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Die Trucker warten in Gräfenhausen auf das Geld, das ihnen zusteht. Immerhin einer hat es erhaltenFoto: Roessler/picture alliance/dap

Seit über zehn Wochen streiken Lastwagenfahrer aus Zentralasien auf dem Rastplatz in Gräfenhausen an der A5 in Südhessen, um ihren Lohn zu bekommen. Nach einem Hungerstreik gibt es Hoffnung auf eine Lösung.

In ihrer Verzweiflung wissen sich die Lastwagenfahrer aus Zentralasien auf der Raststätte in Gräfenhausen nicht mehr anders zu helfen: Etwa die Hälfte der 80 Männer trat in den Hungerstreik. Seit über zehn Wochen harren die Trucker auf dem Parkplatz in Südhessen aus, weil sie teilweise monatelang keinen Lohn für ihre Arbeit erhalten haben. "Mit leeren Händen nach Hause zu fahren, ist für sie keine Option", sagt der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema, der von den Kollegen zum Verhandlungsführer ernannt wurde. Die Männer sind dringend auf das Geld angewiesen, um ihre Familien in Georgien, Kasachstan und Usbekistan zu unterstützen. Doch nach sieben Tagen ist ihr Gesundheitszustand so schlecht, dass sie den Hungerstreik aussetzen müssen. Zugleich weckt ein Besuch von höchster Stelle die Hoffnung, dass sie doch noch zumindest einen Teil ihres Lohns erhalten.

Im Hintergrund

Der Präsident des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle, Torsten Safarik, kommt persönlich mit seinem Team auf die Raststätte, sammelt Informationen und kopiert Frachtbriefe. Die polnische Spedition Mazur habe ganz klar die Menschenrechte verletzt, sagt er dem Hessischen Rundfunk. Jetzt werde geprüft, ob auch deutsche Firmen belangt werden können. Schließlich transportieren die Lastwagenfahrer deren Waren kreuz und quer durch Westeuropa. Berichten zufolge wird im Hintergrund mit deutschen Unternehmen verhandelt. Es besteht die Aussicht, dass sie einen Teil der Forderungen übernehmen.

Auf dem Rastplatz in Gräfenhausen finden sich auf den Frachtpapieren unter anderem die Namen von Obi, Bauhaus, Hornbach, Toom/Rewe, DHL, Deutsche Bahn und Dachser. Auf Anfrage erklären die Unternehmen, keine direkten Geschäftsbeziehungen mit der Spedition zu haben. In der Branche ist es üblich, dass Aufträge an Subunternehmen weitergegeben werden. Jeder schiebt die Verantwortung weiter. Zum großen Leid der Fahrer.

In einer Solidaritätserklärung prangert der ver.di-Bundeskongress die "organisierte Verantwortungslosigkeit" an. In seiner Rede vor den Delegierten verwies Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, auf das neue Lieferkettensorgfaltsgesetz und verspricht: "Wir werden da nicht tatenlos zugucken." Seit dem 1. Januar 2023 sind größere Unternehmen dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschenrechte entlang der Lieferketten eingehalten werden. "Die Frage von Menschenrechten ist keine Freiwilligkeit", betonte Heil. Wer global Gewinne mache, müsse auch global Verantwortung in Lieferbeziehungen übernehmen.

Missstände rücken in den Fokus

Bereits im Frühjahr hatten Fahrer aus Zentralasien sechs Wochen lang auf dem Rastplatz gestreikt, weil die polnische Spedition Mazur ihnen tausende Euro schuldete. Erst als ein Unternehmen seine Lieferung einforderte und hohen Schadenersatz androhte, erhielten die Männer ihr Geld. Doch nur drei Monate später stoppten im Juli erneut Fahrer von Mazur in Gräfenhausen, zwischenzeitlich drängten sich bis zu 150 Lkw dicht an dicht auf dem Rastplatz. Die ersten Fahrer bezahlte die Spedition noch und erhielt im Gegenzug die Lastwagen samt Fracht, danach schaltete sie auf stur – und zeigte die Männer wegen "Erpressung" an.

Fakt ist: Der Protest der Kollegen rückt die Missstände in der Branche in den Fokus. Wer Menschenrechtsverletzungen suche, brauche nicht bis nach Asien zu gucken, sagt Atema. "Das passiert direkt vor unserer Nase. Mitten in Europa!"