Der deutsche Ableger der Porto-Alegre-Bewegung „Eine andere Welt ist möglich“ trifft sich vom 15. bis 18. Oktober im niedersächsischen Hitzacker

November 2008: Es ist bunt im Wendland. Proteste gegen den Castor-Transport

VON KARL SCHAAF

Sie wollen die Themen diskutieren, die ihnen wichtig sind: Arbeit, Umwelt und Frieden. Vier Tage lang treffen sich Gewerkschafter/innen, Atomkraftgegner/ innen und Friedensaktivist/innen in diesem Oktober im Wendland; rund 1 500 Menschen werden zum 3. Sozialforum Deutschlands erwartet. Sie treffen sich in einem Landstrich, der einerseits durch Armut und Niedriglöhne, andererseits durch den Widerstand gegen das atomare Endlager in Gorleben geprägt ist, der ständig aktuell bleibt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Salzstock Gorleben in den 80er Jahren gegen den Rat von Fachleuten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zum Endlager für radioaktiven Atommüll bestimmt wurde. Zurzeit bereiten überall in der Republik Menschen das Sozialforum im Wendland vor.

Im ver.di-Laden Lüchow

Inge Mende und Horst Stenzel betreiben den ver.di-Laden in Lüchow. "Wir werden auf dem Sozialforum einen Dauerstand einrichten", sagt Horst Stenzel. Der 69-jährige ist ver.di-Ortsvereinsvorsitzender im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Früher war er Personalrat der S-Bahn bei den Berliner Verkehrsbetrieben, jetzt ist er im Gewerkschaftsladen aktiv - ebenso wie seine Stellvertreterin Inge Mende. Sie war bis zur Rente Krankenschwester, zuletzt auf der Intensivstation in Dannenberg. Den Laden gibt es seit zwei Jahren. Die beiden haben ihn federführend aufgebaut. Stolz zeigen sie den prall gefüllten Ordner mit Presseberichten über die Aktivitäten des Gewerkschaftsladens. "Beim Gorleben-Transport standen wir in der ersten Reihe", sagt Horst Stenzel. "Wir beteiligen uns aber auch an Anti-Nazi-Aktionen!"

Mit Kunst gegen Castoren

Das 3. Sozialforum in Deutschland hat seinen Standort gut gewählt. Armut und Arbeitslosigkeit sind im Landkreis Lüchow-Dannenberg allgegenwärtig. "Die Leute werden benutzt, erpresst und ausgebeutet", urteilt Inge Mende. Horst Stenzel ergänzt: "Über tausend Vollzeit-Erwerbstätige - jeder Zehnte im Landkreis - müssen ihren Lohn mit Hartz IV aufstocken. Viele bekommen nur fünf Euro brutto pro Stunde." Das wollen sie gemeinsam mit anderen Gewerkschafter/innen an ihrem Stand beim Sozialforum diskutieren.

Kunst und Kultur auf dem Sozialforum: Der Maler Peter Dillmann, Vorsitzender der Fachgruppe Bildende Kunst bei ver.di Niedersachsen/Bremen und im Ortsverein Lüneburg, organisiert in Hitzacker die Ausstellung "Schatten der Gegenwart". Die Bilder, die er dort zeigen wird, zeigen die Castor-Bewegung und den Krieg als "Konfliktlösung". So hat er einen Polizeieinsatz beim Castortransport dargestellt. Zu sehen sind seine Werke im Kultur- und Tagungszentrum VERDO in Hitzacker. "Das Sozialforum bietet eine Möglichkeit des Innehaltens und der Debatte", sagt der Künstler. "Die werden viele im Landkreis nutzen. Wir haben hier eine lebendige Szene, aber das Sozialforum ist eben auch international. Eine gute Mischung."

Ein Workshop aus München

Der Münchner Erich Guttenberger ist in der ver.di-Erwerbslosenarbeit aktiv. Auf der Bundesebene hält er den Kontakt zu verschiedenen sozialen Bewegungen. So kam es, dass er von Anfang an bei den deutschen Sozialforen dabei war.

Für die ver.di-Erwerbslosen sei das Forum eine wichtige Plattform, stellt er fest. Er will in Hitzacker einen Workshop über das Leben mit Arbeitslosengeld II anbieten: "Der Hartz-IV-Regelsatz und die Abschaffung von Sanktionen".

"Damit Erwerbslose, aber auch Rentner, kranke und behinderte Menschen, in Würde leben können, fordern wir eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro monatlich", sagt Erich Guttenberger. Das Besondere an einem Sozialforum ist für ihn, dass es "eine Art Konsensdemokratie ist. Abstimmungen sind untersagt. Jeder Teilnehmer wird mit seiner Meinung respektiert."

Seit 19 Jahren ist Erich Guttenberger mittlerweile selbst erwerbslos. In den Jahren hat er viele Konflikte mit Sachbearbeitern ausgefochten. Die Idee der Sozialforen-Bewegung "Ein andere Welt ist möglich" übersetzt er für sich persönlich so: "Erwerbsarbeit muss durch kürzere Arbeitszeiten umverteilt werden, damit Millionen Erwerbslose wieder einen Job finden!"

2002: "Gute Fahrt" wünscht der Ort Hitzacker

Das Fair-Café in Hitzacker

Arne Kohls vom Zentrum für gewaltfreie Aktion "Kurve Wustrow" und Pastor Simon Kramer von der evangelischen St. Johannis-Kirchengemeinde Hitzacker arbeiten im regionalen Vorbereitungsgremium des Sozialforums mit. Acht "Themenachsen" seien bisher geplant, sagt Arne Kohls Ende August. Das Forum zur Finanz- und Wirtschaftskrise und über gerechte Teilhabe soll am Freitag "solidarische Wege aus der Krise" diskutieren. Dabei geht es auch um gute Arbeit, Wirtschaftsdemokratie und Umverteilung des Reichtums. Friedenspolitik und Antimilitarismus stehen am Freitagvormittag im Mittelpunkt; für den 17. Oktober sind die für Lüchow-Dannenberg besonders wichtigen Themen Ökologie und Energiepolitik geplant.

Pastor Kramer will ein Zeichen setzen: Der Umweltschützer fährt ein Elektromobil, das umgerechnet einen halben Liter auf 100 Kilometer verbraucht, eine Zahl, die vielen die Sprache verschlägt. "Für meine Mobilität müssen keine Kriege ums Öl geführt werden", sagt Kra-mer.

Die St. Johannis-Kirche gehört neben dem Kulturzentrum VERDO und der Freien Schule Hitzacker zu den Veranstaltungszentren. Die Kirchengemeinde bietet auf dem Sozialforum Workshops über "Gerechte Teilhabe" an. Dazu gehört, dass Eine-Welt-Läden aus Hitzacker und Dannenberg rund um die Kirche ein Fair-Café mit fair gehandelten Produkten betreiben werden. Im Gemeindehaus können Teilnehmer/innen übernachten. Für Essen sorgt die "Volxküche" aus dem Wendland. Bei gutem Wetter werden Musik- und Straßentheatergruppen, Redner und Vorleserinnen auch draußen, auf den historischen Straßen und Plätzen des Städtchens, zu erleben sein. Karl-Heinz Jastram, Bürgermeister von Hitzacker, sieht dem Ansturm von Aktiven und Gästen gelassen entgegen: "Wir sind schließlich durch die Castor-Transporte trainiert!"

Die Sozialforen – Für eine andere Welt

Als Gegenveranstaltung zum jährlichen Treffen der Politiker und Wirtschaftslenker in Davos beim Weltwirtschaftsforum fand 2001 das erste Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre statt. Seither treffen sich regelmäßig hunderttausende Menschen aus sozialen Bewegungen, um Alternativen zur herrschenden Politik zu entwickeln und Menschenrechte, soziale und ökologische Rechte zu fordern. Der Charta von Porto Alegre folgend, finden auch nationale und regionale Sozialforen statt.

2005 fand in Erfurt das erste Sozialforum in Deutschland statt, das zweite folgte 2007 in Cottbus. In Cottbus trafen sich die Teilnehmer/innen auf 160 Veranstaltungen zu den Themen Wirtschaft, Arbeit und Frieden.

Sozialforen sind Orte der Debatte und des Austauschs, ohne politische Beschlüsse und ohne Delegierte. Jede/r Interessierte kann teilnehmen. Mitglieder rechter Gruppierungen sind unerwünscht.

Auf dem Sozialforum 2009 im Wendland werden im Anschluss an die Foren Workshops angeboten. Schwerpunkte sind u. a. globale Friedenspolitik, Welternährung, Rechtsextremismus, Recht auf Bildung, solidarische Ökonomie und Gesundheit. Zur Eröffnung am Abend des 15. Oktober sprechen auch der ehemalige IG Medien-Vorsitzende Detlev Hensche und die Sozialwissenschaftlerin Frigga Haug.

Gemeinsam mit attac veranstaltet der DGB Nordost-Niedersachsen einen Workshop zum Thema "Wirtschaftskrise - jetzt erst recht umverteilen! Politische Antworten von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen". Für den 17. Oktober ist in Hitzacker eine Kundgebung gegen das Atommüll-Endlager in Gorleben, Gentechnik und Umweltzerstörung geplant. Zur Schlussveranstaltung spricht der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske.

2010 findet das Europäische Sozialforum in Istanbul statt, 2011 folgt das 4. Sozialforum in Deutschland. Veranstaltungsort soll Freiburg sein.

Informationen und Anmeldung unter www.sozialforum2009.de

Ansprechpartner in der ver.di-BundesVerwaltung: martin.beckmann@verdi.de Kontakt zu ver.di vor Ort: verdi-luechow@t-online.de Informationen zum DGB-Workshop: Lennard.Alldag@dgb.de Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg: Tel. 05841/ 4684