Die Regierung in Sofia ist nach heftigen Protesten zurückgetreten, doch die empörten Bürger/innen gehen nicht nach Hause. Letzter Auslöser der spontanen Unruhen waren die hohen Stromrechnungen, die große Teile der Bevölkerung nicht mehr bezahlen können.

Die Ursachen sitzen jedoch tiefer. Das ärmste Land in der EU wurde jahrelang von einer politischen Klasse regiert, die zwei Ziele verfolgte: die Selbstbereicherung und die Privatisierung sämtlicher Ressourcen. Die Bulgaren protestieren gegen ein System, in dem korrupte Politiker ausländischen Unternehmen Monopolprivilegien gewähren, unter dem Applaus der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds und zu Lasten der Bürger. Vor den vorgezogenen Parlamentswahlen, die am 12. Mai stattfinden sollen, fordern die Demonstrierenden mehr Bürgerbeteiligung und eine radikale Erneuerung des Regierungsstils.

Auch Aleksandar Duntschew ist wieder auf die Straße gegangen, es ist der 25. Tag in Folge. "Eine warme Wohnung ist für viele unbezahlbar geworden. Wir haben von Monopolen und Korruption die Nase voll", sagt der junge Aktivist, der sich seit langem für Umweltschutz und gegen umstrittene Bauprojekte engagiert und sich jetzt der neuen Protestbewegung angeschlossen hat.

Geheime Privatisierung

Drei Unternehmen haben in Bulgarien die Energieversorgung übernommen. Sie teilen das Land unter sich auf und genießen in ihrer jeweiligen Region Monopolstellung. Alle drei gehören österreichischen und tschechischen Konzernen. Die Privatisierung der bis in die 90er Jahre öffentlichen Energieversorgung verlief wenig transparent, die Privatisierungsverträge sind bis heute geheim. Entsprechend gering ist der Spielraum der Regierung, Stromunternehmen und -preise zu kontrollieren. Die Konzerne diktieren praktisch selbst ihre Bedingungen, sagen die Bulgaren.

Unter dem Druck der weltweit steigenden Öl- und Gaspreise und der Einführung einer Umlage zu Gunsten der erneuerbaren Energien, die auf europäischer Ebene beschlossen wurde, sind zwar die Strompreise überall in der EU gestiegen, doch die Steigerung war hier besonders hoch. Sie betrug 2012 fast 15 Prozent. Mit neun Cent pro Kilowattstunde kostet Strom in Bulgarien ein Drittel von dem, was ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland zahlt. Doch der durchschnittliche Monatslohn liegt bei umgerechnet knapp 350 Euro.

Seit 2009 wurde Bulgarien vom wirtschaftsliberalen Kabinett Bojko Borissows regiert. Der ehemalige Leibwächter verkörpert ein Machtsystem, das kaum noch demokratisch legitimiert ist. Trotz der Wahlkampfversprechungen bleiben Korruption und organisierte Kriminalität ein massives Problem.

Finanzminister Simeon Djankow hat die zentrale Rolle beim rigorosen bulgarischen Sparkurs der letzten Jahre gespielt. Eine Flat-Steuer von nur zehn Prozent auf alle Einkommen und Unternehmensprofite wurde eingeführt, damit der Standort Bulgarien attraktiv für ausländische Investoren wird. Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor wurden gekürzt, Stellen und Sozialleistungen gestrichen. Djankows Bemerkungen über die "Nichtstuer" im öffentlichen Dienst oder bei der Akademie der Wissenschaft sorgten für eine starke Polarisierung.

Seit Februar zeigen nun immer mehr Bürger/innen auch in kleineren Städten ihren Unmut. Am 3. März, dem Nationalfeiertag des Landes, gingen mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Auch Wesselin Mitow von Podkrepa, dem zweitgrößten Gewerkschaftsverband im Land, war dabei. "Die optimistische Grundeinstellung, dass die osteuropäischen Länder eher früher als später die gewaltigen Wohlstandsunterschiede zu Westeuropa aufholen werden, ist nach 20 Jahren zwar noch da, aber sie ist inzwischen erschüttert", sagt er. Die Gewerkschaften fordern einen Privatisierungsstopp, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die bei über zehn Prozent liegt, und bessere Löhne. Silviu Mihai