MARIA KNIESBURGES ist Chefredakteurin der ver.di PUBLIK

Es war zu vermuten - und man wusste es ja auch. Doch bislang gab es keine konkreten Zahlen, sondern nur die so genannte Dunkelziffer, die irgendwo durchs Unbestimmte schwebt und die Sozialstatistik schont. Nun ist sie da, die Zahl: 500 000. Vielleicht ein paar weniger, vielleicht ein paar mehr. Rund eine halbe Millionen Menschen in Deutschland gehen Tag für Tag einer Vollzeitarbeit nach und bekommen dafür einen Lohn, der gerade mal zum Überleben reicht. Sie könnten aufstockende Leistungen vom Staat nach Hartz IV beantragen. Aber sie tun es nicht. Weil sie sich schämen. Weil sie die Formulare scheuen, sich nicht durchleuchten lassen wollen. Weil das Hartz-System an die Würde geht.

Neben der Zahl ergab auch das eine Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und auch weiter fortgesetzt wird. Das schafft Klarheit in der Nebelbank der Dunkelziffer und zeigt, wie es so steht um dieses Deutschland 2010. Zu den 500 000 Unterbezahlten, die zwar Anspruch haben, aber keine Hilfe beantragen, kommen noch die mehr als 400 000 zum Niedriglohn in Vollzeit Beschäftigten, die nach der Arbeit aufs Amt gehen und Hilfe vom Staat beantragen. Weil sie darauf angewiesen sind. Weil ihnen der Lohn vorenthalten wird. Und nur, weil hier geldwerte Hilfsleistungen verbucht werden müssen, tauchen sie auch in den offiziellen Zahlen auf. Was den Skandal nicht besser, aber immerhin sichtbarer macht.

"Leistung muss sich wieder lohnen", heißt die große Losung der FDP, einer der Parteien in Regierungsverantwortung. Ja, Leistung muss sich wieder lohnen - Arbeit muss ordentlich bezahlt werden. Und weil es mit der ethisch-moralischen Selbstverpflichtung des bundesdeutschen Unternehmertums ganz offenbar nicht klappt, braucht es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland. Eine Auffanglinie nach unten. Hungerlöhne und Hartz-IV-System zerrütten die Gesellschaft. Da reicht auch keine Reform der Reform.