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Gerade Gewerkschaften leben vom Miteinander und dem persönlichen Austausch der Beschäftigten. Doch unter Pandemie-Bedingungen ist die sonst übliche Ansprache der ver.di-Mitglieder in ihren Betrieben kaum möglich. Präsenztermine finden selten statt.

Natürlich bindet ver.di ihre Mitglieder auch während der Pandemie in gewerkschaftliche Prozesse wie Tarifbewegungen ein. Meist geschieht das über E-Mails, Messenger-Dienste wie Telegram und soziale Medien wie Twitter, Instagram und Facebook. Das war auch schon vor Corona so. Doch die Pandemie gibt der digitalen Transformation der Gewerkschaften nun einen zusätzlichen Push. Das sagt auch Walter Ganz vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.

Eine der größten Herausforderungen, so Ganz, sei dabei alternative Formen für die Zusammenarbeit von hauptamtlichen Gewerkschaftsekretär*innen, Ehrenamt- lichen und ver.di-Mitgliedern im virtuellen Raum zu finden. "Gewerkschaften müssen sich darauf einstellen, dass ihre Mitglieder den Bedarf nach Unterstützung zunehmend digital über das Smartphone oder Tablet stillen wollen." Es sei wichtig, die Mitglieder auf ihren Endgeräten zu erreichen. "Dabei geht es auch um Mitgliederbindung und -Motivation", so Ganz, der den Fachbereich Kompetenz-Management am IAO leitet. Mit der neuen Online-Plattform "meine ver.di", auf der alle digitalen Services zusammenlaufen, ist ver.di einen großen Schritt in diese Richtung gegangen. Denn hier stehen den Mitgliedern auch Gruppenplattformen zur gemeinsamen Arbeit und Diskussion zur Verfügung.

Forschung: Digitallabor

Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut IAO und weiteren Partnern geht ver.di jedoch noch einen Schritt weiter und hat das "DigiLab NPO" ins Leben gerufen. Das Digitallabor für Non-Profit-Organisationen beschäftigt sich mit der Frage, welche zusätzlichen digitalen Tools ver.di benötigt, um das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder virtuell zu unterstützen. Darüber hinaus nimmt das DigiLab NPO auch das digitale Organisationshandeln in den Blick. Ziel des Projektes ist es, die Arbeits-Prozesse innerhalb von Gewerkschaften und NPO's mit Hilfe digitaler Technik zu optimieren und Prototypen für das kollaborative Arbeiten zu entwickeln.

Damit diese digitalen Tools auch den Bedarfen der Mitglieder entsprechen, bezieht das vierjährige Verbundprojekt, welches im März 2020 gestartet ist, neben ver.di-Hauptamtlichen und -Ehrenamtlichen auch die Mitglieder eng in die Entwicklungsarbeit ein. Gegen Ende des Jahres 2021 rechnet Walter Ganz vom IAO mit einem Ergebnis, welche zusätzlichen digitalen Werkzeuge für ver.di sinnvoll und notwendig sind. In einer Lern- und Experimentierwerkstatt, dem Popup-Labor des DigiLab NPO, sollen diese Prototypen dann erprobt werden.

Pilotprojekt: Online-Spiel

Bereits ausprobiert und für gut befunden wurde ein weiteres digitales Pilot-Projekt von ver.di: die "Superhelden Undercover". Das Online-Spiel hat die diesjährige Tarifrunde bei T-Systems begleitet. Es wurde extra dafür entwickelt und hat alles, was ein gutes Game ausmacht. Neben einer griffigen Geschichte gehören dazu unterschiedliche Level, die es im Spiel zu erreichen gilt. Und so stellt jede reale Verhandlungsrunde bei T-Systems ein eigenes Level im Online-Spiel dar. Die Spieler*innen können sich in kleinen "Superheld*innen"-Teams vernetzen, um gemeinsam interaktive Challenges (Herausforderungen) rund um die Tarifverhandlungen zu bewältigen. Auf diese Weise sammeln sie Punkte, um die nächste Spielrunde zu erreichen. Zusätzliche Punkte in der virtuellen Welt erhalten die Teams übrigens, wenn sie in der realen Welt neue Gewerkschafts-Mitglieder werben. Und mit der im Spiel integrierten Informationsplattform "Super-Times" stehen alle wichtigen Tarif-Infos und Challenge-Ergebnisse an einem zentralen digitalen Ort als eine Art Liveticker zur Verfügung.

Christine Muhr vom ver.di-Landesfachbereich Telekommunikation, Informationstechnologie und Datenverarbeitung in Baden-Württemberg hat die digitalen Superheld*innen ins Rennen geschickt. Unterstützt wurde sie dabei nicht nur vom Bundesfachbereich und der Abteilung Mitgliederentwicklung in der ver.di-Bundesverwaltung, sondern vor allem von einem sechsköpfigen Entwicklungsteam. Betriebsräte von T-Systems, Gewerkschaftssekretär*innen, Programmierer*innen und eine in ver.di organisierte Online-Autorin arbeiteten Hand in Hand um das kreative Projekt voranzutreiben.

Die Idee zum Game entstand mitten in der Pandemie und nur ein halbes Jahr vor dem Start der Tarifrunde bei T-Systems. Die Beschäftigten von T-Systems, einem Dienstleister im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, waren aufgrund der Pandemie fast zu 100 Prozent im Homeoffice tätig, sagt Christine Muhr. "Wir wollten mit dem Game ein aktivierendes Element für die Tarifrunde schaffen, so dass die Beschäftigten sich nicht im Homeoffice verstecken." Als großen Vorteil des Spiels empfindet die Gewerkschaftssekretärin aus Stuttgart, dass die Vernetzung und Information der Spieler*innen in der virtuellen Welt des Online-Games schnell in eine reale Handlungswelt überführt werden könne. Mit Hilfe solcher spielerischen Kommunikationswege "werden Gewerkschaften flotter und auf eine neue Art erlebbar," findet Muhr, und die Erfahrungen aus der Tarifrunde bestätigen das auch schon.

Da die Zeit für die Entwicklung und Programmierung eines komplett neuen Spiels knapp war, entschieden sich Christine Muhr und ihr Team, die "Superhelden Undercover" zunächst als Pilot-Projekt am größten Standort der T-Systems in Leinfelden zu testen. Etwa zehn Prozent der Belegschaft haben das Game gespielt. "Das ist eine gute Resonanz für unser Pilot-Projekt, da wir keine zusätzliche Werbung gemacht haben", sagt Muhr.

Nun läuft die Auswertung des Games "Superhelden Undercover" an. Die Spieler*innen werden per digitaler Umfrage zu ihren Eindrücken befragt. Wichtig sind dabei Kriterien wie die Optik des Spiels, der Spaß-Faktor und die Verständlichkeit der Inhalte auf den einzelnen Levels. Christine Muhr und ihre Mitstreiter*innen sind auf jeden Fall überzeugt, dass ein tarifrunden-begleitendes Online-Spiel gute Mobilisierungsqualitäten hat und damit ein geeignetes Instrument für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit ist.

Ähnlich positiv beurteilt auch Walter Ganz vom Fraunhofer-Institut IAO diese digitale Form der Kommunikation von Gewerkschaften mit ihren Mitgliedern. "Ich bin ein großer Fan von Games, denn sie sind unglaublich inspirierend und es gibt viele Gestaltungsoptionen," sagt er. Es habe sich in diesem Fall gezeigt, dass die Visualisierung angereichert mit Design-Elementen der Gamification einen unheimlichen Charme für die Nutzer*innen hat. "Denn so macht das Lernen Spaß", sagt der Wissenschaftler.

Politisch, spaßig und unterhaltsam

Spaß und Unterhaltung schätzen auch die ver.di-Mitglieder. "Das schließt nicht aus, sich dabei mit politischen Themen und ehrenamtlichem Engagement zu befassen", sagt Cornelia Berger, Leiterin des Bereichs Kommunikation in der ver.di-Bundesverwaltung. ver.di werde diesen Weg daher weitergehen, ein weiteres digitales ver.di-Game ist schon in der Mache. Titel und Story werden noch nicht verraten. Nur so viel: Auch in der anstehenden Tarifrunde im Öffentlichen Dienst der Länder im Herbst 2021 werden spielerische Elemente mit politischen Inhalten zu einem Online-Spiel verknüpft, in dem der Wert von Solidarität im Mittelpunkt steht.

ver.di gestaltet die digitale Transformation also spielerisch. Und Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht, denn eines gilt digital ebenso wie in der realen Welt: Je mehr Beschäftigte sich an einer Tarifrunde beteiligen, desto besser.