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Auf Facebook wurde dieses Jahr oft gefragt: "Was macht ihr eigentlich so den ganzen Tag auf einem Campingplatz?"Foto: Atack/The New York Times/Redux/laif

An einem Tag Anfang September schieben drei junge Frauen ihre Fahrräder in einen Waggon der Berliner S-Bahn. Prall gefüllte Packtaschen auf den Gepäckträgern, obenauf sind Schlafsäcke und Isomatten geschnallt. Es ist ihr erster Urlaub dieser Art. So ganz überzeugt wirken sie noch nicht. Allein die notwendigen Kleidungsstücke und sonstigen Sachen in dem begrenzten Packraum unterzubringen, habe sie vor Herausforderungen gestellt. Und davor stehen die jungen Frauen jetzt an jedem Morgen ihrer Urlaubswoche, denn sie wollen möglichst viel von Brandenburg erkunden, wechseln jeden Tag ihr Quartier. "Oh je", sagte eine von ihnen. "Ich habe gestern ewig gebraucht. Und wisst ihr, wo meine Socken sind? In der Kaffeetasse. Das spart Platz." Drei Stationen weiter müssen sie aussteigen. Der Anschlusszug wartet nicht, der Aufzug dorthin ist genau am anderen Gleis am Ende des Bahnsteigs… "Tschüss", "Viel Spaß", "Werden wir haben."

In diesem Jahr ist alles anders. Corona hat einiges durcheinander gewirbelt in diesem Jahr, auch Urlaubspläne. Einen anhaltenden Trend zu Fernreisen hatte die Stiftung für Zukunftsfragen Anfang des Jahres noch in ihrer Tourismusanalyse 2020 ausgemacht. Weitere 40 Prozent der Deutschen wollten ins europäische Ausland reisen, 25 Prozent planten den Haupturlaub im Heimatland.

Wenn Lockdown, dann Strand

Doch es kam ganz anders. Mitte März ging auch Deutschland in den Lockdown. Zuhause bleiben wurde zur obersten Maxime, an Reisen war vorerst nicht mehr zu denken, auch nicht innerhalb des Landes. Als erstes riegelte Schleswig-Holstein am 16. März rigoros seine Landesgrenzen ab. Vor allem die Küstengebiete waren am Wochenende zuvor von Tagesgästen überrannt worden, auf Sylt war mehr los als sonst zur Hauptsaison. Wenn schon Lockdown, dann am Strand.

Bei den Einheimischen wuchs hingegen die Angst, dass die vorhandenen Behandlungs-Kapazitäten in den Krankenhäusern nicht mehr reichen, wenn auch Gäste erkranken. Hinzu kam die Angst vor Ansteckung und Übertragung im Gedränge durch einen noch nicht näher erforschten Virus.

Und Angst herrschte nicht nur in Deutschlands Norden. Ihre Auswirkungen waren, wie der Virus, weltweit spürbar. Auch die Reaktionen waren ähnlich. Im Norden der britischen Insel ließ Schottland die Schotten runter, insbesondere die Highlands wurden von ruhesuchenden Engländer*innen bevölkert. Im stark von Corona betroffenen Norden Italiens erinnerten sich auf einmal viele an Verwandte im Süden des Landes, und und und... Bleibt zuhause, #stayhome, das galt in vielen Ländern.

Der Flugverkehr kam weltweit nahezu zum Erliegen, Reisen generell war in den meisten Ländern nicht mehr möglich, oft weder innerhalb des Landes noch ins Ausland, egal mit welchem Fahrzeug, egal ob dienstlich, zur Erholung oder aus privaten Gründen. Da wurde auch so manche Fernbeziehung auf eine harte Probe gestellt.

Was im März in Deutschland mit dem Blick auf die Osterferien im April meist noch klaglos hingenommen, storniert oder umgebucht wurde, steigerte sich spätestens ab April zu einer wachsenden Unruhe. Seit Mitte März spielte sich der Alltag vieler Familien meist nur zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ab – aber selbst der wurde häufig ins Homeoffice verlegt. Schulen und Kindertagesstätten blieben geschlossen. Soziale Kontakte waren kaum noch möglich, mancherorts wurde sogar darüber gestritten, ob das Lesen eines Buchs auf einer Parkbank noch zulässig sei.

Und jetzt sollte auch noch der Sommerurlaub ausfallen?

Im Mai, nach zwei Monaten des Lockdowns, kam es zu ersten Lockerungen. Reisen wurde wieder möglich. Vorsichtiges Reisen. Keine Gruppen, kein Ausland, dafür viel Abstand. Eine Reise durch mehrere Bundesländer zeigte noch im Sommer, wie unterschiedlich die Regelungen in einem föderalen Land sein können. Konnte hier im Restaurant auf eine Maske verzichtet werden, musste man sich nur ein paar Kilometer weiter, aber im nächsten Bundesland, in Pfeilrichtung zum lange vorreservierten Tisch bewegen. Mit Mund-Nasen-Schutz selbstverständlich. Verschiedene Bundesländer, unterschiedliche Zuständigkeiten, Hygienekonzepte, die hier so und dort anders von den jeweiligen Behörden akzeptiert wurden und das je nach örtlicher Gegebenheit auch mussten. All das sorgte für ein Gefühl der Unsicherheit bei den Reisenden.

Die Mutigen fliegen

Und führte zu Diskussionen. Kann man in diesem Jahr überhaupt verreisen? Und wenn ja: Wohin? Viele blieben zu Hause. Andere entschieden sich für Urlaub in Heimatnähe. Das Zuhause wurde zu einem scheinbar sicheren Hafen, den man im Fall der Fälle schnell wieder erreichen konnte. Einige trauten sich auch ins Ausland, häufig in das benachbarte, und berichteten den Daheimgebliebenen oft von leeren Stränden. Ganz Mutige stiegen in die Flieger, mit denen nach und nach ein bisschen Feriennormalität hergestellt werden sollte. Doch spätestens bei der Wiedereinreise erinnerten Corona-Tests an den Flughäfen an diesen anderen Sommer.

Immer wieder wurden – je nach Entwicklung von Ansteckungszahlen – neue Regionen zu Risikogebieten erklärt oder wieder von der Liste gestrichen. Flexibel musste man sein, kurzfristig entscheiden, Regionen und Reisemittel entdecken, die man bislang nicht auf dem Zettel gehabt hat.

Kein Wunder, dass eine Branche boomte. Der Caravaning Industrie Verband jubelte, die Branche steuere auf ein Rekordjahr zu. Über 70.000 Neuzulassungen in den ersten sieben Monaten 2020, ein Plus von 15 Prozent. Autarkie wurde zum Schlagwort. Da war die Unabhängigkeit, sein Nachtlager aufschlagen zu können, wo man möchte. Während alte Campinghasen angesichts von Fragen in einschlägigen Facebook-Foren wie "Was macht ihr eigentlich so den ganzen Tag auf einem Campingplatz?" auf ein schnelles Ende des Campingbooms – der übrigens auch schon in Vor-Corona-Zeiten klar zu erkennen war – hofften, stellte so mancher Neuling fest, dass auch dieser Traum von Freiheit auf Grenzen trifft.

Nicht selten waren Stell- und Campingplätze in diesem Sommer überfüllt, Anwohner*innen und Kommunen vom sogenannten Freistehen genervt. Gerade Orte an Küsten, Seen und in den Bergen, in bekannten Regionen, waren begehrt und ausgebucht, bei Campingplätzen ebenso wie bei Ferienwohnungen, Hotels oder Pensionen. Aber wo Licht ist, ist auch viel Schatten. Denn an anderen Orten waren noch viele Kapazitäten frei, nicht zuletzt deshalb, weil auch die Gäste aus dem Ausland fehlten. Deren Ausbleiben ließ vor allem den Städtetourismus leiden.

Aber auch Jugendherbergen und Hütten meldeten im Juni nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ein Minus von über 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Und noch längst sind nicht alle Häuser wieder geöffnet. Klassenfahrten, die im Herbst für Umsatz sorgen, finden häufig noch nicht statt.

Reiseführer "Reisewarnungen"

Wie es mit dem Reisen weitergeht, ist noch nicht absehbar. Bis Ende September warnt das Auswärtige Amt noch vor "nicht notwendigen, touristischen Reisen" ins Ausland. Ausgenommen davon sind die meisten EU-Länder und europäische Länder wie die Schweiz, Norwegen, Island, Lichtenstein und Großbritannien. Eine Bekannte, die Ende September doch noch den Jahresurlaub wagen möchte, sagte, ihr Reiseführer seien in diesem Jahr die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes. Was im Oktober kommt? Werden wir sehen. Im nächsten Jahr? Alles ist noch offen.

Und jammern hilft jedenfalls nicht. 16 Prozent der Deutschen konnten sich nach einer Erhebung bereits im Vorjahr keinen Urlaub leisten. Bei anhaltender Kurzarbeit und wachsender Arbeitslosigkeit wird noch bei einigen mehr der nächste Urlaub ausfallen. Gleichzeitig brauchen die Gastronomie und der Tourismus, die ebenso wichtig für die Wirtschaft im Land sind wie der Einzelhandel oder der Maschinenbau, Reisende aus dem In- und Ausland. Es ist das klassische Dilemma. Doch die Gesundheit geht vor. Und so bleibt nur, auch im Urlaub Abstand zu halten – und das natürlich nicht nur im Straßenverkehr.