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Digital gestützte Schutzbrille – vieles ist heute technisch machbar und einiges auch sinnvollFoto: Daniel Reinhardt/dpa

Die Coronakrise hat gezeigt, welchen Stellenwert die Digitalisierung im Arbeitsalltag bereits hat. Wer in der Lage war, vom heimischen Computer aufs Firmennetzwerk zuzugreifen und sich in Videokonferenzen mit den Teampartner*innen austauschen konnte, erlebte weniger starke Veränderungen der Arbeitsvorgänge. Wichtig ist das Thema Qualifizierung und Weiterbildung im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Matthias Lindner vom ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit hat zu diesem Thema im Projekt TransWork gearbeitet.

ver.di publik: Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Wie sollte ver.di mit der Digitalisierung umgehen?

Matthias Lindner: Zunächst einmal werden wir diese Entwicklung nicht aufhalten können und wollen. Aber wir sollten als Gewerkschaft unseren Einfluss geltend machen. Denn technisch Machbares ist für Beschäftigte nicht automatisch sinnvoll und unterstützenswert. Ein bekanntes Negativbeispiel sind die digitalen Armbänder für Packer*innen beim Onlineversandhändler Amazon, mit denen jeder Handschlag und jede kurze Pause registriert werden. Auch Zalando hat die Arbeitsplätze in den Logistikzentren mit mobilen Datenspeichern ausgestattet, was wir ebenfalls kritisieren. Hier geht es um Kontrolle und Leistungsverdichtung. Andererseits gibt es Arbeitsbereiche, in denen Digitalisierung nützt. In der mobilen Kranken- und Altenpflege können beispielsweise Apps und digitale Assistenzsysteme sowohl bei der Arbeitsplanung, der Übergabe bei Schichtwechsel, der Leistungsdokumentation und auch beim Wissensaustausch helfen, wenn sie unter Beteiligung der Beschäftigten gut gestaltet werden.

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Matthias LindnerFoto: Renate Kossmann

ver.di publik: Welche Beschäftigten profitieren am meisten von Weiterbildungs- und Qualifizierungsangeboten im Bereich der Digitalisierung?

Lindner: Bisher sind das vor allem die Höherqualifizierten und Beschäftigte in anspruchsvollen Tätigkeiten. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit hohem Bildungsabschluss am häufigsten Weiterbildungsangebote nutzen. Umso wichtiger ist es, dass das Augenmerk verstärkt den Beschäftigten in einfacheren Tätigkeiten gilt: Kassierer*innen im Einzelhandel müssen für neue Aufgaben qualifiziert werden, wenn künftig vermehrt Selbstscan-Kassen installiert werden. Mitarbeiter*innen in Callcentern sollten für anspruchsvolle, individuelle Anfragen weitergebildet werden, wenn Künstliche Intelligenz zunehmend die Routinefragen abarbeitet. Spezielle Weiterbildungsangebote muss es auch für ältere Beschäftigte geben – mit speziellen Lernkonzepten. Nicht zuletzt sollen diejenigen durch passende betriebs- und tarifvertragliche Regelungen geschützt werden, die nicht mehr umqualifiziert werden können – etwa weil ihre Tätigkeiten vollständig wegfallen oder ihnen individuell die Voraussetzungen fehlen.

ver.di publik: Digitalisierung bedeutet auch Rationalisierung. Wird Qualifizierung helfen, den damit verbundenen Arbeitsplatzverlust aufzuhalten?

Lindner: Sie ist jedenfalls ein sehr wichtiges Element. Grundsätzlich gehen Expert*innen nicht zwingend davon aus, dass massenhaft Arbeitsplätze wegfallen. Vielmehr ist mit einer Veränderung der Tätigkeiten und der Aufgaben zu rechnen. Damit Beschäftigte diesen Wandel bewältigen können, brauchen sie eben Weiterbildung. Daneben ist aber auch die Politik gefragt, regulierend einzugreifen, etwa ein Bundesgesetz zur Weiterbildung, ein Recht auf Arbeitsförderung sowie einen effektiven Rationalisierungsschutz auf den Weg zu bringen. Und es ist wichtig, frühzeitig zu handeln, nicht erst, wenn Arbeitsplätze durch die Digitalisierung bedroht sind. Wie im erwähnten Beispiel der Kassiererin sollte sie eine Weiterbildung erhalten, bevor ihr Arbeitsplatz wegfällt.

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ver.di publik: Wie sollte ein Bundesgesetz zur Weiterbildung aussehen?

Lindner: Es sollte einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung enthalten, garantierte Lernzeiten, eine sichere Finanzierung, passende Beratung und qualitativ hochwertige Angebote. ver.di macht sich für ein Recht auf staatlich geförderte Bildungsteilzeit stark – analog dem Modell der geförderten Altersteilzeit. Berufsbegleitende Weiterbildung soll ohne schwerwiegende finanzielle Einbußen möglich sein. Am Ende profitieren alle von der geförderten Bildungsteilzeit, da die Beschäftigten neue, anspruchsvollere Aufgaben in der digitalen Arbeitswelt übernehmen können und die Arbeit- geber auf diese Weise hochmotivierte Mitarbeiter*innen behalten. Betriebliche Weiterbildung ist zuallererst eine Pflicht der Unternehmen. Eine Überlegung ist, sie über einen zentralen Fonds zu finanzieren, der sich aus einer Umlage von einem Prozent der Lohn- und Gehaltssumme speist.

ver.di publik: Wie soll die Qualität von Weiterbildungsangeboten gewährleistet werden?

Lindner: Dazu sollte aus Bundesmitteln ein flächendeckendes Netz regionaler Weiterbildungsberatungsstellen geschaffen werden. In den Betrieben muss es Weiterbildungsbeauftragte als Ansprechpartner für die Beschäftigten geben. Und schließlich benötigen wir als übergeordnete Regelungsinstanzen Weiterbildungsräte, die die vielfältigen Akteure in diesem Bereich koordinieren und mit ihnen kooperieren. In vielen Dienstleistungsbetrieben sind zudem Betriebsräte schon lange wichtige Akteure bei der konkreten Gestaltung der betrieblichen Weiterbildung. Tarifverträge und Dienst- sowie Betriebsvereinbarungen können einen sicheren und geregelten Rahmen für eine nachhaltige Weiterbildungskultur in den Unternehmen schaffen.

Interview: Gudrun Giese

Mehr erfahren:

Projekt TransWork – Transformation der Arbeit durch Digitalisierung:

www.transwork.de

www.verdi-gute-arbeit.de

Entwurf einer Betriebsvereinbarung zur Qualifizierung und Personalentwicklung:

boeckler.de/pdf/mbf_personal_bv.pdf