Mandy Schrader: Man muss sich nur ein Ziel setzen

Mandy Schrader, 18 Jahre alt, seit August 2010 Auszubildende im Öko-Supermarkt basic

Ich finde, alle Menschen sollten gleich behandelt werden. Menschen sind Menschen. Wie man mit ihnen umgeht, darf nicht von ihrer Herkunft abhängen. Ein Ausdruck wie "Kopftuchmädchen" ist doch beleidigend. Und es stimmt einfach nicht, dass Ausländer den Staat ausnutzen. Das machen vielleicht ein paar, aber die Mehrheit ist es nicht. Wir gehen schließlich alle hart arbeiten. Wenn Leute Geld vom Staat haben wollen, ohne was dafür zu tun, ist das nicht in Ordnung.

18 Nationalitäten in einer Filiale

Zur Zeit stehe ich an der Fleischtheke. Ich hab einen angenehmen Arbeitgeber und total nette Kollegen. 18 Nationalitäten sind in meiner Filiale angestellt. Griechen, Albaner, Perser, Türken. Diskriminierung gibt es nicht.

An den Schulungstagen verlangt der Ausbilder, dass alle Deutsch reden. Das finde ich gut. Sonst beginnen die Lästereien und man versteht kein Wort. Ich bin praktisch nie diskriminiert oder beleidigt worden. Ich sehe nicht aus wie eine Ausländerin, ich habe einen deutschen Namen. Keiner kommt auf die Idee, dass ich halb Ungarin bin.

Aber einmal, in der Schule, hat ein Lehrer bei meiner Mutter angerufen, um mit ihr zu sprechen, und hat gehört, dass sie Ausländerin ist. Das war der Auslöser. "Du bist ja gar keine Deutsche", hat er gesagt. Von da an hat er oft mit mir geschimpft, und ich musste nachsitzen und Sozialstunden ableisten.

Das ist mir jetzt wieder eingefallen, als wir an der Berufsschule über Rassismus und Diskriminierung nachgedacht haben. Am Anfang habe ich gedacht: Ich bin gar nicht gemeint. Ich bin doch hier geboren. Ich spreche Deutsch. Dann habe ich begriffen: Wer Ausländer beschimpft, beschimpft auch mich. Obwohl ich Budapest nur von den Ferien kenne. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, meine Mutter ist Ungarin, sie kam 1989 nach Deutschland. Am Anfang hat sie als Putzfrau gearbeitet, inzwischen führt sie eine kleine Kneipe. Deutsch hat sie sich selbst beigebracht. Sie versteht es gut, aber wenn sie selbst spricht, hapert es an der Grammatik. Ich habe schon mal überlegt, ihr einen Deutschkurs zu schenken, aber das ist zu teuer. Sie ist eine richtige Kämpfernatur. Ich bin stolz auf sie. Sie ist ein großes Vorbild für mich. Auch wenn sie meist Nachtschicht gearbeitet hat und immer wenig zu Hause war. Sie hat mir gezeigt: Wenn man will, kann man hier alles schaffen. Man muss sich nur ein Ziel setzen und etwas dafür tun.

Ich habe auch Ziele. Eins verwirkliche ich noch an diesem Wochenende. Ich ziehe mit meinem Freund zusammen. Es ist meine erste eigene Wohnung.

Meine Ausbildung ist im Juni 2013 zu Ende. An der Berufsschule möchte ich die mittlere Reife machen. Während der Pubertät war mir das Lernen relativ wurscht. Im Nachhinein ärgert mich das. Im Moment liegt mein Zensurendurchschnitt bei 2,9. Ende 2011 soll er 2,5 sein. Im nächsten Jahr dann 2,0. Früher wollte ich immer gleich alles erreichen. Inzwischen weiß ich, dass es besser ist, sich kleine Ziele zu setzen. Dann hat man Erfolgserlebnisse.


Dieu Merci Lekeni: Sie staunen, dass ich Zeitung lese

Ich kann andere Menschen nicht ändern

Dieu Merci Lekeni, 19 Jahre alt, Azubi bei Karstadt Oberpollinger

Als meine Mutter schwanger war, flohen meine Eltern aus dem Kongo nach Deutschland. Geboren bin ich hier. Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in Asylbewerberheimen verbracht. Mein Vater hat uns verlassen, meiner Mutter ging es nicht gut. Vor 14 Jahren kam ich darum in eine Pflegefamilie. Inzwischen ist die Pflegemutter meine Mutter. Wir leben außerhalb von München, ich war der einzige Schwarze.

Ich erinnere mich noch gut an den ersten Schultag. Wir saßen da mit unseren großen Schultüten. Ein deutscher Junge hatte seinen Platz neben mir. Aber seine Mutter hat ihn schnell von mir weg gesetzt. Später hat mich der Junge immer wieder provoziert. Andere haben mitgemacht. Körperlich konnte ich mich wehren, aber die Worte taten weh. Einmal musste ich nachsitzen. Auf der Heimfahrt haben die Kinder gerufen: "Der Neger muss immer nachsitzen." Da ging ein Gelächter durch den Bus.

Du musst besser sein

Meine Lehrerin war ein großer Rückhalt für mich. Sie hat mich in den Pausen zur Seite genommen, mir gesagt, dass ich mich nicht provozieren lassen soll, und mir das Gefühl gegeben, ein Mensch zu sein. Als ich mich trotzdem immer aggressiver gewehrt habe, kam ich auf eine Montessorischule. Da habe ich gelernt, wie man in kritischen Situationen handeln kann. Meine Mutter hat gesagt: "Dieu, du musst immer besser sein als die anderen. Alles, was du tust, muss besser sein als das, was die anderen tun." Das ist seither mein Motto. In der Schule habe ich nicht immer die besten Noten, aber Klassensprecher war ich hier vom ersten Tag an. Ich bin offen und freundlich und versuche, so wenig Probleme wie möglich zu machen. Das ist ein großer Druck. Wenn mich jemand provoziert, schalte ich ab. Dann reagiere ich nicht aggressiv, sondern arrogant. Manchmal belächle ich den anderen nur, manchmal lache ich ihn aus oder ignoriere ihn vollkommen. Ich kann andere Menschen nicht ändern, das können sie nur selbst tun.

Viele meiner Freunde sind Ausländer. Vielleicht, weil wir alle wissen, wie es ist, hier zu leben. Der größere Teil von mir ist Afrikaner, obwohl ich in Deutschland geboren bin. Ich habe noch immer keinen deutschen Pass. Darum fühle ich mich nicht anerkannt. Diskriminierung spüre ich häufig. Immer wieder werde ich von Polizisten kontrolliert und unfreundlich und herablassend behandelt. Wenn ich S-Bahn fahre, bleiben die Plätze um mich herum leer. Die Leute stehen lieber als neben mir zu sitzen. Sie sind misstrauisch. Seit ich Azubi bin, trage ich auf der Fahrt allerdings oft einen Anzug. Plötzlich setzen sich die Leute neben mich. Sie sprechen mich an, staunen, dass ich Zeitung lese und so gut Deutsch kann, und fragen, wo ich arbeite. Nur wegen der Kleidung und einem Stück Zeitung!

Wenn meine Lehre zu Ende ist, möchte ich das Abitur nachmachen und studieren. Vielleicht Wirtschaftspsychologie. Ich will zeigen, dass man eine schwierige Vergangenheit haben und es trotzdem schaffen kann. Dann haben die Leute vielleicht mehr Verständnis und Respekt für Ausländer.


Baris Soylu: Wir können mehr als nur Gemüse verkaufen!

Wir reden Mischmasch

Baris Soylu, 18 Jahre alt, Auszubildender bei Obi

Ich fühle mich nicht als Deutscher und nicht als Türke. Man könnte auch sagen: Ich fühle mich als Deutscher und als Türke. Beides ist gleich stark. Das belastet mich manchmal. Aber meistens ist es mir egal. Meine Eltern kommen aus der Türkei, meine Mutter hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch meine Oma ist in Deutschland. Für die Deutschen bin ich ein Türke, egal, was in meinem Pass steht.

Mit meinen Eltern und Geschwistern reden wir Mischmasch. Wenn Freunde mich auf Türkisch ansprechen, antworte ich auf Deutsch. Mir fällt beides leicht. Ich esse am liebsten Pizza und Spaghetti, das hat mit Deutschland und der Türkei gar nichts zu tun. In Beziehungen bin ich aber wirklich türkisch - ein bisschen strenger als die Deutschen. Wenn ich eine Freundin habe, darf sie keine kurzen Sachen anziehen. Ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht, ist mir egal. Aber kurze Sachen - da würde ich ausrasten und sie anschreien. Ich will nicht, dass man über meine Freundin sagt: Schau mal, wie die rumläuft. Da hat man dann auch von mir ein schlechtes Bild.

Zu deutsch

Den strengeren Moslems bin ich trotzdem zu deutsch. "Du hast Tattoos, du trinkst, du bist kein Moslem", sagen die. Aber das ist mir gleich. Was andere sagen, zählt ja nicht. Es zählt, was ich glaube. Aber es verletzt einen schon und macht wütend, wenn einen jemand blöd anmacht. Eine Gruppe junger Leute hat mich mal beschimpft: "Ausländer raus!" Da hab ich mich ein bisschen schlecht gefühlt. Obwohl ich mich gar nicht angesprochen fühlen muss, ich hab ja die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber so was sagen nur Jugendliche. Erwachsene haben mich nie schlecht behandelt. Wenn ich Kinder hätte, würde ich sie so erziehen, wie ich erzogen wurde. Sie sollen sich wohl fühlen. Es kommt auf sie selbst an. Ob sie dann eher Deutsche oder eher Türken sind, ist mir egal.

Mich ärgert, wenn Türken schlecht dargestellt werden. So einer wie Sarrazin soll mich mal kennenlernen und das tun, was ich tue, dann würde er so ein Buch gar nicht schreiben. Wir können mehr als nur Gemüse verkaufen! Ich gehe jeden Sonntag laufen, trainiere im Fitness-Studio. Ich mache meine Ausbildung. Gerade bin ich in der Gartenabteilung, da ist im Frühling viel los.

Früher habe ich schon Scheiße gebaut. Aber das hat nichts mit meiner Nationalität zu tun. Ich war einfach so. Aber jetzt bin ich wieder auf dem richtigen Weg. Manchmal fühle ich mich von einem Lehrer benachteiligt. Weil er immer das Auge auf mir hat. Wenn ich einen Mucks von mir gebe, schimpft er gleich. Bei den anderen erst nach zwei, drei Mucksen. Aber ich weiß nicht, ob das Fremdenfeindlichkeit ist. Oder ob es so ist, weil ich früher Mist gebaut habe. Ich würde mir wünschen, dass niemand ausgegrenzt wird. Und dass alle sich gegenseitig akzeptieren, so, wie sie sind.


Afghanisch sind nur meine Haare und meine Hautfarbe

Hares Arezomand, 19 Jahre alt, derzeit im Berufsvorbereitungsjahr, beginnt am 1. September seine Ausbildung bei Netto

Ich habe viele Bewerbungen losgeschickt, bis es mit der Ausbildungsstelle geklappt hat. In der Schule war ich nicht gut, darum hat es so lange gedauert. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Ausländer bin. Ich benehme mich wie ein Deutscher, ich ziehe mich wie ein Deutscher an. Afghanisch sind nur meine Haare und meine Hautfarbe. Eigentlich weiß ich sowieso nicht genau, was der Unterschied ist. Die Kultur ist anders. Wie und was man isst. Die Sprache. Ja. Aber sonst?

1999 bin ich mit meinen Eltern aus Kabul in Afghanistan nach Deutschland gekommen. Damals war ich acht Jahre alt. Keine Ahnung, wie ich es hier geschafft habe. Ich habe meine Klassenkameraden überhaupt nicht verstanden. Ich wusste nicht, worum es geht. Alle waren nett zu mir. Ich war der einzige Ausländer. Aber darüber habe ich gar nicht nachgedacht.

Jeder Mensch hat doch etwas Besonderes. Man sollte alle Menschen respektieren, egal, welche Hautfarbe sie haben. Mensch ist Mensch. Draußen bin ich mit Türken, Kurden, Arabern, Tunesiern und Brasilianern zusammen. Jeder hat seine Art. Wir grillen und schwimmen. Wir benehmen uns.

In Moschee und Kirche

Ab und zu gehe ich mit meinen Freunden auch in die Moschee. Der Brasilianer ist Christ, aber er geht mit. Manchmal sind wir auch in der Kirche. Es ist doch egal, wo du betest.

Einmal haben uns Nazis angemacht. Wir sind ins Auto gestiegen, sie haben mit dem Regenschirm nach uns geworfen. Wir haben uns gewehrt. Am Ende mussten zwei von uns ins Krankenhaus. Die Nazis haben eine Anzeige bekommen. Vor Gericht haben sie sich bei uns entschuldigt. Aber kurz vorher haben sie noch gesagt: "Ihr Scheißausländer, verpisst euch."

Ich gehe weg, wenn mich einer so anmacht. Ich diskutiere nicht. Mit 15 oder 16 Jahren, da diskutiert man. Da kommt es zu Prügeleien. Weil man groß und stark sein will. Und weil man es nicht verarbeiten kann. Aber heute denke ich, wenn sich einer schlägt: Was für ein Kind! Mich provoziert das nicht mehr, ich hab schon alles erlebt. Was bringt es schon, sich zu wehren? Man bekommt eine Anzeige. Dann hat man den Salat.

Wir haben alles, was wir brauchen, Gewalt vermeiden wir. Aber die Richter finde ich unfair. Wenn einer Mohammed heißt und jemanden tötet, kommt er in den Knast. Ein Deutscher kriegt noch eine Chance.

Vor kurzem hat mir ein Freund ein Buch geschuldet, weil ich eine Wette gewonnen habe. Er hat Räuber Hotzenplotz gebracht. Ich habe gesagt: Bring das zurück, ich will kein Räuber Hotzenplotz-Buch. Dann kam er mit dem Buch von Sarrazin. Ich hab es nicht aufgemacht, es steckt noch in der Folie. Ich glaube, ich lass es mal da drin.

Über den Hunger in der Welt sollte man schreiben. Darüber, dass Frauen vergewaltigt werden. Das müssen alle gemeinsam lösen. Wenn jeder Deutsche einen Euro spenden würde, könnte man so vielen Menschen helfen.

Protokolle: Monika Goetsch

Auszubildende im Einzelhandel

Rund 1750 Schüler/innen besuchen die Berufsschule für den Einzelhandel in München-Mitte.

In 315 Betrieben wird ein Drittel der Azubis zu Verkäufer/innen ausgebildet, zwei Drittel machen eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau/zum Einzelhandelskaufmann, ein Prozent hat keinen Ausbildungsplatz. Die meisten Auszubildenden kommen von Aldi, Netto und Kaufhof. Die Zahl der Kaufleute insgesamt, sagt die Schule, sei „weiterhin rückläufig“.

Wie die Sozialpädagogin Katharina Hauck berichtet, haben rund 70 Prozent ihrer Schüler/innen einen Migrationshintergrund. Deshalb hat sie eine Gesprächsrunde initiiert, die sich mit den Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators und Ex-Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin und alltäglichem Rassismus kritisch auseinandersetzt. Auch ver.di PUBLIK hat mit Schülern und Auszubildenden der Berufsschule für Einzelhandel gesprochen und die Gespräche protokolliert.

„Der Einzelhandel“, sagt Orhan Akman von ver.di München, „ist eine Branche, in der mehr und mehr Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt sind.“ Internationale Konzerne der Textilbranche wie Zara oder Mango hätten einen deutlich über 50 Prozent liegenden Migrantenanteil. „Das ist ein Pluspunkt, gerade in Großstädten wie München“, so Akman. „Eine Belegschaft mit verschiedenen Sprachen und Kulturen wirkt sich positiv auf die Arbeitsatmosphäre aus.“

Die Bereitschaft, sich in der Gewerkschaft zu organisieren, schätzt Orhan Akman unter Migranten als hoch ein: Bereits jetzt habe jedes zweite neue Mitglied aus dem Bereich Einzelhandel in München einen Migrationshintergrund. „Die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ist sehr wichtig für die Integration. Hier kann man Vorurteile, Ressentiments und Ängste überwinden. Nur wenn Deutsche und Migranten für die gemeinsame Sache einstehen, erreichen wir etwas für alle.“