Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand

Das moralische Urteil über den Sportfunktionär und Würschtel-Fabrikanten Uli Hoeneß stand schon vor dem großen Münchner Prozess fest: Wer im großen Stil Steuern hinterzieht, verhält sich asozial. In Zeiten leerer Staatskassen werten neuerdings immer weniger Bürgerinnen und Bürger Steuerbetrug als Kavaliersdelikt. Die Oberschichtenkriminalität verursacht durchlöcherte Straßen, gesperrte Brücken, geschlossene Bibliotheken und fehlende Kita-Plätze.

Früher rechtfertigten die Zumwinkel, Becker & Co. ihr millionenschweres Steuerversteckspiel als legitime Selbstverteidigung gegen den Räuber Staat. Heute tragen Hoeneß, Sommer und Schwarzer keinen schwarzen Gürtel mehr, sondern das Büßegewand. Die Zahl der Steuerselbstanzeigen hat sich im letzten Jahr verdreifacht. Die späte Reue der selbst ernannten Eliten ist aber nicht Ausdruck ihrer geistig-moralischen Umkehr. Vielmehr sorgt ein reger Handel mit Steuer-CDs dafür, dass es heute wahrscheinlicher geworden ist, beim Steuerdiebstahl erwischt zu werden.

Trotzdem haben Betrüger noch immer leichtes Spiel. Deutschland ist nicht nur wegen seiner niedrigen Steuersätze auf Gewinne und Vermögen eine Steueroase. Jedes Jahr prellen kriminelle Steuerhinterzieher die Allgemeinheit um 30 Milliarden Euro. Der größte Schaden entsteht durch die unzureichende Anwendung der Gesetze. Die Finanzverwaltung leidet unter akuter Personalnot und Mittelkürzungen. In den Steuerverwaltungen der Länder fehlen rund 11.000 Beschäftigte. Zudem kürzen die Schatzmeister wegen leerer Kassen und Schuldenbremse auch beim Steuervollzug. Und das, obwohl Steuerfahnder und Betriebsprüfer mehr hereinholen als sie kosten. Doch damit nicht genug. Steuerfahnder und Steuerprüfer können sich nicht über Ländergrenzen hinweg austauschen. Jedes Bundesland hat eigene Strukturen, unterschiedliche Standards, EDV-Systeme und Software. Das organisierte Chaos in der deutschen Steuerverwaltung sorgt für ein Milliardengrab. Schuld daran sind nicht zuletzt Landesfürsten, die mit laxer Steuerpraxis Standortpolitik betreiben.

Der mangelhafte Steuervollzug freut Spitzenverdiener, Unternehmer, Freiberufler und Immobilienbesitzer. Sie können ihre Einkünfte kleinrechnen. Täuschen und tricksen lohnt sich. Schließlich haben die Finanzbehörden weder Zeit noch Personal, um Steuererklärungen genau zu kontrollieren. Der Steuerprüfer klingelt nur noch an der Tür jedes siebten Einkommensmillionärs. In Seehofers Freistaat bekommen mittelständische Unternehmen nur alle 20 Jahre Besuch vom Finanzamt.

Abhängig Beschäftigte hingegen sind gläserne Steuerzahler. Ihre Lohnsteuer überweisen die Betriebe direkt an den Fiskus. Viele Arbeitnehmer/innen zahlen sogar zu viel, da sie ihre kleinen steuerlichen Gestaltungsspielräume kaum nutzen. Kurzum: In unserem Zwei-Klassen-Steuersystem ist Steuerbetrug kein Volkssport, sondern das exklusive Fitnessprogramm für den Geldadel.

Erschwerend kommt hinzu, dass Vermögende weiterhin die Fluchtburgen der internationalen Steueroasen nutzen können. Zwar können Steuerdiebe ihr Geld nicht mehr ohne Risiko im Ausland verstecken. Steuer-CDs, EU-Zinsrichtlinie und ein gelockertes Bankgeheimnis helfen den Fahndern bei der Spurensuche. Es gibt jedoch bis heute keinen internationaler Datenaustausch zwischen Banken und Steuerbehörden.

Daher ist die Politik am Zug. Merkel und Gabriel haben in ihrem Ehevertrag festgeschrieben, dass sie Steuerbetrügern das Handwerk legen wollen. Nun sind Taten gefragt. Als erstes müsste die Steuerverwaltung mehr Personal und Mittel bekommen. Zudem könnten bundeseinheitliche Standards und eine einheitliche EDV-Ermittlungsplattform die ineffiziente Kleinstaaterei beim Steuervollzug überwinden. Ferner muss die strafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft werden. Für schwere Fälle von Steuerhinterziehung sollte es künftig Mindeststrafen geben. Das reicht aber nicht aus. Banken, die wiederholt Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten, muss die Lizenz entzogen werden. All das kann die schwarz-rote Bundesregierung schon morgen anpacken.

Die Merkel-Regierung muss aber auch international tätig werden. Um Steueroasen auszutrocknen, brauchen wir einen automatischen grenzüberschreitenden Datenaustausch zwischen Banken und Steuerbehörden für alle Kapitalerträge und Vermögensanlagen. Stiftungen, Trusts und ähnliche Konstruktionen sollten gezwungen werden, offenzulegen, wer von ihnen wirtschaftlich profitiert. Und Länder mit Steueroasen sollten wirtschaftlich sanktioniert werden.

Erst wenn Steuerbetrug sich nicht mehr rechnet, gilt wieder ein alter Sinnspruch von Klartext-Redner Hoeneß: "Es ist doch unklug, so was zu machen. Es kommt doch immer alles raus."

Mehr Personal und Mittel für die Steuerverwaltung und bundeseinheitliche Standards beim Steuervollzug