Maria Langanke

,Hier ist Maria von Ikea‘

Auch das zieht sie durch. Maria Langanke, 23, leitet die Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung bei Ikea, mit 40 JAVen die größte in Deutschland. Ein hartes Stück Arbeit

Nach der Schule beginnt Maria Langanke mit 16 eine Ausbildung zur Gestalterin für visuelles Marketing bei Ikea in Berlin-Spandau. Im zweiten Ausbildungsjahr kandidiert sie für die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV). Ende 2010 wird sie zur Vorsitzenden der Gesamt- JAV gewählt, ist seitdem freigestellt und zuständig für 40 JAVen. Sie leitet die größte Gesamt-JAV in Deutschland, engagiert sich in der Soko Jugend im Handel und vertritt ihre Branche im ver.di-Bundesjugendvorstand.

Von Michaela Böhm

Was für ein Tag. Der Fotograf, der die Fotos von Maria macht, hält sie auf, sie kommt zu spät zur Sitzung, mit dem Koffer im Schlepptau und einem Teller in der Hand. Weil keine Zeit war, das Hotelzimmer zu beziehen, und keine Zeit zu essen. Wie ihr das gegen den Strich geht. Reinplatzen, zu spät kommen. Zum Glück leitet sie die Sitzung nicht.

Die anderen acht aus der Arbeitsgruppe sind schon mittendrin, die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Ausbildung bei Ikea zu diskutieren. Denn die Ausbildung ist mal gut, mal schlecht, je nach Einrichtungshaus. Mal dürfen die Auszubildenden lernen, mal sind sie allein auf sich gestellt. "Die Ausbildung bei Ikea soll überall eine gleich hohe Qualität haben und dazu brauchen wir eine Gesamtbetriebsvereinbarung", erklärt Maria. Es wird ein hartes Stück Arbeit. Ikea sagt gern: "Ja, aber klar", nur unterschreiben will das Management am liebsten nichts.

Das wird jetzt so gemacht

Kerzengerade sitzt sie da, hört zu, nickt, kaut auf dem Stift, während der Text der Betriebsvereinbarung - an die Wand gebeamt - zum schwindlig Werden rauf- und runtergescrollt wird. "Ich lese vor, damit jeder weiß, über welchen Passus wir diskutieren." Das war kein Vorschlag, das wird jetzt so gemacht. Und: "Die Punkte, die ausformuliert sind, sind safe." Also gesetzt, bitte nicht umwerfen, wir müssen weiterkommen.

Maria ist effizient, strukturiert, sie könnte mit geschlossenen Augen auf den Platz tippen, wo das Nähset in ihrem Koffer liegt. Unordnung stört. Selbst ihre Sätze sind aufgeräumt, unmissverständlich, präzise. Und wenn kurz vor Ende der Sitzung die Konzentration bei der Arbeitsgruppe flöten geht, dann ist sie es, die dazwischen geht: "Ihr könnt später überlegen, was ihr nach dem Essen unternehmt." Das klingt streng. "Ja, vielleicht wird man so, wenn man 40 JAVen begleitet."

Einen Plan B gibt's immer

Maria wuchs in Breitungen auf, einem Dorf, das sich das größte im Werratal nennt, wo Höfe in der Landschaft herumliegen, die Knollbach, Grumbach und Bußhof heißen. Ein Dorfleben. Die Mutter will es so, sie ist dort verwurzelt, das ist ihr Leben, übervoll mit Arbeit und dem Großziehen von zwei Töchtern. Ein Ausflug in ein anderes Dorf, "das war für uns schon ein Ereignis", sagt Maria.

Mit 16 verlässt Maria Breitungen. Blick nach vorn, nie zurück. Sie will Gestalterin für visuelles Marketing lernen, was früher Schauwerbegestalter hieß und noch früher Dekorateurin. Und nur das. Einen Plan B gibt es zwar, den gibt es bei Maria immer, aber der hat keine Chance auf Einsatz. Sie zieht nach Berlin, die Hauptstadt, die sie zunächst erschreckt, "zu groß, zu laut und so viele Menschen". Sie kennt keinen, keiner kennt sie. Aber sie hat sich entschieden: Ausbildung, Umzug, "ich zieh das durch". Noch heute bewundert ihre Mutter sie dafür, mit 16 allein den Sprung geschafft zu haben.

Irgendwo dazwischen muss es passiert sein. Zwischen Dorfleben und Großstadt, zwischen einer Jugend in Breitungen und einer Jugendvertreterin, die quer durch die Republik unterwegs ist, sich auf Seminaren qualifiziert, in der Soko "Jugend im Handel" mitmischt, Strategien mit ver.di-Bundesvorstandsmitgliedern abspricht und Power-Point-Präsentationen über die Erfolge der GJAV von Ikea an die Wand wirft.

Die Maria aus Thüringen hatte lange braune Haare, war unauffällig gekleidet, ist schnell rot geworden und hatte mit Gewerkschaft nichts am Hut. "Was war ich eine graue Maus", sagt sie heute und schaut noch einmal der Maria von damals hinterher. Schüttelt den Kopf. Heute: knabenhaft, blondiert, Bubikopf, im Garçonne-Stil der 20er Jahre. Die Haare wurden kürzer, heller, die junge Frau selbstbewusster. Die liest und liest und kniet sich in Gesetze und Beschlüsse. Wenn sie sich zu Wort meldet, soll es gut sein, richtig, sachkundig. "Aber ich muss auch nicht mehr alles und sofort wissen." Zu ver.di kam sie spät, da hatte sie ihre Ausbildung schon beendet und war bereits JAV-Vorsitzende in Berlin-Spandau, aber "seitdem startet sie durch", sagt der Fachbereichsjugendsekretär für den Handel, Stefan Najda.

Wie ist das als Jugendvertreterin in einem Unternehmen zu agieren, das ein so verflixt gutes Image hat? In dem freundlichen Möbelhaus mit den lustigen Werbesprüchen, den drolligen Namen für Sofas, wo man Hackfleischbällchen Köttbullar nennt und sich kuschelig fühlt wie in Astrid Lindgrens Bullerbü?

Aufgebaut wird alles selbst

"Das ist mir doch auch so ergangen." Die 16-jährige Maria setzt zum Auswahltag in Berlin-Spandau erstmals einen Fuß in ein Einrichtungshaus der weltweit größten Möbelkette und hat sich "sofort zu Hause gefühlt". In der Familie mit Duz-Kultur. Wo den Deutschlandchef niemand Herr Betzel nennt, sondern Peter. Und sich die Jugendvertreterin am Telefon meldet mit "Hier ist Maria von Ikea". Die auch ihre Wohnung ganz im Ikea-Stil eingerichtet hat, "alles selbst aufgebaut"!

Doch das Image von Ikea hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Wenig schwedisch-egalitär, sondern global-egal, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel kürzlich schrieb. Was nicht nur das Design betrifft. Die Liste der Dinge, die das Image von Ikea schwer ankratzen müsste, ist lang: eine verschachtelte Konzernstruktur aus Firmen und Stiftungen, Töchtern und Holdings, gern in Steuerparadiesen, in dem die Milliarden laut Spiegel hin- und hergeschoben werden. Aktive Gewerkschafter bei Ikea in der Türkei werden gefeuert, andere unter Druck gesetzt, aus der Gewerkschaft auszutreten. In der DDR ließ das freundliche Möbelhaus seine Regale von Häftlingen zimmern, was es nun bedauert. In Walldorf sollte die Betriebsratsvorsitzende rausfliegen, weil sie sich in Medien über Zustände bei Ikea geäußert hatte.

Und die sehen so aus: Ikea zielt auf eine Teilzeitquote von über 50 Prozent. Wer nicht freiwillig reduziert, dem "wird so lange wegen seiner angeblich schlechten Arbeitsleistung zugesetzt", bis er nachgibt, sagt Stefan Najda. Die Ausbildungsquote liegt bei rund drei Prozent und ist damit bis zu drei Viertel geringer als in anderen Handelsunternehmen. Und es hat nicht nur viel Druck gebraucht, dass Ikea nach 35 Jahren endlich tarifgebunden ist, sondern Proteste und ein Gerichtsurteil, damit auch unter 30-Jährige 30 Tage Urlaub erhalten.

So ist das eben in der Ikea-Familie: Zu Weihnachten gibt's Nordic-Walking-Stöcke für die Kinder, damit sie sich viel in der frischen Luft bewegen, und 700 Euro Sonderzahlung für alle, die mindestens ein Jahr beschäftigt sind. Das Seminar für die GJAV hat Papa Ikea aber abgelehnt. So was kann Maria schon mal die Tränen in die Augen treiben. Dann ist der Frust einfach groß.

Hand aufs Herz

In zwei Jahren ist Schluss mit der JAV-Arbeit. Und dann? "Ich habe noch keinen Plan, wie es weitergehen soll", sagt Maria. Wenn sie sich für einen Weg entscheidet, will sie sicher sein, das Richtige zu tun. Und - sie legt die Hand aufs Herz - wirklich dahinter stehen. Und schon mal einen Plan basteln, wie sie ans Ziel kommt.

"Das Image von Ikea stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein"