Ziegel-Produktion per Hand in Afghanistan - weltweit arbeiten hunderte Millionen Menschen ohne jeglichen Schutz und ohne Rechte

von Werner Rügemer

Am 7. und 8. Juni versammeln sich wieder die mächtigsten Politiker der westlichen Welt. Ihr jährliches G7-Gipfeltreffen findet diesmal in der Idylle des Schlosses Elmau in Bayern statt, 1008 Meter hoch am Fuß des Wettersteingebirges. Neue Straßen werden gebaut, Hochsicherheitszäune errichtet und Internetkabel verlegt. Insgesamt 15.000 Polizisten sollen rund um das einsame Luxus-Hotel eingesetzt werden, um gewöhnliche und meinungsfreudige Menschen weiträumig unten in den Tälern zu halten.

Die deutsche Bundeskanzlerin ist Gastgeberin und Präsidentin des Gipfels. Sie hat den anderen Politikern aus Japan, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Italien und den USA ein besonderes Thema vorgeschlagen. Ein Thema, das in diesem Kreis noch nie behandelt wurde: sichere und gesunde Arbeit. Die G7-Staaten sollen sogar zu Vorreitern werden, um weltweit "verbindliche Arbeitsstandards einzuführen und einzuhalten", so Angela Merkel. Sie beschwört die gefährlichen, auch tödlichen Arbeitsbedingungen am Anfang der Lieferkette für deutsche Textilkonzerne, verweist darauf, dass beim Einsturz einer Fabrik mehr als 1100 Menschen getötet wurden: "Muss es erst zu solchen dramatischen Ereignissen wie in Bangladesch kommen, wo das Fabrikgebäude Rana Plaza einstürzte, damit endlich mehr Wert auf vernünftige Arbeitsbedingungen gelegt wird?"

Mehr Betriebsfeuerwehren

Gesetze möchte die Bundeskanzlerin dafür aber lieber nicht. Auch die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erwähnt sie nicht. Die Unternehmen sollen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern selbst und freiwillig sorgen. Merkel spricht auch ausschließlich von Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit: Es soll weniger Unfälle und berufsbedingte Krankheiten geben. Es sollen mehr Betriebsfeuerwehren her, Unfallversicherungen sollen aufgebaut werden. Gewerkschaften sollen dazu Vereinbarungen mit den Unternehmensführungen treffen. Von höheren Löhnen spricht die deutsche Regierungschefin gar nicht erst, auch nicht von anderen Arbeits- und Gewerkschaftsrechten, schon gar nicht von kollektiven Lohnverträgen und dem Streikrecht.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO, seit 1946 eine Unterorganisation der Vereinten Nationen (UN), hat die Aufgabe, die Allgemeinen Menschenrechte auf dem Gebiet der Arbeit zu konkretisieren, zu aktualisieren und ihre Einhaltung zu überwachen. Die 185 ILO-Mitgliedsstaaten haben im Laufe der Zeit 177 Normen festgelegt. Diese Welt-Tribüne der Arbeit ist den G7-Regierungen aber zunehmend unangenehm geworden, insbesondere den USA.

Europa ist besser - auf dem Papier

Sie erkennen die wichtigsten ILO-Kernnormen bis heute nicht an: die Freiheit der Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu bilden und kollektive Tarifverträge abzuschließen. Von den 165 "technischen" Normen haben die USA nur neun anerkannt, also 157 nicht, darunter solche, die für die Arbeitssicherheit und die Gesundheit entscheidend sind: Normen zu Nachtarbeit, Unfall- und Invaliditätsversicherung, Kündigungs- und Mutterschutz, bezahltem Urlaub, sozialer Sicherheit, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, zum Schutz vor Giftstoffen und Strahlung, zum Mindestalter für ein Arbeitsverhältnis, zur Sicherheit am Bau, zu medizinischen Untersuchungen für junge Beschäftigte, zum Schutz von Migranten, zu den Rechten bei Insolvenz von Unternehmen, zur Leih- und zur Heimarbeit und vielem mehr. Auf all das besteht in den USA für die abhängig Beschäftigten kein Anspruch. Kaum anders ist es bei den mit den USA eng verbundenen G7-Staaten Japan und Kanada.

In den europäischen G7-Ländern sieht es auf dem Papier besser aus: Frankreich hat 79 der 177 ILO-Normen ratifiziert, Großbritannien 76, Italien 75, Deutschland 73. Aber das ist eher der Abglanz aus besseren Zeiten vor der "Globalisierung". Europäische Kommission, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Europäische Zentralbank (EZB) sind Vorreiter der Niedriglöhnerei und des Abbaus von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten in der Europäischen Union. Die EU hat auch die Intervention von Polizeikräften für "jede Situation" legitimiert, "die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann" - das kann auch Streiks betreffen.

Italiens Regierung unter Matteo Renzi hat im "Jobs Act" (wie das Arbeitsgesetz von 2015 auf Neu-Italienisch heißt) den gesetzlichen Schutz vor willkürlichen Kündigungen weitgehend aufgehoben und vertragslose, stundenweise Tagelöhnerei eingeführt. In Großbritannien werden Beschäftigte in "zero hour contracts" gezwängt, in denen keine verbindliche Stundenzahl genannt wird, nach denen sie auf Zuruf zur Arbeit kommen müssen bzw. dürfen. Die französische Regierung von François Hollande nimmt sich die deutsche Agenda 2010 zum Vorbild und heizt das europaweite Lohndumping weiter an.

Da wollen also die sprichwörtlichen Böcke Gärtner spielen, wenn sich die sieben führenden kapitalistischen Staaten zu Vorreitern bei der Gestaltung besserer Arbeitsstandards aufschwingen, auch wenn die Bundeskanzlerin zu Recht meint, Arbeitnehmer müssten "ihre Rechte einfordern können, ohne dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren". Sie hat dabei nur die "Lieferstaaten" wie Bangladesch im Blick, denn wie sieht es mit diesem Recht in den G7-Staaten aus?

Die Beschäftigten des VW-Werks von Chattanooga (Tennessee /USA) wurden mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen bedroht, sodass sie die Wahl einer Belegschaftsvertretung mehrheitlich ablehnten. Wie viele Arbeitnehmer/innen verzichten in Deutschland aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, auf Überlastungsanzeigen, auf die Bezahlung von Überstunden oder ihr Recht, einen Betriebsrat zu wählen? Der Deutsche-Post-Konzern mit dem Hauptaktionär Staat erpresst gegenwärtig tausende befristet angestellte Beschäftigte mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, falls sie nicht niedrigeren Löhnen in der neu gegründeten Logistik-Tochter Delivery zustimmen. Und die Bundesregierung will gerade jetzt durch das "Tarifeinheitsgesetz" kämpferisches Gewerkschaftshandeln behindern.

Raus aus der "ILO-Zwangsjacke"

Die G7-Regierungen wollen raus aus den ILO-Standards. Da ist es besonders unglaubwürdig, wenn die Bundeskanzlerin ausgerechnet das Abkommen TTIP lobt: "Ich glaube, ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika könnte sehr hohe Standards für andere Abkommen setzen." Das Gegenteil ist richtig: Nicht das von den G7 weltweit forcierte Lohn- und Arbeitsrechts-Dumping führt zur Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrisen, sondern die Erhöhung der Arbeitseinkommen und die Verbesserung des Arbeitsrechts, und zwar überall.

Beschäftigte von Walmart, dem größten Einzelhandelskonzern der westlichen Welt mit 1,3 Millionen Beschäftigten in den USA, haben in diesem Jahr die Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 9 US-Dollar pro Stunde erzwungen - durch vielfältige Streiks. Sie haben das geschafft, was der mächtigste der G7-Politiker nicht geschafft hat: US-Präsident Barack Obama kann oder will den Uralt-Mindestlohn von 7,25 Dollar nicht erhöhen. Glückwunsch an die streikenden Kolleginnen und Kollegen in Los Angeles und Chicago. So geht das! Übrigens: Die eigentliche Forderung hatte gelautet: 15 Dollar. Das ist die richtige Richtung.

Forderungen an den G7-Gipfel

Anlässlich der G7-Ratspräsidentschaft Deutschlands haben die Gewerkschaften der G7-Staaten, der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und die TUAC, das gewerkschaftliche Beratungskomitee bei der OECD, einen Forderungskatalog vorgelegt: "Globale Lieferketten und menschenwürdige Arbeit". Dazu gehören der Stopp von Zwangsarbeit und die Garantie von Mindestlöhnen. www.dgb.de/-/4eV

Streikrecht in Spanien bedroht

Gegen die Beschneidung des Streikrechts in Spanien durch die Drohung mit hohen Freiheitsstrafen hat der internationale Gewerkschaftsverband "UNI global union" dazu aufgefordert, sich mit Protestbriefen an Ministerpräsident Mariano Rajoy solidarisch an die Seite der spanischen Gewerkschaften CCOO und UGT zu stellen. www.uniregister.org/?page_id=189

Globale Rechte im Online-Kurs

Ab 1. Juni bietet die Global Labour University einen kostenlosen sechswöchigen Online-Kurs zu Arbeitnehmerrechten in der globalen Wirtschaft an. Die Teilnehmenden erhalten einen Überblick über Theorie und Praxis von Arbeitnehmerrechten weltweit. www.bit.ly/Workers_Rights