs verstarb, eine altersgerechte Auflösung des Konfliktknubbels. Fergus' Geschichte verdeutlicht recht drastisch die brutale Gemengelage des irischen Dilemmas, und dennoch schafft die Autorin es, ihre jungen Leser auf wundervolle Weise vor der Verzweiflung in Sicherheit zu bringen. JENNY MANSCH

Jugend-/Erwachsenenbuch, Carlsen Verlag 2009, Ü: Salah Naoura, 368 S., 14,90 €, ab 14 Jahren


Claudio Del Principe: Anonyme Köche | "Der Name entstand irgendwann mal morgens um vier nach einem Kochgelage, als wir uns fragten, ob es so was wie die Anonymen Alkoholiker auch für Kochsüchtige gibt. Falls nicht, wollten wir Gründer und erste Mitglieder sein, die frei von der Leber weg über ihre Sucht reden und schreiben dürfen. Und mal ganz unter uns, sind wir nicht alle, die wir jeden Tag zu Hause wie wild kochen, anonyme Köche?" Die Kostprobe aus dem Editorial sagt eigentlich alles über das Büchlein, das so ganz anders daherkommt als das gewöhnliche Angebot des Verlags, der für aber auch jede Lebenslage einen Ratgeber bevorratet. Aus der zitierten Schnapsidee wurde erst ein Blog im Internet und daraus - für die Haptiker unter den Kochfreaks - ein köstliches Buch. Es gibt Warenkunde, Bilder, Rezepte und sehr italienische Dampfplauderei ums Kochen und Essen. Eine gehörige Portion Besserwisserei, aber nicht die Spur Betulichkeit. PE www.anonymekoeche.net

Lebenshilfe, GU Verlag 2009, 192 S., 19,90 €


David Foster Wallace: Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich | Die brillante Reportage über eine Karibik-Kreuzfahrt ist ein idealer Einstieg in Sprache und Werk des verstorbenen amerikanischen Autors. Losgeschickt hatte den notorischen Grübler das Magazin Harper's mit der einzigen Vorgabe: schreib eine Postkarte im Breitwandformat! Zurück bekamen sie, was im Buch nun knapp 200 geistreiche und solide recherchierter Seiten umfasst, inklusive ausufernder, höchst unterhaltsamer Fußnoten. Der damals dreißigjährige und bereits schwer depressive Autor im Grunge-Outfit beschreibt seine kuriosen Erfahrungen auf dem Schiff mit einer Haltung der Bescheidenheit, die nie mit dem Finger auf andere zeigt, sondern stets das eigene Erleben infrage stellt. In weit verzweigten, aber genial seinem Gedankenwuchs folgenden Sätzen analysiert er Bordaktivitäten, geht dem Wunder der unsichtbaren Kabinen-stewards nach und forscht nach Sinn und Schrecken der Vakuum-Toiletten an Bord. Bei aller Komik beeindruckt die warme Freundlichkeit des damals schon mit sich und der Welt hadernden Schriftstellers tief. JM

Reise-Essay, Goldmann TB, Ü: Marcus Ingendaay, 182 S., 6,95 €


Helmut Altner: Totentanz Berlin I Der 17jährige Helmut Altner wird noch im März 1945 zum Wehrdienst eingezogen. Mit achtzehn schrieb er dieses erschütternde Buch, 1948 erschien es. "Berlin ist aus den Fugen geraten", beginnt die Schilderung des Wahnsinns: die letzten fünf Wochen des Dritten Reichs, gesehen mit den Augen eines widerwillig am Krieg Teilnehmenden. Wie die meisten Kameraden hat er die Hoffnung längst aufgegeben, überleben zu dürfen. Doch der Fahnenflucht wird gleich am Anfang der Ausbildung vorgebeugt, indem man die jungen Soldaten zwingt, an Erschießungen von "Verrätern" teilzunehmen, "um unsere Nerven zu stärken", erklärt der Feldwebel "lachend". Lange war dieser Kriegsbericht nur auf Englisch erhältlich. Der Besatzungsoffizier Tony Le Tissier hatte sich um eine kommentierte englische Ausgabe verdient gemacht und ist auch für diese deutsche Neuausgabe verantwortlich. "Krieg kaputt. Alles nach Hause!", sagt ein russischer Soldat bei der Gefangennahme, und Altner weint "Tränen der Erleichterung, dass der Gegner menschlich ist". KLIX

Kommentiert und illustriert von Tony Le Tissier, Berlin Story Verlag, Berlin 2009, 383 S. ,19,80 €