Beim CDU-Parteitag Mitte November steht ein Antrag über eine Lohnuntergrenze zur Abstimmung. Von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ist der Vorschlag weit entfernt

Mindestens 8,50 Euro pro Stunde fordern die Gewerkschaften, wie hier im Frühjahr 2011 beim FDP-Parteitag in Rostock

Von Heike Langenberg

Lange haben Politiker der schwarz-gelben Bundesregierung vehement die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns abgelehnt. Ende Oktober kam plötzlich die Überraschung. Die Antragskommission für den CDU-Bundesparteitag, der vom 13. bis 15. November in Leipzig stattfinden soll, empfiehlt einen Antrag zum Mindestlohn zur Annahme.

Ein Kursschwenk der CDU in Sachen Mindestlohn? Nur bedingt. "Der Antrag für den Parteitag ist das Papier nicht wert, auf dem er steht", sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in einem Zeitungsinterview. ver.di fordert seit einigen Jahren einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die CDU will mit ihrem Antrag nur "eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in Bereichen" einführen, in "denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert". Die Tarifpartner sollen für diese Bereiche einen Mindestlohn aushandeln, der sich nach Vorstellungen der Christdemokraten am Tarifabschluss für Leiharbeiter/innen orientieren soll. Das wären 6,89 Euro pro Stunde im Osten und 7,79 Euro im Westen. ver.di fordert hingegen mindestens 8,50 Euro. Diese Summe soll, so ein Beschluss der Gewerkschaft beim diesjährigen Bundeskongress, jährlich überprüft und schnell auf zehn Euro pro Stunde angehoben werden.

Festgelegt werden soll der Mindestlohn nach ver.di-Vorstellungen von einer Kommission, die sich aus Vertretern der Tarifpartner und Wissenschaftlern zusammensetzt. Ein ähnliches Modell gibt es in Großbritannien. Dass die CDU die Entscheidung über die Mindestlöhne der einzelnen Bereiche allein den Tarifpartnern überlassen will, birgt die Gefahr, dass sich die Tarifpartner nicht auf einen Mindestlohn in einer Höhe verständigen können, die zum Leben reicht.

Würde sich die CDU mit ihren Vorstellungen durchsetzen, könnte die Lohnuntergrenze durch Gefälligkeitstarifverträge zum Beispiel mit so genannten christlichen Gewerkschaften getunnelt werden. Wenn sich diese Tarifpartner darin auf niedrigere Lohnhöhen einigen, würde der Bereich als tarifvertraglich geregelt gelten.

Beschließt der Bundesparteitag den Antrag, würde das nur eine mögliche Richtung vorgeben. Innerhalb der Regierungskoalition ist die Einführung eines Mindestlohns umstritten. Insbesondere die FDP hat sich bislang dagegen ausgesprochen.

Das Bundesarbeitsministerium hat bereits 2010 Wirtschaftsforschungsinstitute beauftragt, die Auswirkungen von Mindestlöhnen in acht Branchen zu untersuchen. Die Ergebnisse liegen vor, das Ministerium hat sie allerdings noch nicht veröffentlicht. Mittlerweile ist durchgesickert, dass die beauftragten Expert/innen zu dem Schluss gekommen sind, dass die bislang in Deutschland geltenden Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz in den jeweiligen Branchen keine negativen Auswirkungen gehabt haben. Gegner des Mindestlohns hatten bislang immer argumentiert, er würde zu Arbeitsplatzabbau führen.

Gute Erfahrungen

In der Abfallwirtschaft wird seit dem 1. Januar 2010 ein Mindestlohn gezahlt, der mittlerweile bei 8,33 Euro pro Stunde liegt. Ellen Naumann, Leiterin des Bereichs Abfallwirtschaft beim ver.di-Bundesvorstand, sagt, dass dadurch bundesweit rund 20.000 Beschäftigte in der Branche mehr verdienen. Zu Arbeitsplatzverlusten sei es nicht gekommen, der Wettbewerb beginne jetzt, sich langsam zu entzerren. In der Abfallwirtschaft werden viele Aufträge ausgeschrieben. Dieser Wettbewerb sei früher in erster Linie über Lohndumping geführt worden. "Der Mindestlohn hat der Branche gut getan", sagt Naumann. Klar sei aber auch, dass die Höhe noch nicht ausreichend sei. ver.di setzt sich in der Abfallwirtschaft mittlerweile für einen differenzierten Mindestlohn ein, nach dem die Fahrer der Müllautos einen höheren Stundenlohn erhalten müssen. Eine inzwischen mit den Arbeitgeberverbänden ausgehandelte Regelung müsse aber noch politisch durchgesetzt werden.

Zufrieden mit den Erfahrungen mit dem Mindestlohn ist auch Jürgen Wörner vom ver.di-Bundesfachbereich Gesundheit. In der Pflege müssen seit Beginn des Jahres 2011 mindestens 7,50 Euro pro Stunde im Osten und 8,50 Euro im Westen gezahlt werden. Gerade am Anfang hätten viele Arbeitgeber versucht, gegen den Mindestlohn zu verstoßen, erinnert sich Wörner. "Das hat zu vielen Klagen geführt", sagt der Gewerkschafter. Entsprechende Urteile hätten dafür gesorgt, dass der Mindestlohn mittlerweile weitgehend gezahlt werde. "Die Beschäftigten tarifgebundener Unternehmen werden eh besser bezahlt", sagt Wörner. Anfang 2012 wird der Mindestlohn in der Pflege um jeweils 25 Cent pro Stunde erhöht. Jürgen Wörner ist gespannt, ob die Arbeitgeber das umsetzen. Denn es gibt einen Tarifvertrag des Arbeitgeberverbandes Pflege mit der Pseudogewerkschaft Medsonet, der das Arbeitsgericht Hamburg im Frühjahr die Tariffähigkeit abgesprochen hat. Der Vertrag sieht 7,50 Euro als untere Lohngrenze vor. Klar ist, der Mindestlohn nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gilt für alle Beschäftigten. Wird er nicht gezahlt, können die Betroffenen klagen.