Rundumberatung

Kerstin Nensel (48), Schuldnerberaterin bei der AWO in Freiberg

Ich war früher Lehrerin für Landwirtschaft in der DDR und bin später arbeitslos geworden. Ich habe dann eine Ausbildung zur Diplom-Sozialpädagogin absolviert und war ehrenamtliches Gründungsmitglied der Arbeiterwohlfahrt Freiberg (Sachsen). Als das Berufsbild der Schuldenberatung neu auf den Markt kam, haben wir uns als junge AWO darum bemüht. Ich habe sofort gesehen, das ist was für mich. Ich finde es schön, Menschen zu beraten, und speziell der Finanzsektor hat mich immer interessiert.

Ich fange morgens um acht Uhr an. Vier Tage in der Woche führe ich Beratungsgespräche nach Terminabsprache, am fünften Tag ist freie Sprechzeit ohne Voranmeldung. Die Hälfte meiner Arbeitszeit berate ich. Die andere Hälfte beschäftige ich mich mit Schreibarbeit. Statistiken müssen genau geführt werden, um unsere Arbeit zu dokumentieren. Wir begleiten auch Leute, die Insolvenz beantragen müssen, führen Vergleichsverhandlungen und erledigen den Schriftverkehr für die, die das nicht selbst können. Sonst befähigen wir die Leute, das selbst zu machen, und beraten sie auch dabei.

Dazu kommt noch die Öffentlichkeitsarbeit. Ich rede auf Präventionsveranstaltungen, gehe in ABM-Maßnahmen und kläre Menschen über die Arbeit der Schuldenberatung auf.

Von uns wird viel Fachkenntnis erwartet, ich muss mich mit Hartz IV auskennen, mit dem Schuldrecht, dem Insolvenz- und Sozialrecht. Das ist ein enormer Anspruch, der mich sehr fordert. Wir bekommen Supervision, um das Erlebte auch mal reflektieren zu können.


Spannungsfeld

Gernot Fietzek (43), Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung, Bamberger Lebens- hilfe Werkstätten

Gelernt habe ich Heizungsbauer. Dann kam das Abi auf dem zweiten Bildungsweg und mein Zivildienst in den Bamberger Lebenshilfe Werkstätten. Und dort bin ich "hängengeblieben". Die Welt der Menschen mit Behinderungen, die uns emotional weit voraus sind, hat mich fasziniert. Ich habe erst eine sonderpädagogische Zusatzausbildung absolviert und im vorigen Jahr noch einen Aufbaulehrgang. Seitdem habe ich das staatliche Zertifikat als Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung. Ich arbeite in einer der vier Bamberger Lebenshilfe Werkstätten, in einer Verpackungsabteilung. Ich bin zuständig für 13 Menschen, parallel arbeitet eine Kollegin mit zwölf Beschäftigten. Alle verpacken Kaffeepads und Kaffeezusätze. Die Teile müssen akkurat abgezählt werden, manche unserer geistig behinderten Mitarbeiter/innen brauchen dafür Hilfsmittel wie Zählbretter.

Schwierig an meiner Arbeit ist die riesige Vielfalt. Ich brauche handwerkliche und pädagogische Kenntnisse. Muss auf die Menschen eingehen, wenn sie Probleme haben, muss Dokumentationen führen, medizinisch versiert sein und sofort reagieren, wenn ein Beschäftigter mit einem Anfallsleiden plötzlich Hilfe braucht. Das ist ein großes Spannungsfeld, alles kann gleichzeitig passieren oder von einer Sekunde zur nächsten wechseln. Das geht schon an die Substanz. Wenn dann noch eine Maschine im Raum steht, die ständig lärmt, weiß man abends, was man getan hat. Aber genau diese Vielfalt ist auch das Gute an meiner Arbeit.


Wächteramt

Sandra Hoffmann (39), Bezirkssozialarbeiterin bei den Allgemeinen Sozialen Diensten in Kassel

Zuerst habe ich als Erzieherin im Hort, in der Kita und an einer Grundschule gearbeitet, dann noch Sozialwesen studiert. Jetzt bin ich Bezirkssozialarbeiterin im Jugendamt, zuständig für einen Bezirk im Osten von Kassel. Hier leben viele Arbeitslose, oft Sozialhilfeempfänger in der zweiten und dritten Generation, inzwischen Hartz IV-Bezieher.

Ich berate Familien in vielen Fragen, zum Beispiel beim Sorgerecht nach einer Scheidung. Ich greife auch ein, wenn ein Kind aus der Familie geholt werden muss. Wächteramt nennen wir das. Es ist immer eine Gratwanderung. Wann muss es sein?

Es geht bei uns oft um Hilfe für alleinstehende Mütter ohne jede familiäre Unterstützung. Wenn die Krise ausbricht, zum Beispiel durch Drogen oder psychische Erkrankungen, haben sie niemanden, der ihnen beisteht, und es wird ganz brisant.

Wir werden inzwischen immer öfter angerufen: aus dem Krankenhaus - manchmal gleich nach der Entbindung -, von Ärzten, Hebammen, Nachbarn. Die Zahl der Gefährdungsmeldungen steigt. Das ist positiv, aber auch eine immer größere Belastung für uns. Wir lassen in so einer Situation alles stehen und liegen und gehen zu zweit in die Wohnung. In zwei Dritteln der Fälle werden wir zu Recht informiert. Doch es kommen auch Eltern von sich aus zu uns, die nicht weiter wissen.

Was ich an der Arbeit mag, sind die Abwechslung, der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, der Kontakt mit vielen Partnern. Und man lernt ständig dazu.


Krisen

Peter Steinke (44), staatlich anerkannter Heilpädagoge bei der Gesellschaft für soziale Dienstleistungen in Essen (GSE)

Ich war zuerst Erzieher in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und habe dann eine Fachschule für Heilpädagogik besucht. Seit 14 Jahren arbeite ich jetzt in der Werkstatt Borbeck. Das ist eines von acht Häusern mit Werkstätten für behinderte Menschen in der GSE, die zu uns gehören. 360 Menschen mit Behinderungen arbeiten allein in Borbeck - und ca. 60 Betreuer/innen, meist als Gruppenleiter. Ich nehme als Heilpädagoge einzelne Klienten oder kleine Gruppen zeitweilig aus der normalen Werkstattarbeit heraus, um sie individuell zu fördern. Spezielle Förderung braucht zum Beispiel ein junger Mann mit stark autistischen Zügen, der dazu neigt, sich selbst zu verletzen oder allein aus dem Haus zu laufen. Ihn betreuen wir seit Jahren. Seit langem arbeite ich auch mit einer schwer geistig behinderten Frau, die nicht sprechen kann, aber ein starkes musisches Empfinden hat, Freude am Klatschen, an rhythmischen Bewegungen.

Am schwierigsten ist es für mich, jedem Klienten in jeder Stunde individuell zu begegnen und dann - gemeinsam mit Kolleg/innen, gesetzlichen Betreuern, Ärzten oder Wohnstättenmitarbeitern - geeignete Hilfen zu entwickeln. Die psychischen Belastungen nehmen dabei eindeutig zu. Aber man bekommt auch von jedem etwas zurück. Dieses positive Feedback ist das Schönste an meiner Arbeit.


Markt der Möglichkeiten

Sibylle Schmidt (56), Kita-Leiterin in Bremen

Ich bin Sozialpädagogin mit einer Zusatzausbildung für die Arbeit mit behinderten und nicht behinderten Kindern. Seit 1976 arbeite ich bei Kita Bremen, einem Eigenbetrieb der Stadt Bremen. Seit neun Jahren leite ich eine Kita in einem Stadtteil, in dem auch viele Familien mit sozialen Problemen leben. Wir betreuen 160 Kinder, davon kommen 80 nach der Schule zu uns in den Hort. 17 von ihnen werden besonders gefördert. Für all diese Kinder und ihre Familien sind wir zuständig. Wir arbeiten u.a. mit Integrationspädagogen, mit dem Gesundheitsamt und mit Schulen zusammen, führen Gespräche mit den Eltern. Wir schauen immer wieder: Was braucht dieses Kind? Welche Alternativen zu all dem, was es zu Hause erlebt, können wir ihm noch aufzeigen? Das ist wie ein Markt der Möglichkeiten. Es geht um Bildungschancen und Chancengleichheit, auch für Kinder aus kulturell benachteiligten Familien.

Als Leiterin ist auch die Budgetverwaltung ein Thema für mich, oft ein leidiges, das viel Kraft kostet. Das reicht von der Anmeldung eines Kindes bis zum Mahnverfahren, wenn nicht bezahlt wird.

Verantwortlich bin ich auch für 30 bis 35 Beschäftigte, davon vier Männer. Die konzeptionelle Arbeit, die Personalentwicklungsgespräche - alles braucht Zeit und Raum. Zum Thema Übergänge - also von zu Hause in die Kita, von der Kita in die Schule und von einer Gruppe in die andere bei gruppenübergreifender Arbeit - evaluieren wir unsere Arbeit selbst. Wenn ich wegen meiner Altersteilzeitregelung mit 60 aufhöre zu arbeiten, werde ich 40 Jahre soziale Arbeit hinter mir haben. Dann reicht die Kraft nicht mehr weiter, denke ich.


Thilo Kloss (49), Fachkraft für soziale Arbeit bei der AWO Pirna (Sachsen)

Jugend-Werkstatt

Ursprünglich bin ich Fahrzeugschlosser mit Meisterabschluss gewesen. Nachdem ich 1990 Hausmeister in einem Jugendheim war, habe ich mich in drei Jahren zur Fachkraft für Sozialarbeit qualifiziert. Seit 2007 arbeite ich als Fachleiter von Schülerprojekten in der Jugendwerkstatt JUWEL in Heidenau, wo ich während des Studiums ein Praktikum absolviert habe. Ziel der Projekte ist es, Hauptschüler aus verschiedenen Schulen zusammenzubringen. Durch praktische Angebote sollen sie einen Überblick über unterschiedliche Berufe erhalten, die ihren Neigungen entsprechen. Wir besuchen gemeinsam Berufsschulen und Werkstätten, damit die Schüler sehen, was es an Möglichkeiten gibt.

Zurzeit arbeite ich in einem weiteren Projekt: Schüler aus unterschiedlichen Schulen gestalten die Schulhöfe dreier Schulen um, von der Planung bis zum Bauen mit Holz, was sehr anstrengend ist. Gymnasiasten arbeiten mit Hauptschülern und umgekehrt und bauen dabei auch Vorurteile ab. Was viel Kraft und Zeit kostet, ist das Organisatorische. Wir sind nur zu zweit und müssen Anträge stellen, Formulare ausfüllen, wir bringen die Schulen zusammen, reden mit Vereinen und Direktoren. Das alles zu zweit unter einen Hut zu bringen, geht manchmal an die Belastungsgrenze.


Rund um die Uhr

Dagmar Rose (38), Heimerzieherin in der Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtung (KidS) in Köln

Nach meiner Ausbildung zur Jugend-und Heimerzieherin bin ich in dem Kinderheim geblieben, in dem ich ein Berufspraktikum absolviert habe. Momentan betreue ich eine Außenwohngruppe, in der sind acht bis zehn Kinder im Alter von drei bis 14 Jahren. Während meines Dienstes bin ich meist allein, nur dann nicht, wenn für Arztbesuche ein zusätzlicher Tagdienst eingeplant ist. Ich arbeite zweimal in der Woche in einer 24- bis 26-Stunden-Schicht, darin ist die Nachtbereitschaft enthalten. Von diesen zehn Stunden werden aber nur fünf bezahlt, weil man davon ausgeht, dass ich in den anderen fünf Stunden schlafe. Aber ich bin im Grunde rund um die Uhr Sozialmanagerin. Neben Verwaltungstätigkeiten wie Berichte schreiben, Diagnostik stellen, Förderbedarf klären, mit Therapeuten sprechen ist man permanent gefragt und führt dazu noch einen Haushalt für 13 Personen mit Kochen, Waschen, Putzen. Viele Eltern sind suchtkrank oder psychisch krank, natürlich gehen wir auch auf sie ein. Die Kinder sind oft durch Vernachlässigung oder Gewalt traumatisiert. Sie brauchen unsere Zuwendung, wenn sie krank sind, individuelle Medikation oder einfach ein Buch, das ich ihnen abends vorlese.

Die Arbeit erfüllt mich, allerdings ist der Feierabend nie gesichert, auch nicht die Wochenenden. Ich habe meine Arbeit jetzt freiwillig auf eine 75-Prozent-Stelle reduziert, um mein Privatleben noch zu retten.


Nives Homec (43), Sozialarbeiterin im Kinder- und Jugendhaus Fünfeckturm in Nürnberg

Offene Türen

1986 habe ich im Kinder- und Jugendhaus Fünfeckturm - übrigens das älteste Steingebäude in Nürnberg - ein Berufspraktikum absolviert, bin aber schon als Jugendliche selbst sehr gern dorthin gegangen. Als eine Stelle frei wurde, habe ich dort angefangen und später die Leitung übernommen. Wir sind eine städtische Einrichtung mit zwei "offenen Türen" - bei uns können die Kinder und Jugendlichen jederzeit kommen und gehen. Sie können, müssen aber nicht an den Angeboten wie Töpfer- und Computerkurse teilnehmen; es gibt Ruheräume, in denen sie allein sein können oder chatten. Daneben finden Gruppenprojekte statt.

Zu uns kommen Kinder und Jugendliche zwischen drei und 27 Jahren. Morgens finden meist Sitzungen mit dem Team statt und wir bereiten den Arbeitsplatz vor. Dazu gehört leider auch viel zeitraubendes Putzen, da die Putzfirmen unter großem Zeitdruck arbeiten und das Haus sonst langsam verdreckt.

Schwierig ist der Spagat zwischen den Anforderungen an uns, den Wünschen der Kinder und denen des Teams. Wenn wir als Erzieher nicht weiterwissen, nehmen wir regelmäßig Supervision als kollegiale Beratung in Anspruch. Aber auch zu Hause muss man für einen Ausgleich sorgen, zum Beispiel mit Entspannungsübungen. Man ist in dieser Arbeit permanent gefordert.


Mitspielen

Sabine Funk (50), Erzieherin in der Kita An der Lehde 12, Leipzig

Ich wollte nie etwas anderes werden. Aber ich merke, wie die gesundheitlichen Probleme zunehmen, nicht nur bei mir, sondern auch schon bei ganz jungen Kolleginnen. Die Lärmbelastung in den Gruppen ist in den letzten Jahren immer mehr gewachsen. Mit Rückenschmerzen und Kopfschmerzen haben viele Erzieher/innen zu kämpfen, ich auch. Trotzdem möchte ich nichts anderes tun. Kein Tag ist bei uns wie der andere. Die Kinder hocken zu Hause oft zu viel vor dem Fernseher und dem Computer, manche können gar nicht mehr richtig spielen. Hier kann ich sie für etwas begeistern, das ist toll! Wichtig ist, dass wir mitspielen. Man müsste nur noch mehr schaffen. Wenn ich früh komme, brauche ich eigentlich viele Ohren und Hände, weil alle auf mich zustürzen und erzählen. In unserer Gruppe sind wir zu zweit für 15 Kinder verantwortlich, davon drei Integrationskinder.

Die drei müssen wir noch intensiver beobachten, für sie schreiben wir Förderpläne, sprechen mit den Therapeuten - und kämpfen uns durch das spezielle Deutsch der Ärzte in ihren Berichten.

Aber die größte Belastung sind die Sorgen und Nöte der Familien, die man mit nach Hause nimmt. Wie eine Seelsorgerin und Beraterin. Manchmal geht es sogar um eine mögliche Gefährdung des Kindes. Eine große Verantwortung.

FOTOS: MICHALAK (2), JEHNICHEN, BOXLER (2), GEISHEIMER, DÖRING (2), NEUMANN


Was bisher geschah

Ab 2002 Diskussionen in der Bundesfachgruppe Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe über ein neues Tarifwerk für soziale Berufe

1.10.2005 Inkrafttreten des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVÖD) und des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten (TVÜ). Der TVÜ enthält u.a. die Übergangsregelungen für die Eingruppierung aller Beschäftigten

12./13.2.2007 1. Kasseler Konferenz des Sozial- und Erziehungsdienstes Veröffentlichung erster Forderungen für die Eingruppierung

12./13.1.2008 2. Kasseler Konferenz Diskussion der Entgeltgruppe 9 für Erzieher/innen und der Gruppe 10 für Sozialpädagog/innen / Sozialarbeiter/innen

11./12.9.2008 Beschluss der Bundestarifkommission Öffentlicher Dienst über die sofortige Aufnahme der Verhandlungen, die Mitgliederdiskussion und die Forderung: Engeltgruppe 9 für Erzieher/innnen und 10 für Sozialpädagog/innen / Sozialarbeiter/innen

21.1.2009 1. Verhandlungsrunde in Berlin Den Arbeitgebern wird das erste Forderungspapier zur Entgeltordnung übergeben. Die Forderung nach einem Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung wird angekündigt

17.3.2009 Die Verhandlungskommission beschließt die Forderung zur Entgeltordnung und zum Tarifvertrag für betriebliche Gesundheitsförderung

30.3.2009 2. Verhandlungsrunde in Frankfurt/Main Die Arbeitgeber legen ein "Angebot" zur Eingruppierung vor, das für die meisten Erzieher/innen die Entgeltgruppe 6 und für Sozialarbeiter/innen die EG 9, also eine Abwertung sozialer Berufe, bedeutet. 4500 Beschäftigte protestieren dagegen

20. bis 24.4.2009 Bundesweite Aktionen zur Unterstützung der ver.di-Forderungen mit mehr als 10000 Beteiligten

21.4.2009 3. Verhandlungsrunde Die Arbeitgeber verweigern sich den Verhandlungen über die betriebliche Gesundheitsförderung

30.4.2009 Die ver.di-Verhandlungskommission stellt das Scheitern der Tarifverhandlungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung fest, nachdem die Arbeitgeber baldige Termine verweigert haben

6.5.2009 Erste bundesweite Warnstreiks Anschließend Urabstimmungen über die Aktionsbereitschaft der ver.di-Mitglieder