Die Rollberg-Siedlung in Berlin-Neukölln war bislang bekannt als Beispiel fehlgeschlagener Integration. Das wollten die Bewohner nicht länger auf sich sitzen lassen und entwickelten selbst ein Erfolgsrezept: Mieter kochen für Mieter

Von Jenny Mansch

Essen, was die Kelle gibt: Der Service klappt reibungslos Fotos: Christian Jungeblodt

Jeden Mittwoch um 12 Uhr kommt Bewegung in die Wohnanlage an der Morusstraße in Neukölln. Riesige Töpfe werden geschleppt, Stühle gerückt, Tische für 60-80 Personen mit Servietten und Blumenschmuck gedeckt. Für Eilige gibt es einen "Turbotisch". Und in der kleinen Küche, die an den Gemeinschaftsraum grenzt, wird es rappelvoll, wenn sich die Kellner einfinden. "Irgendwie wird der Reis nicht warm." Helga Weingart, heute als Gastköchin eingeladen, ist nicht wirklich besorgt über die Leistungsfähigkeit der Kochplatten. Sie bereitet hier schon zum dritten Mal das Essen für die Bewohner des Kiezes und andere Gäste zu: Bisher hat noch immer alles geklappt. Für einen Unkostenbeitrag von drei Euro gibt's heute Hähnchengeschnetzeltes, wahlweise mit Erbsen oder Bananen zubereitet, vorher Tomatensalat und Schokopudding zum Nachtisch. Für Kaffee oder Tee kommen 30 Cent in ein Sparschwein.

Der Handlungsbedarf

Seit vor gut fünf Jahren die Fassaden der 70er-Jahre-Anlage renoviert wurden, macht die Gegend um die Morusstraße äußerlich einen freundlichen Eindruck. Ruhig schien es hier auch schon, bevor die Probleme in den Häusern mit frischer Farbe übertüncht wurden - ein netter Versuch, um der anhaltend negativen Berichterstattung in den Medien sichtbare "Maßnahmen" entgegenzuhalten. Negativschlagzeilen über Schießereien und Jugendgewalt hatten das multiethnische Wohnviertel landesweit in Verruf gebracht. Um die Probleme, die entstehen, wo Gruppen unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft zusammenleben, wirklich in den Griff zu bekommen, ist es mit Kosmetik nicht getan. Da herrscht Handlungsbedarf.

Wer auf die Idee mit dem gemeinsamen Mittagstisch "Mieter kochen für Mieter" kam - so genau kann das hier keiner mehr sagen. 2002 begann ein Quartiersmanagement seine Arbeit und setzte zunehmend auf die Mitwirkung der betroffenen Mieter. Für Gastköchin Helga Weingart, selbst ehemalige Stadtteilmanagerin der Wohnungsbaugenossenschaft DeGeWo im Berliner Wedding, hält "das Arbeiten mit den Mietern für das A und O". Auch in Neukölln lief mit dem Quartiersmanagement anfangs nicht alles wie geschmiert, sondern "erst, als sie den Mieterverein als Ansprechpartner akzeptiert haben".

Aus ihrem Viertel im Wedding kennt Helga Weingart das anders, dort rieselt das Geld in überwiegend künstlerische Projekte, ausgewählt von Beamten, "die nie mit den Mietern reden. Wissen Sie, die Projekte können mir den Buckel runterrutschen. Das, was hier in der Morusstraße passiert, das ist Demokratie von unten", sagt Helga Weingart und rührt entschieden die Erbsen um.

Die Gäste

Mittlerweile ist es halb eins. Die ersten Gäste finden sich ein, darunter zwei Polizeibeamte vom Abschnitt um die Ecke. Sie beeindrucken durch regelmäßige Präsenz beim Mittagstisch und strenge Regeln im Kiez. Sie werden von jedermann freundlich begrüßt. Auch der Reis ist nun, wie er sein soll. Frank Bourgett, Leiter des Gemeinschaftshauses und für die Vermietung des Raumes für Veranstaltungen aller Art zuständig, hat alle im Blick und unterstützt die Kellner beim Service. "Ohne unsere Ehrenamtlichen wären wir hier verraten und verkauft", meint er.

Seine Stelle wird durch die Vermietung des Hauses an den Wochenenden finanziert. Zusätzlich zu den Mietern, die einfach mit anpacken, stehen dem Team sieben ABM-Stellen zur Verfügung. Als das Arbeitsamt vor drei Jahren dafür nicht mehr zahlen wollte, gründeten 26 Rollberger den "Förderverein Gemeinschaftshaus MORUS 14". Der Clou: Seit Anfang des Jahres ist dieser Mieterverein auch Träger des Quartiersmanagements Rollbergviertel und kann das Budget verwalten. Die Idee kam an und mit ihr weitere Unterstützung: Die Wohnungsbaugenossenschaft Stadt und Land stellt dem Verein das Haus mietfrei zur Verfügung, das Programm Soziale Stadt fördert Sanierungsmaßnahmen und auch aus dem Europafond kommt ein bisschen Geld zusammen.

Doch zuletzt ging es auch hier nicht ohne Querelen: Zum Ende des letzten Jahres wurde das erfolgreiche Quartiersmanagement ausgewechselt, sehr zum Verdruss der engagierten Mieter. Doch der Verein Morus 14 macht weiter, vor allem auf das Erfolgsrezept Mieter kochen für Mieter will man zukünftig nicht verzichten.

"Komm her, mein Süßer", schäkert Hildegard Ihloff einen eintreffenden Gast an. Mit kurzen Unterbrechungen wohnt die 78-Jährige schon seit Jahrzehnten hier und hat die soziale Berg- und Talfahrt des Viertels miterlebt. "Wir essen, wat die Kelle jibt", lacht sie und lobt die vielseitigen internationalen Gerichte, die ohne Schweinefleisch alle zufrieden stellt. "Durch den Mittagstisch haben wir uns hier sehr angefreundet. Man quatscht und grüßt sich."

Wolfgang Wurl ist extra ins Rollbergviertel gezogen, weil er hier Arbeit bekommen hat - für Neukölln, dem Bezirk mit der höchsten Arbeitslosenquote Berlins, eine unglaubliche Karriere. Wurl arbeitet als Fleischermeister in einem türkischen Discounter, "die unterschiedliche Schnittführung ham'se mir jezeigt, dann jing det". Im Morus 14 fungiert er als Dokumentarfilmer. "Dit kenn ick noch aus der DDR, dit Ehrenamtliche".

Abdel Naser Al-Shahabi ist Pädagoge und kommt jede Woche aus Tiergarten zum Mittagstisch und trifft sich mit "seiner Freundin". Das ist die 92-jährige Edith Päper aus Britz, die sich den Teller nicht aus der Hand nehmen lässt, um ihn in die Küche zu bringen. "Ich hab hier viel gelernt über anderes Essen", strahlt sie.

Nicht ganz so gut gelaunt reagiert Issam Khalifeh auf das Stichwort Integration. "Die muss schon von beiden Seiten funktionieren", meint er. Seit 15 Jahren lebt er hier und hat vor kurzem seinen Antrag auf Einbürgerung genervt zurückgezogen. "Auf dem Amt bleibst du ein Ausländer und nicht nur dort", ärgert er sich und zeigt einen Brief von Kabel Deutschland. Das Unternehmen schreibt zurzeit die Haushalte an, und ist vermutlich stolz darauf, auf kulturelle Unterschiede wie die jeweilige Landessprache individuell einzugehen. Deshalb erhält einer wie er das Standardschreiben nun auf Türkisch. Nur: Issam Khalifeh ist Syrer. Dicht daneben ist auch vorbei.

Das Zuckerfest

Natürlich gibt es auch im Hause Morus 14 mal Ärger. Jedes Jahr ist es ein Problem, für das Zuckerfest Türken und Araber an den gemeinsamen Kochtopf zu holen. Dieses Jahr aber hat es geklappt. An das rauschende Fest vor einigen Wochen denkt hier jeder gern zurück, vor allem an den Auftritt der Polizistin am Tambourin, den palästinensischen Mieter an der Flöte sowie den arabischen Sänger mit Schmelz in der Stimme. Die türkischen Frauen gerieten schnell in Stimmung, Hüften wurden gewiegt, es wurde getanzt und gesungen, vor allem, als die Männer gegangen waren.

Für das totgesagte Rollbergviertel ist die Rechnung voll aufgegangen. Das Konzept der engen Vernetzung von Quartiersmanagement, Polizei, Mietern und den umliegenden sozialen Einrichtungen macht inzwischen Schule. Vertreter von schwedischen Quartiersmanagern kommen zu Besuch und gucken sich das Wichtigste ab. Neulich erst waren Spitzenvertreterinnen von Frauenbewegungen aus Bosnien, Serbien und Bulgarien da. Sogar ein gewisser Promifaktor kommt zum Tragen. Leute wie Kurt Krömer, Klaus Wowereit und Alfred Biolek haben bereits freudig in den sozialschwachen Töpfen des Rollbergs gerührt.

INFOS, TERMINE, KIEZNEWS UNTER www.rollberg-quartier.de VERMIETUNGEN DES GEMEINSCHAFTSHAUSES FÜR INTERKULTURELLE FESTE, FAMILIENFEIERN, ETC. UNTER www.morus14.de ODER TEL. 030/63226785