Wir haben fast alles getan Durch die Krise 2008 brach das Bankensystem in Island völlig zusammen. Dennoch bestand man auf einem sozialen Profil des Krisenmanagements. Die drei großen Banken wurden verstaatlicht, per Volksabstimmung wurde beschlossen, Anleger nicht zu entschädigen. Für 2014 erwartet das Land nun einen ausgeglichenen Haushalt.

Steingrímur J. Sigfússon

Steingrímur J. Sigfússon, 57, wurde 2009 nach der aufgrund massiver Bürgerproteste vorgezogenen Parlamentswahl Finanzminister in der Regierung aus sozialdemokratischer Allianz und der Links-Grünen Bewegung. Seit 2011 leitet der Vorsitzende der Grünen Partei das Ministerium für Wirtschaft, Handel, Fischerei und Landwirtschaft.

ver.di PUBLIK | Wo geht es in Islands Wirtschaft derzeit besonders aufwärts?Steingrímur J. Sigfússon | In den letzten drei Jahren hat sich besonders die Reiseindustrie erfreulich entwickelt. Dieser Zweig blüht und gedeiht, und das trägt enorm zur Erholung unserer Wirtschaft bei.

ver.di PUBLIK | Fürchten Sie nicht, dass die Besucher wegbleiben, wenn Sie nächstes Jahr die Steuer für das Hotel- und Gaststättengewerbe auf 24 Prozent erhöhen? Sigfússon | Lassen Sie mich daran erinnern, dass der Wechselkurs der Krona durch die Krise um 40 Prozent abgestürzt ist. Das erklärt teilweise auch das Wachstum im Tourismus. Wir hatten einmal eine Mehrwertsteuer von 14 Prozent auf Hotels und Gaststätten. Die frühere Regierung hatte sie in ihrer Dummheit auf sieben Prozent gesenkt. Warum sollte es 25,5 Prozent Mehrwertsteuer für Dinge des täglichen Bedarfs geben, und auf Hotels und Gaststätten nur sieben Prozent?

ver.di PUBLIK | Ein anderes Standbein der Wirtschaft Islands ist die Fischerei. Sigfússon | Ja, auch die mussten mit der neuen Ressourcensteuer dazu beitragen, dass wir zusammen aus der Misere rauskommen. Auch das Baugewerbe hat sich erholt. Nur die Finanzdienstleister sind längst nicht mehr so wichtig und groß, wie sie es während des Booms zu sein glaubten.

ver.di PUBLIK | Im Rückblick: Was waren die wichtigsten Schritte, die Sie in der Krise in Island in Angriff nehmen mussten? Sigfússon | Wie Sie vielleicht wissen, gab es für uns ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) für den Umgang mit der Krise. Es war jedoch noch unter der Unabhängigkeitspartei so gestaltet, dass für das Krisenjahr 2009 keine weiteren Maßnahmen vorgesehen waren, um die Folgen der Krise abzumildern. Das hielten wir für hochgradig dumm, deshalb haben wir schon Mitte 2009 mit den weitreichenden Maßnahmen begonnen, sowohl auf der Ausgaben- wie auf der Einnahmeseite. Das hat sich schnell bezahlt gemacht. Aber glauben Sie nicht, dass Islands Weg einfach gewesen wäre. Es hat uns viel gekostet und war sehr schmerzhaft. Wir haben unser Bestes getan, um die vielen Familien, die Niedriglöhner eingeschlossen, zu schützen.

ver.di PUBLIK | Zum Beispiel? Sigfússon | Wir haben das Steuersystem geändert. Wir haben ein Dreiklammersystem eingeführt: Eine für den Niedriglohnbereich, eine für den mittleren und eine für die hohen Einkommensgruppen. Wir haben den Steuersatz im Niedriglohnbereich unverändert gehalten, während die höheren Einkommensgruppen Steuererhöhungen bekamen. Des Weiteren haben wir die Steuern auf Kapitaleinkünfte erhöht, ebenso wie die Unternehmensgewinnsteuer und die CO2-Steuer; erhöht wurden Steuern auf Alkohol und Tabak, eine Gesundheitssteuer wurde eingeführt. Wir haben fast alles getan.

ver.di PUBLIK | Haben die Unternehmen nicht mit Verlagerung ihrer Geschäfte ins Ausland gedroht? Sigfússon | Natürlich haben Sie das. Aber die Erfahrung hat gezeigt, die wenigsten tun das wirklich. Und auf die drei oder vier Millionäre, die nicht einsehen wollen, was jetzt für ihr Land wichtig ist, auf die kann Island dankend verzichten.

In Island ist wieder Licht am Krisenhorizont zu sehen

ver.di PUBLIK | Was wurde auf der Ausgabenseite getan? Sigfússon | Da haben wir bei Verwaltung und laufenden Kosten im Staatshaushalt mehr als doppelt so viel eingespart wie bei Wohlfahrt, Gesundheit, Bildung und Polizei. Was wir verfolgt haben, ist ein gemischtes Modell, um einige Stimuli zu nutzen, damit die Wirtschaft weiterläuft und sich nicht zu sehr abkühlt.

ver.di PUBLIK | Ein Beispiel bitte. Sigfússon | Wir haben die Mehrwertsteuerrückzahlung für Hausreparaturen erhöht. Wenn jemand sein Haus repariert, bekam er bisher 60 Prozent der Mehrwertsteuer zurück. Das haben wir auf 100 Prozent erhöht, um Jobs im Baugewerbe zu schaffen und zu erhalten und gegen die Schwarzarbeit in der Branche anzugehen. Aber auch, um die Wirtschaft anzukurbeln.

ver.di PUBLIK | Sie haben auch Änderungen am Rentensystem vorgenommen. Welche waren das?Sigfússon | Wir haben den Zugang zu zusätzlichen Pensionszahlungen erleichtert. In Island haben wir ein obligatorisches Rentensystem. Zwölf Prozent des Gehalts gehen in einen Pensionsfond, acht Prozent zahlt der Arbeitgeber, vier Prozent der Arbeitnehmer. Wenn er möchte, zahlt er freiwillig nochmal zwei bis vier Prozent für eine zusätzliche Rente. Es wird jedoch nicht erwartet, dass jemand das nutzt, bevor er oder sie 60 wird. Wir haben gesagt, okay, in der Krise ist es für manche vielleicht besser, es jetzt nutzen zu kön-nen. Also haben wir das geöffnet und viele Haushalte haben es genutzt. Ungefähr 70 Millionen Isländische Kronen (umgerechnet rund 430.000 Euro) sind aus den privaten Rentenfonds abgezogen worden. Auch das hat einen Turnaround in der Wirtschaft bewirkt. Und es gibt ein schönes Einkommen für den Staat, weil die Steuer bei Auszahlung des privaten Rentengelds fällig wird.

ver.di PUBLIK | Kommt das später nicht als Bumerang, nämlich Alters-armut zurück? Sigfússon | Nein, es ist ja nur der private Teil des Rentenfonds betroffen, den können die Leute eh mit 60 nutzen, wie sie wollen, warum nicht auch mit 45?

ver.di PUBLIK | Island war das erste Krisenopfer, nun wird der Aufschwung gelobt. Sie werden immer öfter um Rat und Expertise gefragt. Was sagen Sie den anderen Krisenländern? Sigfússon | Ich lade gern dazu ein, sich unser Programm anzuschauen. Ein Rat, den ich geben konnte und kann: Versucht, die Behörden ins Boot zu holen, gebt ihnen einen großen Anteil daran, denn sie sind es, die es durchziehen müssen. Daran scheitern normalerweise viele Programme, so wie ich das sehe. Sie mögen auch fehlerhaft sein, aber meistens ist das Problem die Frage, ist es überhaupt möglich, was du da von den Leuten verlangst? Bei Griechenland etwa kommen mir da gewisse Zweifel.

Interview: Jenny Mansch

Buchtipp Halldór Gudmundsson: Wir sind alle Isländer. Von Lust und Frust, in der Krise zu sein, Dt. Bearbeitung Regina Kammerer, btb-Verlag, München, 192 Seiten, 14,95 €, ISBN: 978-3442752485