Fast vier Jahrzehnte lang ist der Bremer Menschenrechtler, Publizist und Rechtsanwalt Rolf Gössner vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet worden - zu Unrecht, wie jetzt das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster festgestellt hat. Die Richter bestätigten damit ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln von 2011. Das BfV kann aber noch in Revision gehen.

Der parteilose 70-Jährige ist Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und Autor geheimdienstkritischer Bücher und Aufsätze. Bereits 1970, während Gössners Jurastudiums, begann das BfV, Daten über seine Aktivitäten zu sammeln. So entstand bis 2008 eine über 2.000 Seiten dicke Personenakte. Gössner erfuhr davon 1996 durch ein eigenes Auskunftsersuchen beim Kölner BfV. Die Beobachtung endete 2008 kurz vor dem erstinstanzlichen Prozess am Verwaltungsgericht Köln, den er ebenso gewann wie jetzt die Berufungsverhandlung.

Ideologisch verbissen

In seiner Akte fanden sich vor allem Gastbeiträge und Interviews in linken Medien sowie Vermerke über Auftritte bei der DKP, bei der Vereinigung der Nazi-Verfolgten oder bei der "Roten Hilfe". Im Gerichtsverfahren begründete das BfV die Dauerbeobachtung mit "tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeind- liche Bestrebungen" Gössners oder für seine "Unterstützung solcher Bestrebungen". Er sei für den SHB ("Sozialdemokratischer Hochschulbund", später "Sozialistischer Hochschulbund") tätig gewesen, habe in der Redaktion der geheimdienstkritischen Zeitschrift Geheim mitgearbeitet und die DKP sowie ihr nahestehende Organisationen unterstützt, so die Vorwürfe laut einer OVG-Mitteilung.

Doch anders als die Verfassungsschützer sahen die Richter keine konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, weder bei Gössner selbst noch beim SHB oder der Zeitschrift Geheim. Soweit er in DKP-Kreisen aktiv gewesen sei, fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass er diese Organisationen als solche oder deren verfassungsfeindliche Ziele "nachdrücklich unterstützt" habe. Außerdem sei die Beobachtung "angesichts der mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffe auch unverhältnismäßig gewesen", urteilte das OVG. Gössner hält es für "mehr als schockierend, mit welcher ideologischen Verbissenheit und Ausdauer" er beobachtet worden sei, während sich Neonazis "fast unbehelligt entwickeln und ihre Blutspur durch die Republik ziehen konnten". Eckhard Stengel

Aktenzeichen 16 A 906 / 11