Von Renate Bastian

Als Angelika Kappe in einer Schneiderei lernte, wie man Mäntel zuschneidet, lag noch in weiter Ferne, dass sie heute als Geschäftsführerin arbeiten würde, nämlich bei ver.di Osthessen in Fulda. Dazwischen lagen Stationen wie die Akkordarbeit in der Textilbranche, die Arbeit als Betriebsrätin, später die hauptamtliche Tätigkeit beim DGB in Hannover und dann bei der Gewerkschaft ÖTV. Sie sei in der glücklichen Lage, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben, sagt Angelika Kappe heute. Etwas spröde äußert sie sich über ihre persönlichen Belange, wenn es aber um die Region geht, sprudelt sie. Es ist nicht ganz leicht in einem Gebiet, das eher durch den katholischen Bischof von sich reden macht. Oder durch die Arbeitslosigkeit: in Fulda liegt sie bei 5,3 Prozent, im Vogelsbergkreis bei 6,5 Prozent und im Landkreis Hersfeld/ Rotenburg bei 6,3 Prozent. Tarifflucht und Lohndumping sind die beherrschenden Themen. Im Fokus steht zurzeit die Schwenninger Betriebskrankenkasse (BKK) mit rund 750 Beschäftigten bundesweit. Durch den Zusammenschluss mit der BKK Osthessen arbeiten nun in Fulda rund 150 Beschäftigte, zum Teil bisher tarifgebunden nach dem BKK-Tarifvertrag, zum Teil nicht. ver.di strebte einen Haustarifvertrag für alle an. Dagegen machte eine Standesorganisation namens GdS im Beamtenbund den Billigheimer. An ver.di vorbei wurde ein Vertrag abgeschlossen, der deutlich abgesenkte Normen festschreibt für diejenigen, die bisher einen gewerkschaftlichen Tarifvertrag hatten.

Der Blick ins Ofenrohr

Es geht nicht um Kleinigkeiten. Es betrifft die Wochenarbeitszeit, das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld und eine etwa 10 Prozent geringere Vergütung. Wer per Tarifvertrag bisher besser gestellt war, wird in den kommenden Jahren "abgeschmolzen". Das bedeutet, die Beschäftigten schauen "mit dem Ofenrohr ins Gebirge", wie es in einem Flugblatt heißt. Mögliche künftige Verbesserungen sollen ihnen angerechnet werden. Mit einer breit angelegten Plakataktion und Aufklärung unter den Beschäftigten wie unter den Kunden stellt ver.di sich dem entgegen und hat eine Tarifgemeinschaft mit der IG BCE und der IG Metall gebildet. Ziel bleibt ein ordentlicher Tarifvertrag. Ein hoher Anteil der Beschäftigten ist gewerkschaftlich organisiert, doch es herrscht Angst um den Arbeitsplatz. Gegenüber den Kunden wirbt die neue BKK damit, dass vorerst keine Zusatzbeiträge erhoben werden. Bezahlen sollen dies die Beschäftigten.

Ein offener Brief

"Eine Region steht auf gegen Tarifflucht und Lohndumping" - so heißt eine länger andauernde Kampagne, die gemeinsam mit dem DGB bereits seit 2007 läuft. Denn auch die Stadt Fulda trägt dazu bei, Einkommen und Arbeitsstandards zu drücken. Schon vor Jahren wurde eine Dienstleistungsgesellschaft gegründet, Pro Communitas GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Stadt Fulda, die nicht tarifgebunden ist.

Angelika Kappe

Inzwischen arbeiten dort rund 360 Beschäftigte. Und noch ein drittes Problem drängt. Dem Kreiskrankenhaus Alsfeld droht die Privatisierung, was in der Regel Verschlechterungen für Patienten und Beschäftigte bedeutet. Um es weiter in öffentlicher Hand zu halten, hat ver.di Osthessen die Kommunalpolitiker in einem offenen Brief zu einer Zusammenarbeit der Krankenhäuser Alsfeld und Bad Hersfeld aufgefordert, da sich beide Einrichtungen im Angebot an Gesundheitsdienstleistungen ergänzen können. "Da muss ich wohl wieder ran", sagt Angelika Kappe, "und die dicken Bretter bohren". Geduld braucht sie. Einen langen Arbeitstag hat sie ohnehin oft, weil sie seit Anfang des Jahres auch stellvertretende Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Hanau ist. Sie sieht es so: "Wenn ich nach der Arbeit abends den Bezirksvorstand treffe oder die anstehenden Organisationswahlen vorbereite, dann beginnt halt meine ehrenamtliche Gewerkschaftszeit." In ihrem Büro in der Fuldaer Heinrichstraße ist sie nicht allzu häufig anzutreffen, aber erreichbar ist sie immer. Sie schaltet nur ab, wenn sie ihrem jüngsten Sohn beim Fußballspielen zuschaut.